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Montag, 27. Juni 2022

Wie war Frankreich?


Eine Frau aus Kalifornien fragte mich, wie es in Frankreich so war. Wir trafen  uns in Irun, der spanischen Grenzstadt nach Frankreich. Sie ist dabei, Spanien, Südfrankreich und Italien mit dem Fahrrad zu bereisen. 

Es war also so...
Am 1. April erreichte ich Genf, Schweiz. Am selben Tag kam ich aber auch nach Frankreich. Denn über www.couchsurfing.com fand ich meine Unterkunft bei Kathryn in Saint-Genis-Pouilly, einem Vorort von Genf, den man mit den öffentlichen Verkehrsmitteln der Stadt gut erreichen kann, der aber eben gerade auf der französischen Seite der Grenze liegt.

Von Genf an hatte ich für zehn Tage die Begleitung von Bertha aus Virginia. Richtig gelesen! Bertha verfolgte meinen meinen WhatsApp-Status täglich und fühlte sich inspiriert, für ein paar Tage mit mir zu laufen. Da sie den Camino nicht kannte, wollte sie unbedingt einmal erleben, wie das ist. Also buchte sie den Flug und kam von Washington Dulles Airport nach Genf gejettet.

Keine Wanderstöcke
Bertha kam ohne Wanderstöcke. Wir hatten vorher darüber geredet und sie hatte sich entschlossen, keine Stöcke mitzunehmen. Als wir aufbrechen wollten, hat uns unsere Gastgeberin angeboten, uns ein paar Kilometer aus den Genfer Vororten heraus zu fahren, da sie ohnehin diesen Weg fahren musste. Und Vororte sind wegen der Wohnsiedlungen und Industriegebiete zum Wandern eben auch nicht sonderlich attraktiv. Gesagt, getan. Beim Aussteigen bemerkte ich plötzlich, dass ich meine Wanderstöcke bei Kathryn in der Wohnung hatte liegen lassen. Scheibenkleister!!! Also blieb mir nichts anderes übrig, als ohne Stöcke mitzunehmen und mitzufühlen, wie es "ohne" ist. Vermisst habe ich die Dinger sehr. Zum Glück bekam ich sie zurück, als ich Bertha zehn Tage später mit dem Zug nach Genf zum Rückflug brachte.

Erste Begegnungen mit Pilgern
Bisher habe ich noch keine Pilger getroffen, die wirklich auf ihrem Camino sind. Daher war meine Begegnung mit Lilian eine Sensation. Lilian aus der Schweiz war eine Pilgerin auf dem Weg nach Santiago, genauso wie ich. Wir trafen uns kurz hinter Clonas-sur-Varèze, marschierten miteinander und teilten uns eine Herberge. Dann verloren wir uns wieder aus den Augen, da jeder seine eigene Geschwindigkeit hat.

Dann traf ich David, ebenfalls aus der Schweiz, der mir mit seinen Französischkenntnissen zu einer Unterkunft zwei Tage später verhalf. Es war dieselbe Herberge, die er auch für sich genommen hat. Folglich trafen wir uns dort wieder. Fünf Tage lang sind wir gemeinsam gelaufen. Miteinander reden, genauso wie stundenlang schweigen war für uns eine wundervolle und inspirierende Zeit. Als Highlight aus unserer Begegnung habe ich für mich mitgenommen, mein Vermächtnis dergestalt zu überarbeiten, dass meine Kinder in ihrem Leben sich als Geschwister nie aus den Augen verlieren und aufeinander Acht behalten mögen.

Leben, wie Gott in Frankreich
Von Anfang an hatte ich mir Oma's Regel vorgenommen: egal was dir jemals aufgetischt wird, es wird gegessen, was auf den Tisch kommt. Tatsächlich kam es immer wieder mal vor, dass ich bei jemandem zum Essen eingeladen war. Schon bei der allerersten Übernachtung hatte mein Freund Thomas mir zu Ehren einen Grillabend mit weiteren Freunden veranstaltet. Jede Couchsurfing-Übernachtung brachte mich in Familien, die mich zu Tisch luden. So richtig interessant wurde das jedoch in Frankreich, und dort ab dem ersten Tag.
4-Gänge-Menüs für Pilger sind der Standard. Wie wird dann wohl ein Normalsterblicher in Frankreich bewirtet? Es sind eigentlich stets lokale Spezialitäten auf den Tisch gekommen, bis hin zur Stopfleber. Die vier Gänge bestehen aus (1) Suppe, (2) Hauptgang, (3) lokale Käsesorten, und (4) Dessert. 

Antreiber
Le-Puy-en-Velay ist für viele Pilger der Startpunkt ihrer Pilgerreise. Hier beginnt der geschichtsträchtige Via Podiensis, der es sogar bis in die UNESCO Heritage Liste geschafft hat. In der dortigen sehenswerten Kathedrale findet jeden Morgen um sieben Uhr eine Pilgermesse statt. Danach ergießt sich der Schwall der Pilger über die Straßen. Spätestens ab hier bist du nicht mehr allein unterwegs. Vor dir und hinter dir sind stets andere Pilger.

Was macht das mit dir, wenn du bis hierher stets mit dir unterwegs warst? Bei mir meldete sich plötzlich Karlheinz, mein innerer Antreiber. Zuerst mussten sämtliche älteren Damen auf dem Weg überholt werden, dann aber auch Leute, die mit der gleichen Geschwindigkeit marschierten wie ich selbst. Es dauerte tatsächlich zwei Tage, bis ich raus hatte, dass Otto dahinter steckte und mir das Leben schwer machte. Ich hatte wirklich geglaubt, Otto sei ausgezogen. Aber nein, er lag die ganze Zeit auf der Lauer und wartete auf seine Chance. Da war ein ernstes Gespräch angesagt. Inzwischen konnte ich ihn so halbwegs zur Räson bringen, aber ganz gibt er nicht auf.

Man muss wissen, meine inneren Anteile haben Namen. Der innere Antreiber heißt also Otto. Ein anderes Beispiel ist Hermann, mein innerer Kritiker. Über den gibt's sogar ein lustiges Buch.

Schlechtwetter auf Aubrac
Am 23. April ist Sauwetter, es schüttet was das Zeug hält, es pfeift und bei 8°C verliert man schnell die Lust am Pilgern - oder man härtet ab. Bei mir traf wohl beides zu. In der Herberge teilte ich mir das Zimmer mit Philippe, was dazu führte, dass wir zwei Tage nacheinander zusammen pilgerten. Wir verstanden uns gut. Philippe konnte deutsch sprechen, mit dem Vokabular, dass über 30 Jahre ziemlich in Vergessenheit geraten war. Aber es machte uns beiden viel Spaß, seinen Wortschatz wieder aus der Versenkung zu heben. Nach den zwei Tagen konnte ich ihm eine deutliche Verbesserung gegenüber dem ersten Tag bescheinigen.

Unser gemeinsamer Weg führte über die Aubrac Hochebene auf ca. 1.200 m bei mittlerweile nur noch 3°C. Das schlechte Wetter setzte sich hier oben gnadenlos fort mit dem Unterschied, dass es keine schützenden Bäume mehr gab. Wir waren nass bis auf die Haut. Als wir die dem höchsten Punkt nächste Stelle passierten sind wir kurzerhand vom Weg abgewichen, um den Gipfel zu erreichen, der teilweise noch unter Schnee lag. Was tut man nicht alles...

Durst
Mein Flüssigkeitsbedarf wurde mit den warmen Tagen auffällig groß und die üblichen Rationen der Franzosen sind auffällig klein. Eine normale Bierflasche ist mit 0,25 l gefüllt. Was soll das denn??? Die Pulle ist ja nach dem Öffnen sofort verdunstet. Nullkommadrei gibt es nicht. Die nächste Gebindegröße ist 0,5 l aus der Dose. Okay, damit kann man leben. In Bars und Restaurants lief die Bestellung stets auf "grand biere" hinaus und kostete zumeist fünf Euro.

Sonderbare Restaurants 
In Frankreich gibt spezielle Zeiten, an denen du als Gast wieder weggeschickt wirst, wenn du in der Mittagshitze einfach nur ein großes Bier trinken möchtest, aber kein Essen bestellst. Umgekehrt ebenso, zu bestimmten Zeiten bekommst du nichts zu essen, nur zu trinken. Wie sind die 🇨🇵 denn drauf....? Ich hab's nicht verstanden.

Toulouse
Der denkwürdigste Tag in Frankreich war Freitag, der 6. Mai 2022, als ich das Airbus-Werk in Toulouse-Blagnac erreichte. Vor dem Werkstor angekommen haben mich tausend Erinnerungen und Gefühle überwältigt. Wie oft ich dienstlich hier war, ich habe es nicht gezählt. Peter, einer meiner letzten Kollegen aus unserem multinationalen QCD-Team erwartete mich schon. Er hatte meine Etappen bis Toulouse genau verfolgt und mir schon vor dem Antritt meiner Pilgerreise zugesagt, dass er mich für ein paar Tage bei sich aufnehmen würde, sollte ich es bis Toulouse schaffen. Nun war ich da. Und konnte es selbst nicht glauben, bis hierher gelaufen zu sein. Alle bisherigen Reisen nach Toulouse gingen per Flugzeug. In zweieinhalb Stunden von Hamburg nach Toulouse. Und ich zu Fuß? Ein halbes Jahr!

Jeden Montag um 13:00 Uhr findet das QCD weekly Teammeeting statt, wo jeder über seine Projekte berichtet. Ich wollte es mir nicht nehmen lassen, mich wie "früher" einfach mit hinein zu setzen. Wie üblich fand das Meeting als Videokonferenz statt. Michael, der Teamchef wusste Bescheid. Alle anderen machten große Augen, als sie mich sahen. Viele, viele Fragen prasselten auf mich herab. Es war ein Heidenspaß! Ich glaub, ich hab das Meeting gesprengt...

Aber nicht nur Peter, auch andere Kollegen aus Toulouse wollten mich unbedingt bei sich beherbergen. Zwar machte ich in dieser Zeit auf meinem Weg keine großen Fortschritte, aber bei Francis, Etienne und Olivier übernachten zu dürfen, brachte mich diesen Kollegen näher, als jahrelange gute Zusammenarbeit. Diese Momente möchte ich hiermit ganz besonders wertschätzen und honorieren. Ihr seid in meinen Augen ganz großartige, herzliche und offene Menschen, mitsamt euren wundervollen Familien. Ihr alle habt mein Herz gewonnen.

Kirche, Himmelbett und Winzer
Für mich ist es stets etwas Besonderes, wenn ich einen Gottesdienst in einer Gemeinde erleben kann. Denn in Frankreich ist die Neuapostolische Kirche nicht ganz so verbreitet wie in Deutschland. Daher war ich froh, dass ich an einem Sonntag noch in Toulouse war. Die dortige Gemeinde versammelt sich im Stadtteil Lafourgette, was für mich fast auf der Route des Jakobsweges liegt.

Dort lernte ich Jörg Müller kennen, einen Airbus Projektleiter in der Sparte Airbus Helicopters. Wir fachsimpeln und er brachte mich anschließend meinem Weg etwas näher.

Außerdem lernte ich hier Roland Wolf kennen. Roland hat eine weite Anreise zu den Gottesdiensten aus Richtung Pau. Er wollte gerne, dass ich auf meinem Weg bei ihm Station mache und Herberge nehme. Er und seine Frau besitzen in der kleinen Ortschaft Barbachen ein Château, das aktuell mit ein paar Fremdenzimmern hergerichtet wird. Als Kostprobe wurde ich in einem Zimmer mit Himmelbett einquartiert. Ich habe geschlafen wie in Abrahams Schoß. Ich finde, Roland ist ein großartiger Gastgeber und verfügt über vorzügliche Fähigkeiten als Küchenchef. Wer Urlaub oder Ferien in Südfrankreich mit Nähe zu den Pyrenäen und zum Atlantik und abseits vom Stadtgetriebe sucht, findet hier sein Refugium. Kontakt: Roland Wolf, Mobil +4915111554150.

Einmal fand ich auch Unterkunft bei dem Winzerehepaar Victor und Marylise Brureau in Andillac (Tarn). Die Wohnung ist eigentlich eher für einen Familienurlaub gedacht. Da sie gerade nicht belegt war, durfte ich mich dort ausbreiten und hatte die Qual der Wahl, mir von acht Betten das beste auszuwählen. Zur Begrüßung bekam ich eine halbe Flasche vom feinsten Rotwein Jahrgang 2011 geschenkt. Das Besondere an diesem Winzer ist, dass sein Anbau hohe biologische Kriterien erfüllt. Das hat ihm etliche Preise eingebracht. Für den interessierten Leser hier die Kontaktinformationen: 
Victor et Marylise BRUREAU
165 Route de la Combe
81140 Andillac, France
Tel. +33 5 63 33 94 67 oder +33 6 02 22 50 37

Brüderversammlung
Mit einem Interrail-Ticket hat sich Holger, mein jüngerer Bruder auf Frankreich-Tournee begeben. Unser Treffen war ursprünglich in Toulouse vorgesehen. Wegen meiner Unsicherheit, zu einem festen Termin an einem bestimmten Ort zu sein, führte zu Scheitern dieses Vorhabens. Dafür haben wir uns dann für die Stadt Pau entschieden, weil die Ziet fortgeschritten war und ich mehr Genauigkeit in die Planung bringen konnte. Tatsächlich passte diese Planung auch exakt und wir haben uns in Pau getroffen. Für fünf Tage ist Holger mit mir gelaufen. Er war die sechste Person, die mir ein Stück meines Weges mitgelaufen ist und mir Gesellschaft geleistet hat. Auf den ersten Kilometern haben wir mit Harald, meinem älteren Bruder telefoniert. Harald bedauerte es so, so sehr, jetzt nicht mit dabei sein zu können.

Mir war es ein Anliegen - wie bei allen anderen Begleitungen - dass er sich auf dem Weg und in meiner Gesellschaft wohlfühlen würde. Nun stellte sich heraus, dass Holgers Füße Probleme machten und schon nach wenigen Kilometern zu schmerzen anfingen. Steigungen schienen den Effekt zu verstärken. Das bedeutete kürzer treten - im wahrsten Sinne des Wortes. Für mich bestand die Herausforderung in der ungewohnt langsamen Geschwindigkeit. Diese neue Langsamkeit brachte mich in einen neuen Kontakt mit mir selbst, es war meditativ. 

Wir hatten schöne Gespräche, und vor allem die Zeit dafür, die sonst nicht gegeben ist, wenn man sich zu einem Geburtstag oder zu einer Beerdigung trifft.

Französisch...
...kann ich nicht wirklich. Hab's in der Schule nie gehabt und vor zig Jahren mal aus Spaß zwei Abendkurse belegt. Also blieb mir nichts anderes übrig, als ein paar wichtige Sätze auswendig zu lernen. Franzosen sind bekanntlich so sehr in ihre Sprache verliebt, dass sie sich auf etwas anderes eigentlich nicht einlassen. Wenn sie nun jemand in ihrer Sprache sprechen hören, kommen Antworten wie aus dem Maschinengewehr. Wie soll damit ein Grünschnabel wie umgehen...? Klar, ein Bargsten lässt sich von solch französischen Kleinigkeiten nicht unterkriegen, denn auch dafür habe ich schnell einen Standardsatz auswendig gelernt: "Je suis alemán. Langsamer, s'il vous plait!" Geht doch - LACH.

Montag, 13. Juni 2022

Mein Schmetterling und ich


Er hing überkopf mit seinen Füßen an einem zusammegefallenen Spinnennetz, ein hübscher SchmetUnd jetzt passierte das Besondere. Der Schmetterling flog und flog, immer geradeaus. Ich schaute ihm nach und freute mich an seiner neu gewonnenen Freiheit. Nach vielleicht 20 Metern zog er einen kleinen Bogen und kam genauso geradewegs auf mich zu, wie er fortgeflogen war. Ich wartete, um zu sehen, was er nun machen würde. So unglaublich es klingt, dieser Schmetterling kam zurück und setzte sich auf meine Schulter, blieb dort für einen Augenblick sitzen und erst dann flog. Auf nimmer Wiedersehen. Wie cool - ich war total geflasht!terling. Er zappelte heftig mit den Füßen, um loszukommen. Aber wie sehr er auch zappelte, das Produkt der Spinne klebte und ließ ihn nicht los. Er tat mir unendlich leid. Dann schaute ich herum und konnte keine Spinne finden, die sich den Schmetterling auf die Speisekarte gesetzt hatte. Die hätte ich nämlich sofort abgemurkst. 

Nachdem die Unfallstelle von möglichen Gefahren gesichert war, begann die Bergung und Rettung des Opfers. Vorsichtig wölbte ich eine Hand um die Flügel und hinderte ihn am Flattern. Mit der freien Hand nahm ich die klebrigen Fäden. Das war schwieriger als gedacht. War nämlich der Faden von einem Fuß gelöst, fing der kleine Kerl an, diesen heftig zu bewegen. Wer wollte ihm das auch übel nehmen? Allerdings geriet er dadurch gleich wieder in den Spinnenfaden und ich musste das Füßlein erneut befreien. Mannomann, das wiederholte sich bestimmt drei oder vier Mal an jedem seiner Füße.

Endlich war es aber geschafft und ich konnte die andere Hand öffnen und meinen Schmetterling fliegen lassen. Das tat er auch sofort - der Sonne entgegen.


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