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Mittwoch, 10. August 2022

Zusammenfassung meines Jakobsweges

Mit dieser Zusammenfassung möchte ich mit der Beschreibung meines Jakobsweges zum Schluss kommen und jenen etwas liefern, die immer mit dem Ende anfangen. 

Einstimmung 
Knapp ein Jahr vor dem Abmarsch habe ich mit Wanderstiefeln und dem provisorischen Rucksack mit Ballasttanks von 8 kg erste Trainingsrunden absolviert, die ich im Laufe der Zeit stets verlängerte und das Gewicht erhöhte. Waren es zu Beginn rund 10 Kilometer, so hatte ich es kurz vor dem wahren Antritt bis auf 46 Kilometer mit 12 kg hochgeschraubt. 

Zeitgleich habe ich meine Internetrecherchen hauptsächlich bei Bergreif betrieben und darauf basierend meine Einkaufsliste nach den beiden Kriterien minimales Gewicht und minimaler Platzbedarf zusammengestellt. Mit den Einkäufen begann ich 6 Monate vor dem Start, die mir wegen der Winterklamotten schlußendlich ein Rucksackgewicht von 16 kg bescherten.

Zahlen - Daten - Fakten
Wegstrecke
Mit Polarsteps, meiner Tracking-App, habe ich eine Gesamtstreckenlänge von Ahlerstedt bis Finisterre von 4.589 km aufgezeichnet. Im Durchschnitt bin ich 20-25 Kilometer gewandert. Meine kürzeste Strecke war 7 km im Sturm, als der Regen horizontal bis auf die Nasenschleimhautwand durchschlug, und die längste Strecke irgendwo bei 36 km lag. Um aber ehrlich die tatsächlich gepilgerte Wanderung darzustellen, müssen von der Gesamtstreckenlänge diejenigen Abschnitte abgezogen werden, die ich aus verschiedenen Gründen mit Bus oder Bahn zurückgelegt habe:

Gesamtstrecke 4.589km
Bahn Grafschaft - Eichenzell -184km
Bahn Basel - Sonthofen -203km
Bahn Nyon - Genf -29km
Bus Ribadeo - Vilalba -58km
Tatsächlich gelaufen4.115km

Schritte
Bei meiner Körpergröße von 1,70 m können wir von einer durchschnittlichen Schrittlänge von 0,8 m ausgehen. Multipliziert mit der tatsächlich gelaufenen Strecke, kommen wir dann auf rund 5.100.000 Schritte.

Dauer
Start in Ahlerstedt am 16.10.2021 und Ankunft in Finisterre am 23.07.2022 ergibt eine Reisedauer von 281 Tage, oder 40 Wochen + 1 Tag, oder 9 Monate + 8 Tage. 

Ohne Moos nix los
Für Unterkünfte habe ich im oben genannten Zeitraum insgesamt 4.273,28 EUR ausgegeben. Das macht eine durchschnittliche Übernachtungspauschale von 15,26 EUR/Nacht, oder 106,83 EUR/Woche, oder 474,80 EUR/Monat. Hierbei habe ich die Kosten allerdings nicht strikt getrennt,  wenn beispilsweise Frühstück oder gar Halbpension zum Übernachtungspreis angeboten wurde. 

Alle übrigen Ausgaben belaufen sich für denselben Zeitraum auf 7.550,21 EUR. Dazu zählen dann Ausgaben für den täglichen Bedarf wie Brötchen, Käse, Kaffee und vor allem das Bier, als eines der wichtigsten Grundnahrungsmittel des gesunden deutschen Mannes. Aber auch große Brocken, wie ein neues Handy, Hörbücher und ein Audio-Seminar sind in dieser Kalkulation enthalten. Auch hierzu mal eben noch die Aufteilung: 
26,87 EUR/Tag
188,76 EUR/Woche 
838,91 EUR/Monat 

Gesundheit 
Zweimal konnte ich auf Freundeshilfe zählen, als es meinem Körper etwas an Widerstandskraft fehlte. In Köln gab's eine Blasenentzündung und in Luzern eine fiebrige Erkältung. Sonst nichts. 

Wege
Geschätzte Aufteilung der Strecke:
50% Asphalt
30% Schotter
20% Feld- und Waldwege 

Am anstrengendsten fand ich es bei Geröll mit faustgroßem Gestein - egal ob rauf, runter oder in der Ebene. Diese Art kommt überall vor, war aber am häufigsten in Frankreich vertreten. 

Gestürzt bin ich bei den 4.115 Kilometern ganze dreimal, zum Glück ohne irgendwelche Blessuren. Das passierte jeweils bei Gefälle, einmal als Geröllsteine unter Laub versteckt lagen, dann einmal bei nassem Wurzelwerk, und einmal als ich mit meinen Augen nicht auf den Weg geachtet hatte. Dann hab ich immer einen auf Schildkröte gemacht: Der schwere Rucksack am Boden und Horst Bargsten rudert mit allen Vieren in der Luft. Hätte ich ja gerne Fotos davon gemacht, aber das Handy war jedesmal leider nicht im Fotomodus eingestellt. 

Herbergen
Pilgerherbergen findet man in Deutschland nur vereinzelt bei Pfarrämtern und Privat. Herbergslisten scheinen von Ortsverbänden unterhalten zu werden und sind unterschiedlich gut im Internet zu finden und ebenso unterschiedlich gut zu gebrauchen. Meine typische Vorgehensweise war folgende:
1. Telefonanruf beim Pfarramt des Zielortes, gibt es ein Pilgerzimmer oder eine Couch im Gemeindehaus? 
2. Internetrecherche, gibt es für die Region, bzw. diesen Jakobsweg eine Herbergsliste?
3. Facebook-Gruppe "Pilger sucht Dach" durchforsten.  
4. WhatsApp- und Facebook-Kontakte alarmieren und um Unterstützung bitten.
5. Couchsurfing.com checken. Hier begünstigt ein zeitlicher Vorlauf von bis zu zwei Wochen den Erfolg. 

Die definitiv allerschönsten Unterkünfte bekam ich durch die Vermittlung von Verwandten, Freunden und Kollegen, die mich bei ihren Verwandten oder Freunden empfohlen und für mich dort gefragt haben. Ebenso waren meine Erfahrungen mit Couchsurfing.com. 

Für die Schweiz gibt es kostenlose Herbergslisten entlang alle Schweizer Jakobswege als PDF-Download im Internet. 

Für Frankreich gibt es verschiedene Reiseführer. Ich habe den "Miam Miam Dodo" benutzt,  derzum einen den Weg beschreibt und zum anderen auch Herbergen auflistet - allerdings alles auf Französisch. 

In Spanien half mir die App "Buen Camino", die in den fünf Sprachen Spanisch, Englisch, Französisch, Deutsch, Italienisch verfügbar ist. Auch hier sind sowohl Weg-Infos enthalten wie auch die Herbergen aufgelistet. Diese App ist uneingeschränkt kostenfrei. Den Preis von 20,- EUR, den mich ein gedruckter Reiseführer gekostet hätte, habe ich dennoch überwiesen, weil ich meine, das Leben ist immer geben und nehmen. 

Die Herbergen sind immer ein großartiges Erlebnis. Du wirst aufs Köstlichste verwöhnt von Menschen, die du gerade erst kennen gelernt hast. Oder es kann auch mal  deine ganz persönliche Toleranzchallenge sein, und du tröstest dich dann mit dem Ausblick: morgen ist es bestimmt wieder schön.  Die Bandbreite ist gigantisch. 

Von den 280 Nächten hatte ich bis auf ein einziges Mal - und das war in Frankreich, immer ein Bett und ein Dach über dem Kopf, obwohl es öfters am Tage noch ganz anders aussah.

Kirche?
Als Neuapostolischer Christ zähle ich mich zu den aktiven Gläubigen. Das heißt, ich glaube an Gott, Jesus Christus und den Heiligen Geist. Außerdem bedeutet es für mich die Gemeinschaft der in dieser Weise Gleichgesinnten. Das wiederum ist auf der Pilgerreise eine Herausforderung: zu welcher Gemeinde gehöre ich denn jetzt? Okay, hier bin einfach großzügig und fasse alle Christen zu einer Gemeinde zusammen, und schon habe ich fast überall Zugang. Nun bin ich aber die Neuapostolischen Gottesdienste gewohnt. Wie kann ich diese nun fortsetzen? Zum Glück (für mich) kam Covid-19 über die Menschheit,  die mit den verordneten Beschränkungen eine extreme Beschleunigung von Online-Meetings brachte. Das diente ebenfalls der entfernten Teilnahme an Neuapostolischen Gottesdiensten, die plötzlich auch online verfügbar wurden. Problem gelöst!

So konnte man mich andächtig lauschend, fröhlich singend und laut betend durch Feld und Flur marschieren sehen. Nur in besiedelten Gebieten habe ich mich auf das andächtige Lauschen beschränkt. 

Gelegentlich trafen der wandernde Horst und die immobile Kirche sogar Sonntags aufeinander. Das fand ich dann immer als ein Geschenk des Himmels, wenn ich dann live am Gottesdienst teilnehmen konnte. Nur in Gaggenau stand ich zwar rechtzeitig vor der prächtigen, aber coronabedingt verschlossenen Kirche ohne Hinweis auf den Ausfall und ohne Internetangebot. Das war schade.

Ausrüstung und Technik
Eingekauft habe ich das meiste meiner Ausrüstung bei Globetrotter in Hamburg-Barmbek. Manches auch in Sonthofen während meiner Gleitschirmflugausbildung und auch über Amazon. 

Was soll ich hier sagen? Einen Artikel mit Rezensionen über mein Equipment will ich noch als zusätzlichen Artikel als Anhang folgen lassen, mit Infos über Nutzen und abnutzen.


Donnerstag, 4. August 2022

Man sagt ja, dass....

...ein anderer Mensch ankommt, als der, der los gegangen ist!

Habe ich mich verändert? Wirklich???

Vermutlich fallen Veränderungen an der Persönlichkeit eher anderen Leuten auf, als einem selbst. Denn Veränderungen kommen selten über Nacht. Welche Veränderungen andere an mir entdecken, würde mich natürlich brennend interessieren. 

Als ich danach gefragt wurde, was ich glaube, welche Veränderungen ich denn an mir selbst beobachte, fiel mir auf die Schnelle nicht so richtig etwas ein, das ich benennen konnte. Mit längerem Nachdenken kamen mir dann doch ein paar Dinge in den Sinn. 

Schießen wir mal los...
Hier ein paar Gedanken zu der einleitenden Behauptung: 

Eine neue Gelassenheit, bezüglich Planungen, Vorhaben scheint sich in mit breit zu machen. Das heißt, wenn Dinge einen anderen Verlauf nehmen, als geplant, dann suche ich die Vorteile darin zu finden.

Ein weiterer Punkt ist Genügsamkeit. Was brauchst du eigentlich zum Leben? Die Pilgerschaft beantwortet diese Frage ganz eindrucksvoll: Nahrung, geeignete Kleidung - vor allem gute Schuhe, für die Nacht möglichst ein weiches Bett und ein Dach über dem Kopf. Damit ist das Wichtigste genannt. Schaue ich in meinen Rucksack, dann ist darüber hinaus alles drin, was nötig ist. Kein Frust, auch nicht nach Monaten. Ich finde es erstaunlich, mit wie wenig Dingen wundervolles Leben möglich ist. 
Übernachtung in einem alten abgestellten Wohnwagen.

Ich spüre deutlich größere Toleranz gegenüber Menschen, die anders ticken. Klar,  es gibt immer wieder mal Leute, über die man sich wundert. Ein Beispiel: wenn du Druck auf dem großen Kessel hast, das Marschieren schwieriger wird und dann irgendwo klingelst, um dich zu erleichtern und du eins ums andere Mal teilweise richtig mürrische Absagen kriegst, dann wundere ich mich immer mehr. Einer sagte mal "Entrez dans la nature". Da blieb mir dann auch echt nichts anderes mehr übrig. Ohne Foto!!!

Oder das Thema Beobachtung. Du hast unterwegs so viel Zeit, Pflanzen und Tiere anzuschauen. Und du staunst und bewunderst, wie sich die Natur unter dem Einfluss der Jahreszeiten verändert. Ich nehme das alles jetzt viel bewusster wahr. Herbst, Winter, aber ganz besonders schön finde ich es natürlich im Frühling, wenn alles zu neuem Leben erwacht. Oft wurde ich an meine Kindheit zurück erinnert, als ich bei jedem Wetter draußen im Wald war und auch so viele unspektakuläre Dinge, wie Frösche, Salamander, Stichlinge, die verschiedensten Vögel, usw. gesehen habe. Auf diesem Jakobsweg habe ich auch manches Neue gesehen, wie Smaragdeidechsen, wild wachsende Yuccapalmen, Schlangen...

Veränderte Gebete
Von Kindesbeinen an waren meine Gebete überwiegend von kurzem Dank und vielen Bitten geprägt. Das liegt ja eigentlich auch nahe, denn es heißt ja auch "beten, bitten...". Es waren stets bedürfnisgetriebene Gebete. Sie enthielten zumeist Bitten um Dinge, die ich nicht hatte oder deren ich nicht sicher war, wie gute Schulnoten, einen Ausbildungsplätze, einen guten Job, eine passende Frau, gesunde Kinder, etc. Man hat ja schließlich positive Bedürfnisse.  Vieles habe ich in meinem Leben auch bekommen.

Veränderungen meiner Gebete wurden ausgelöst durch einen einzigen Satz, den ich schon vor einigen Jahren in einem Gottesdienst hörte, und der ging so:  "...lasst uns nicht immer auf den Mangel schauen...". Auf meinem Jakobsweg bin ich dann dieser Aussage auf den Grund gegangen und habe mich gefragt, worauf ich mich dann fokussieren kann und will? Herausgekommen ist dabei ein neues Gebet mit folgenden Inhalten. Es umfasst natürlich immer noch Dank und Bitte,  aber mit geänderten Schwerpunkten:

Dank  
- für mein Leben und meinen gesunden Körper 
- dass ich in genau diese Familie hinein geboren wurde und diesen Vater und diese Mutter habe, mitsamt den Brüdern 
- für die besondere Fürsorge durch meinen Onkel und meine Tante
- für meine Kinder und die Zeit, die ich  mit deren Mutter haben durfte 
- für meine Freunde, Lehrer und alle Menschen, die mir Gutes wollen 
- dass ich mich jeden Tag satt essen kann und immer genug Milch im Krug habe
- dass ich Kleidung, mein Auskommen habe und in Frieden leben kann 
- dass ich gehen, laufen, springen, tanzen und mich bewegen kann 
- dass ich sprechen, singen, lachen und weinen kann 
- dass ich denken kann und Gefühle habe 
- für meinen inneren Frieden, meine Liebe und meine Freude 
- über die göttlichen Verheißungen der Wiederkunft Jesu Christi, dem Errichten des Friedensreiches, einer neuen Schöpfung - und dass ich daran glauben kann 

Bitte
- um ein reines Herz in meinem Denken, Reden, Tun
- um Wachheit, Maß und inneren Frieden 
- um Hilfe, das Gute, das Nächstliegende und das Not-wendige so gut wie möglich zu tun
- um Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und auch um Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht  ändern kann 
- um Hilfe, für andere da sein zu können  und diejenigen zu sehen, die sonst keiner sieht 
- um Segen für die, die ich liebe 
- um inneren Frieden für alle Menschen 
- um das baldige Wiederkommen des Herrn Jesus Chistus.

Amen!

Dienstag, 2. August 2022

Der Spanische Küstenweg und das Ende der Welt

Eine ganz neue Grenzerfahrung 🇫🇷-🇪🇦
Die Strecke am 15. Juni 2022 wurde lang und länger. Morgens in Sare, einem Dorf der französischen Pyrenäen gestartet, sollte die Tour mit vielen ermüdenden Aufs und Abs die spanische Grenzstadt Irun das Ziel für die nächste Übernachtung sein. Soweit mein Plan. Irgendwie bin ich richtig gut vorwärts gekommen, und zwar ohne zu cheaten - ehrlich. Großes Indianerehrenwort! Um die Mittagszeit befand ich mich nämlich bereits in Irun und auf spanischen Boden.

Wenn man weiß, dass der Übergang vom Wanderweg GR65 von St. Jean Pied de Port zum Camino del Norte zwar markiert ist, es jedoch an einem Wanderführer mit Herbergsliste in der Art des 'Miam Miam Dodo' oder einer entsprechenden Website völlig fehlt, dann bedeutet es, dass der Pilger kaum Pilgerherbergen findet. Die Ortschaft Sare war ein Glücksfall. Der dortige Campingplatz verfügt über ein separates Haus mit einer Anzahl Betten und der Pilger braucht sich nicht die sanitären Anlagen mit Campern teilen. Dort also recht früh gestartet, befand ich mich - wie gesagt, sehr zeitig in Irun.

Halb eins! Hey, dss ist definitiv zu früh, um in der Herberge abzusteigen. Außerdem hatte ich noch nicht einmal eine solche gebucht. Da ich mich von hier an auf dem "Camino del Norte", dem Spanischen Küstenweg befinde, gibt's mit Hilfe der mehrsprachigen App Buen Camino alle erforderlichen Infos über Sehenswürdigkeiten, Beschaffenheit der Wege und alles über die Herbergen in den verschiedenen Orten am Weg bis ganz nach Santiago. Hier und jetzt stellte sich für mich die Frage, wo befindet sich eine Herberge in ungefähr zwei bis drei Stunden Entfernung von meinem jetzigen Standort? Ich gucke, uns sehe, da ist keine eingetragen. Keine einzige. Mist! Für die nächste müsste ich 19 km zurücklegen. Dafür brauche ich aber mindestens fünf bis sechs Stunden. Scheibenkleister!!! Aber hier bleiben schockt auch nicht so richtig. Mit nur wenig Überzeugung und etwas Bammel entscheide ich mich schließlich fürs weiterlaufen. Der Weg geht über den Höhenzug Jaizkibel, der seine 270 m Höhe auf 12 km bis Pasaia verteilt. Als ich unterwegs auf die App schaue, fällt mir auf, dass die Herberge um 22 Uhr schließt. Himmel, A.... und Zwirn! Ich sollte vielleicht mal anfragen, ob die mich auch später rein lassen. "Nein nein nein, das geht nicht..." kam die freundliche Antwort am Telefon. Wie weit ist es noch? 8 km. Macht zweieinhalb Stunden bei meiner Durchschnittsgeschwindigkeit von 3,5 km/h - ohne Pause. Und es ist bereits 20 Uhr. "Das wird nix" konstatiert mein innerer Kritiker und lacht sich eins ins Fäustchen. Jetzt brauche ich aber keinen schadenfrohen Dummschnacker, sondern einen, der mir Feuer untern Arsch macht und Speed in die Beine gibt. Hallo, innerer Antreiber, wo steckst du? Jetzt brauche ich dich mal, sonst schlafen wir allesamt unter irgendeinem Baum! Und ZACK ist er auch schon zur Stelle und weiß genau, was zu tun ist. Ich konnte es selbst kaum glauben, plötzlich war mein Weg potteben, wie in der norddeutschen Tiefebene, trotz Gebirge! Und meine Ankunft an der Herberge war 21.40 Uhr. Cool, mit dem inneren Team kann man ja richtig arbeiten. Das werde ich mir merken.

Die Spanische Nordküste
Was ich im Voraus nicht wusste, war, dass das Bergland dort im Norden eine geologische Verlängerung der hochalpinen Pyrenäen darstellt. Die höchsten Gipfel mit bis zu 2.650 m befinden sich im Gebiet "Picos de Europa". Der Anblick dieser Gebirgskette vom Strand von Playa de Merón bei San Vicente ist einfach phänomenal und lässt sich mit Worten nicht beschreiben.
Die Wanderroute verläuft nun aber nicht durch die hohen Berge, sondern nahe der Küste. Nach meinem Empfinden allerdings nur bis etwa zu 50% unmittelbar vor der Küste. Dort führt der Weg entlang über hohe Felsklippen, die sich abwechseln mit Buchten, die von herrlichen Stränden gesäumt sind. Mal schaust du von oben auf die Wogen, die donnernd auf Felsen klatschen, mal läufst du den Strand entlang und staunst, wie hoch die Wellen aufsteigen, bevor sie mit Getöse brechen und bis zu deinen Füßen herauf spülen.
So gut wie jeder Badestrand hat eine oder mehrere Surfschulen. Für mich als Pilger eine entsetzliche Versuchung da zu stoppen und mich einzuschreiben. Denn ich liebe Wassersport. Würde ich hier eine Pause einlegen, wäre meine Pilgerreise vermutlich Geschichte. Zum Glück habe ich ja meinen inneren Antreiber, der Santiago und eventuell auch Finisterre im Sinne hat. Ihm überlasse ich diesbezüglich das Regiment. Also keine Surfschule. Später!

Der Camino del Norte führt auch mal ein Stück weg von der Küste. Meerblick ist über manche Strecken nicht gegeben. 

Begegnungen
Während ich in Frankreich überwiegend Franzosen in den Herbergen angetroffen habe, ist es ab meiner ersten Herberge in Spanien - in Pasaia, eine international bunt gemischte Truppe aus Spaniern, Tschechen, Italienern, Holländern und Deutschen. Später wurde das Feld ganz eindeutig von US-Amerikanern dominiert. Aus meinen Begegnungen möchte ich einige hervorheben, die mich besonders gefreut und inspiriert haben. Da war Yves aus Belgien, der den ganzen Weg von Zuhause mit Esel und Zelt machte; dann Candela von Teneriffa, mit der ich über den Wert der Gelassenheit philosophierte; Renee aus USA, die von oben bis unten durchtätowiert ist. Bei ihr finde ich ihre Tätowierungen am rechten Handrücken, der vollständig schwarz ist, sowie weiße Ornamente an Stirn und Hals bemerkenswert. Obendrein ist sie ein unglaublich witziges Mädel; Valmar, ein ruhiger, braungebrannter aber total cooler Typ aus Estland; Dee, the sweet Bee from Ireland; Emil der Mentalist, mega-cool, aus Slowenien; ferner Erik, der Dänisch sprechende Franzose, den ich so unglaublich herzlich und emotional erlebt habe. Mit ihm hatte ich auch das längste immer-mal-wieder-treffen von Bilbao bis nach Santiago; und - last but not least: José, ein Einheimischer in Asturias, dem es eine Freude war, mir seine Zeit und sein Wissen zu widmen. Darüber habe hier geschrieben

Eigentlich müssten noch mindestens zwanzig oder dreißig weitere tolle Leute erwähnt werden. Jede einzelne Begegnung war speziell und inspirierend. Hier ein paar Namen, die mir auf die Schnelle einfallen: Emily, Madeline, Sonia, Sam + Magi, Lane allesamt aus USA, Doris aus dem Allgäu, Elke aus Sachsen, Monika aus der Schweiz, Carmen vom Oficina del Peregrino in Santiago, Jorge aus Spanien, André aus Tschechien, und so weiter... Mit all diesen Menschen sind auf besondere Weise Verbindungen entstanden.
Dann gab es aber noch diese drei Begegnungen in Spanien, die mir besonders viel bedeuten und die ich auf keinen Fall unerwähnt lassen darf:
 
Harald - wir kennen uns schon deutlich länger als sechzig Jahre. Das kann bei leiblichen Brüdern nach einer gewissen Zeit schon mal vorkommen. Dieser Kerl hat mich unschuldigen Pilger jedenfalls aufs heftigste mit seinem Auftauchen in Luarca auf "meinem" Weg überrascht. Hier gibt's die ganze Story darüber zu lesen...
Mit Harald ging es nun durchaus unerwartet, dafür umso lustiger, zu Zweit weiter bis Santiago. Harald hat sich wacker geschlagen und tüchtig Kilometer gemacht. Ein bisschen nervig waren für ihn die Wärme und die Steigungen, vor allem wenn sie zusammen auftraten. Dann heißt es "Pilger hilft Pilger", da beißt die Maus keinen Faden ab...!

Heike - Wir kennen uns seit neun Jahren. Immer wieder haben wir Gelegenheiten genutzt, uns wiederzusehen. Das letzte Mal war in der Schweiz. Wir berichteten. Nun hatte Heike noch zehn Urlaubstage zu verbraten und wollte mit mir den Abschluss nach Santiago laufen. Damit war ich jedoch nicht einverstanden, weil ich nach rund 4.000 Kilometern allein ankommen wollte (von Harald's Überraschung wusste ich ja noch nix). Also haben wir uns ungefähr drei Wochen zuvor für die Zeit nach Santiago verabredet. Ganz ehrlich, das würde ich nicht nochmal wieder so machen. Also mit Heike verabreden schon, aber nicht drei Wochen vorher auf dem Pilgerweg. Von da ab, war es nämlich ein Lauf nach dem Kalender - gar nicht toll! Das Treffen selbst dagegen war toll, haben die Etappen bis Finisterre ja gemeinsam bewältigt, sind ein Stück den Portugiesischen Pilgerweg rückwärts, das heißt von Santiago nach Porto, marschiert und haben uns die absolut sehenswerte Stadt Porto angeschaut.

Yucy - Wir kennen uns als gegenseitig Interessierte einer Fremdsprache übers Internet. Ich suchte jemanden zum Spanisch sprechen und sie jemanden zum Englisch sprechen. Durch die Tandem App ist unser Kontakt entstanden. Nun ja, gelegentlich telefonierten wir miteinander, aber fast nur Englisch. Mit dem Fortschritt meiner Pilgerreise wurde die Wahrscheinlichkeit einer persönlichen Begegnung immer größer, weil der Camino del Norte durch Luarca verläuft und Yucy eben dort wohnt. Es würde vielleicht ein bisschen weit führen, die Begegnung in Einzelheiten auszuführen, aber alles in allem war auch dies eine überaus erfrischender Moment.
Santiago de Compostela
Für einen Jakobspilger ist das Erreichen von Santiago de Compostela der ultimative Höhepunkt seiner Pilgerfahrt. Und nicht wenige nehmen sich dann auch gleich noch Finisterre, das Ende der Welt vor. Zu dieser Gruppe gehöre auch ich - wenn schon, denn schon! Sind ja eh nur 90 Kilometer weiter.
Den Einmarsch nach Santiago am 18. Juli 2022 empfand ich als etwas Schönes, denn das Wetter war herrlich klar und Harald war mit dabei. Ansonsten war es wie in anderen Städten. Auf den emotionalen Breakdown, von dem so viele Pilger erzählten, wartete ich jedoch vergeblich. 
Stattdessen habe ich den Augenblick in völliger Gelassenheit auf dem großen "Platz des Obradoiro" vor der Kathedrale ausgekostet, Fotos geschossen und habe mir die "Compostela", das Zertifikat, ausstellen lassen. Und na klar, die Pilgermesse haben wir uns auch nicht entgehen lassen. Allerdings wurde das große Weihrauchgefäß NICHT für uns durch den Saal geschwungen. Was soll's, man kann schließlich nicht alles haben.
Den einzigen Pilger, den ich hier wiedersehe ist Eric, der Dänisch sprechende Franzose. Wir liegen uns minutenlang in den Armen. Ich glaube, das versteht nur jemand, der den Weg einmal gemacht hat.
Diesen besonderen Tag haben Harald und ich dann mit Spanischen Tapas und Vino Tinto würdig abgefeiert.

Wenn der Jakobsweg zu Ende geht
Schichtwechsel in Santiago: Wir schreiben den 19. Juli 2022, als Heike angeflogen kommt. Zwei Tage später entschwebt Harald in Richtung Berlin. 

Nun geht's noch nach Finisterre (Spanisch), oder Fisterra (Galicisch). Ich glaube, ich habe noch mindestens zwei weitere Schreibweisen gesehen. Jedenfalls sind das nochmal vier Kilometer extra hinter der Ortschaft Finisterre. Es ist eine felsige Halbinsel, auf deren äußerem Punkt der Leuchtturm steht. An den verschiedenen Riten, die irgendwelche Pilger sich haben einfallen  lassen, wie beispielsweise seine Wanderschuhe ins Meer werfen oder sie verbrennen, habe ich mich nicht beteiligt, weil ich keinen Sinn darin sehe. Dutzende, wenn nicht hunderte von Pilgern haben sich hier versammelt und warten auf den Sonnenuntergang. Ich ebenfalls!

Hier steht auch der Meilenstein mit 0,000 km. Genau da wollte ich ankommen. Das Foto dokumentiert diesen Moment.
Selbst am Ende der Welt musst du dich benehmen! Treffe ich hier doch tatsächlich auf Simone mit ihrem Sohn Mattis (hoffentlich habe ich seinen Namen richtig geschrieben). Was ist Besonderes daran? Nun, die beiden kommen aus Harsefeld, meiner Nachbargemeinde der Neuapostolischen Kirche als ich noch ein Zuhause hatte.

Mit dem Sonnenuntergang an diesem Tag, am 23. Juli 2022 und dem 281. Tag nach meinem Aufbruch in Ahlerstedt, endet meine Pilgerschaft auf meinem persönlichen Jakobsweg. Die untergehende Sonne nimmt diese Reise mit ins Meer der Vergangenheit. 
Was bleibt, sind Erinnerungen an endlos viele magische Momente mit bezaubernden Menschen. Ebenfalls bleiben Veränderungen, die ich an mir selbst erleben konnte. Darüber mehr im nächsten Artikel.

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