Translate

Freitag, 3. März 2023

Wie verrückt muss man eigentlich sein...!?

...um sich den Ritt auf dem Wüstenexpress zuzumuten???

Der Wüstenexpress
Ich weiß nicht mehr, wann es war, dass ich im Podcast von Nick Martin die Geschichte vom Iron Ore Train (Spotify Link) gehört habe. Aber es hörte sich so spannend an und ich habe angefangen, darüber zu googlen. Es geht um die Fahrt auf der Ladung eines offenen Waggons des mit Eisenerz beladenen Güterzuges - rund 20 Stunden, über 700km durch Wüste und Niemandsland, von Zouérat nach Nouadhibou. Angeblich soll dieser Zug, mit bis zu 250 beladenen Waggons, der längste und schwerste Zug der Welt sein. Andersherum - warum sollte ich das eigentlich nicht machen? Wie ein Vagabund auf Güterzügen durch die Staaten, davon hatte ich schon als Jugendlicher geträumt. Auch wenn das hier ganz woanders ist als in den Staaten. Hey, was macht das schon? Den finalen Entschluss traf ich irgendwo in Portugal, als Marokko immer mehr in Reichweite kam. Allein, es sollte mit meinem Reiseverlauf nicht Juni, Juli oder August werden, um nicht trotz ausreichend Wasser an Bord unterwegs zu verglühen.

Der zeitliche Plan geht auf! Von Mitte bis Ende Januar reise ich durch Marokko, dann bin ich für den ganzen Februar als Deutschlehrer gebucht (was schließlich ein kleiner Flop war - siehe hier), im April heiratet meine Möhre, wozu ich nach Deutschland fliege und dazwischen passt haargenau Mauretanien mit dem Zug. Perfekt!!!

Sich informieren und vorbereiten!
Nun ja, gooooogeln! Drei Hinweise habe ich gefunden und mir zu Herzen genommen. Erstens, Eisenerz staubt - eine Skibrille leistet dagegen gute Dienste. Zweitens, schütze dich gegen die Sonne. Und drittens, hab genug Wasser dabei.

Fangen wir mit Erstens an. Bereits in Spanien habe ich mich auf der Suche begeben. Leider scheint man dort den Skisport nicht zu kennen, nichts zu finden, das nach Skibrille aussieht. Ob ich mir eine von Zuhause zuschicken lasse, oder bei Amazon was Billiges bestelle? In jedem Fall hätte ich eine Empfangsanschrift benötigt. Bei meinen kurzen Verweildauern je Hostel ist das Ding der Unmöglichkeit. Als ich schon gar nicht mehr damit gerechnet habe, ist mir das Glück hold: bei Agadir finde ich in einem Mopedladen die gesuchte Schutzbrille. Das trifft sich auch deswegen gut, dass ich das Teil nur wenige Tage mit mir herum schleppe.

Kommen wir zu Zweitens. Gegen die Sonne schützt sich jeder Marokkaner und Mauretanier mit seinem Hauli, dem Arabischen Turban. Dafür kaufe ich auf einem Markt ebenfalls in Agadir einen vier Meter langen Schal. In weiß. Die Wickeltechnik lass ich mir immer wieder von verschiedene Männern zeigen, bis ich es selbst drauf habe.

Bezüglich Drittens ist mir folgendes passiert. Es geht um den erforderlichen Wasservorrat. Im Podcast und in einem Blog erfahre ich, dass man lieber etwas mehr als zu wenig dabei haben sollte. Also entscheide ich mich für neun Liter pro Nase, zwei Kisten. Aber letztendlich trinkt jeder von uns beiden tatsächlich nur eine Flasche zu 0,75l. Denn es wird nicht heiß. Natürlich hätte es anders kommen können, aber schließlich laden wir einen vollen und einen abgebrochenen Karton wieder ab. Sei's drum. Zu wenig Wasser wäre schlimmer!

Einer geht noch: Viertens! Ich wollte nämlich wissen, wie kalt es in der Nacht werden kann. Im Mai scheint es durch die Nacht warm genug zu bleiben, laut Podcast. Ich nehme mir vor, irgendwo Second Hand Klamotten zu beschaffen, und damit zwei Fliegen mit einer Klatsche zu schlagen, (1) mehr Wärme bei mögliche Kalte, und (2) meine einzige Kleidung gegen Verschmutzung durch den Staub zu schützen.

Von meinen beiden neuen Russischen Freunden, die gerade ihre Reise mit dem Zug durchlebt haben, erfahre ich per WhatsApp, dass es ihnen ab 3:00 morgens richtig kalt wurde. Okay, alles klar. Gegen Kälte gibt es hier überall dicke Wolldecken zu kaufen. Ich hole mir eine in Zouérat, kurz vorm Aufsteigen sozusagen. 

Anreise
Rückblende - In Agadir geht mein Besuch in Marokko zu Ende. Folglich zählt ab Agadir alles zur Anreise zum Iron Ore Train:

15.02.2023 Von Agadir/Inezgane nach Dakhla, Abfahrt 21:00 Uhr mit dem Reisebus 21 Stunden Fahrt.

16.-19.02.2023 Dakhla, 3 Übernachtungen und dann am 19.02.2023 um 8:00 Uhr mit dem Reisebus bis zur Grenze zu Mauretanien.

Grenzübertritt nach Mauretanien am 19.02.2023
Das Abenteuer an der Grenze habe ich ausführlich hier beschrieben.

Seit Dakhla befinde ich mich in Gesellschaft von Denis und Slava, zwei Russen, und seit der Grenze ist Raúl dabei, der Spanier, der mit seinem Mercedes Benz nach Gambia unterwegs ist und uns drei mitnimmt.

Nouadhibou
Uns ist klar, dass wir Nouakchott heute keinesfalls mehr bei Tageslicht erreichen werden. Raúl hat das sowieso nicht vor. Er will nach Nouadhibou und morgen nach Nouakchott weiter fahren. Damit habe auch ich mich für Nouadhibou entschieden, denn das war auch mein ursprünglicher Plan. Die beiden Russen, die es etwas eiliger haben und lieber per Anhalter nach Nouakchott kommen wollten, haben sich dann doch Raúl und mir angeschlossen.
Nouadhibou liegt auf einer Landzunge wie auch Dakhla in Marokko. Je mehr wir uns der Stadt nähern, umso mehr Plastikmüll liegt im Wüstensand. Unvorstellbar! Überall liegen Wasserflaschen und Plastiktüten im Wüstensand - aber auch viel anderes. Das ist keine Sünde, es ist eine Katastrophe (meine persönliche Meinung). Kaum haben wir die Stadt erreicht, tobt der Bär! Der Verkehr hier ist irre. Kaum ein Fahrzeug, dem nicht mindestens irgendein Karosserieteil fehlt. Zwei Drittel sind Mercedes Benz, und davon wiederum neunzig Prozent das 190er Modell.
Trip von Nouadhibou nach Nouakchott am 20.02.2023
Gestern Abend hatten wir die Busstation für das Ziel Nouakschott gefunden und machen uns rechtzeitig auf, einen der 10-Uhr-Busse zu bekommen. 
Es sind 18-Sitzer, allesamt Marke Toyota. Auf dem Dachträger werden sämtliche Gepäckstücke verstaut und mit Netz vor der Abfahrt gesichert. Etliche Männer kümmern sich um die Fahrtüchtigkeit des Wagens. Tatsächlich fahren wir um 11.30 Uhr los. Ich sitze vorne und sehe dabei zu, wie der Fahrer mit 80-90 km/h über die unglaublich schadhafte Straße rast, mehr oder weniger erfolgreich versucht, Schlaglöcher zu umrunden. Du denkst, das hält kein Auto aus. Obwohl insgesamt sehr wenig Autos auf der Strecke zu sehen sind, wird es dann sieht das richtig dramatisch, wenn ein entgegen kommendes Fahrzeug mit gleicher Fahrweise unterwegs ist. Zehn volle Stunden brauchen wir bis Nouakschott, zwei Gebetspausen und zwei weitere Restaurantpausen von je einer halben Stunde eingerechnet.

Wie schon auf der Strecke durch die Westsahara, ist die Wüste zunächst von geröllartigem grauen Gestein übersät, das aussieht, als wären Betonreste einfach in die Landschaft verstreut worden und da ausgehärtet. Und ganz viel Erosion durch Wind und Wetter ist in hügeligem Gelände zu sehen. Da gewinnt der Spruch vom Zahn der Zeit eine natürliche Bedeutung.
Beim Zwischenstopp an einer Tanke treffe ich mitten in der Wüste vier Radfahrer, zwei Deutsche, eine Spanierin und eine Marokkanerin. Letztere ist 27 Jahre alt und will mit ihrem Rad bis Kapstadt radeln. Crazy! Das schlimmste Stück habe sie hinter sich, die Wüste der Westsahara. Jetzt würde es bald wieder grün. Davon habe ich heute zwar noch nichts gesehen, aber Glaube versetzt ja bekanntlich Berge - dann sicher auch Bäume. Aber tatsächlich durchqueren wir fortan zunehmend "fruchtbares" Gebiet. Denn es gibt immer mehr Grasbüschel im Sand und niedrige Bäume vlt. bis 5 m hoch. Auch der Sand verändert sich, er wird von grau-Hocker zu gelborange.

Hilfsbereitschaft in der Wüste ist überlebenswichtig! Auf freier Strecke hält unser Busfahrer an, um einen liegengebliebenen Wagen wieder in Schwung zu bringen. Mit 8 Mann wird geschoben und geschoben, bis der Motor wieder läuft.

Tiere? Eher Fehlanzeige. Zwei oder drei Vögel sehe ich zwischen Nouadhibou und Nouakchott. Das ist alles.

Nouakschott 20.02.2023 - Ankunft um 20:30 Uhr
Die beiden Russen haben eine andere Unterkunft als ich und wir verabschieden uns voneinander. Außerdem haben sie es eiliger mit dem Zug, als Raúl und ich. Zusammen mit Raúl habe ich Unterkunft in einer Zelthütte bei Sébastien Bouhot, der die Auberge Triskell betreibt - die eine richtige Oase in dieser staubig-schmutzigen Umgebung ist, bekommen. 
Toilette und Dusche mit oben ohne.

In diesem Zeltlager entdecke ich einen ziemlich hart ausgebauten Land-Rover. Er gehört Martin aus Uruguay. Ein super sympathischr Kerl. Wir reden und tauschen Nummern aus. Er würde sich riesig freuen, mich bald in seinem Heimatland begrüßen zu können. 
Später am Nachmittag gehen Raúl und ich über den Markt, um nach Second-Hand-Klamotten Ausschau zu halten. Ich denke mir, das Zeug einfach über meine Kleidung zu ziehen, um diese zu schützen und ggf. für die Nacht warm genug angezogen zu sein. An einem Stand finden wir genau, was wir suchen. Und ich staune nicht schlecht, als ich auf einmal eine Sportjacke vom SSV Heidenau in der Hand halte. Mit dieser Sportjacke, einer Jogginghose und einem Poloshirt fühle ich mich gut gerüstet für den Eisenbahnritt. An einem anderen Stand finde ich kleine Gebetsteppiche, wo ich mir denke, das könnte eine gute Sitzunterlage auf dem Erz sein. Gut heruntergehandelt nehme ich so einen Teppich mit.

Sébastien berät uns für einen Abstecher nach Tirjit und organisiert die Unterkunft in der Oase bei Jemal und auch den Transfer dorthin mit - was könnte es auch anderes sein - einem Toyota-Minibus.

Raúl bekommt derweil Sorge um sein Auto, das in Nouadhibou abgestellt steht und entschließt sich, den nächsten Bus zurück zu nehmen, seinen Mercedes zu holen und dann in Nouakschott auf mich zu warten, bis ich vom Iron Ore Train komme, denn wir hatten uns bereits darauf verständigt, gemeinsam ins Sénégal zu reisen.
 
21.02.2023 Oase Tirjit
Mit einem Minibus um 17:30 bei 33°C in Nouakchott gestartet, erreiche ich Tirjit um Mitternacht. Seit Stunden fahren wir durch die Nacht und ich habe keine Ahnung, wie die Landschaft draußen aussieht. Was ich zuletzt im Tageslicht sehen konnte, war eine an Ostfriesland erinnernde flache Ebene, die jedoch nicht von grünem Gras, sondern mit ockerfarbenenem Sand übersät ist. 

Ankunft in Tirjit ist um Mitternacht. Beim Aussteigen in nachtschwarzer Dunkelheit bin ich überwältigt vom Blick nach oben. Der Himmel ist übersät mit Sternen, wie ich es so noch nie gesehen habe.

Die Oase Tirijt liegt in einem Tal, das über lange, lange Zeit aus einem mit mehreren Ebenen bestehenden Hochplateaus herauserodiert wurde. Die Oase hat eine Quelle, die von dem wenigen Regen, das übers Jahr auf die Berge fällt und vom Boden aufgenommen wird, gespeist wird. Faszinierend! Hier hat Jemal liebevoll eine Herberge, bestehend aus etlichen Berberzelten, hergerichtet. Es sind sanitäre Anlagen vorhanden und Vollverpflegung ist im Preis enthalten. 
Gegessen wird traditionell, das heißt ein großer Teller für alle und von der Hand in den Mund.

An diesem friedlichen Ort will ich bleiben und verlängere um eine Nacht. Ich bestaune die karstige Bergwelt. Aus geologischer Sicht muss das alles mega interessant sein. 
Dann streife ich durch die Palmen der Oase und treffe auf jemanden, der seine Palmen wässert.
Und ich sitze viel mit Jemal zusammen. Wir trinken Minztee und reden wenig. Es ist, als würde die Zeit stille stehen. Nichts geschieht hier in Eile. Der reinste Genuss! 

Hier im Zeltlager von Jemal treffe ich Lise, eine junge Französisin, die in Paris Geopolitik studiert mit Schwerpunkt Mauretanien. Dafür verbringt sie ein paar Wochen im Lande. Als sie von meinem Plan hört, der Erzzug zu fahren, will sie das spontan auch machen.
Abschied von Jemal.

Jemal's Fahrer bringt uns beide nach Atar, wo wir gegen 10:30 ankommen. Aber der Minibus von hier nach Zouérat geht erst um 15 Uhr. Die Stadt ist unerwartet groß und verfügt sogar über einen internationalen Flughafen. Auf der Suche nach einem Mitbringsel begleite ich Lise durch die Stadt. Es ist extrem staubig, weil die Straßen der Innenstadt nicht befestigt sind. Straßen sind zumeist nackter Boden. Nur ein paar wichtige Straßen sind befestigt. Auf dem Markt wird alles verkauft, was essbar ist. Unbekannte Körner neben Linsen und Bohnen. Aber auch Fisch liegt bei warmen Temperaturen im Freien aus. Gut anzuschauen ist das Obst: Bananen, Orangen, Äpfel. Baguettes werden in Schubkarren zum Verkauf herumgeschoben oder ausgestellt.
Unterwegs nach Zouérat legt auch dieser Bus eine Gebetspause ein, in der ich einen Fahrgast ober auf dem Dachträger gewahr werde... 

Zouérat
Sieben Stunden braucht unser Minibus bis Zouérat. Zouérat ist eine Industriestadt, die von den Eisenerzvorkommen der Umgebung lebt. Tourismus gibt es hier nicht. Daher blieb auch meine Suche nach Hostels ergebnislos. Wir haben die Wahl zwischen zwei Hotels, Tiris Zemmour und das Le Tazadit der Gruppe Somasert Hotels. Das Personal des ersten Hotels Tiris Zemmour verhält sich ziemlich reserviert bis unfreundlich. Wir gehen um das Le Tazadit Hotel zu testen. Hier ist der zwar Preis gleich, aber der Rezeptionist ist mega freundlich und zuvorkommend. Wie fühlen uns auf Anhieb gut aufgehoben und haben nicht das Bedürfnis, den Preis zu drücken. Der Rezeptionist stellt sich als Zo vor. Er ist ein echter Glücksgriff, ein liebenswerter Kavalier...mein Held von Zouérat. Er nimmt sich alle Zeit der Welt, uns den Zug zu erklären, die Abfahrtszeit um 15:30 Uhr und sorgt schließlich für unseren Transport dorthin, sodass wir das Taxi sparen können. Kurz vor der Abfahrt besorgt er auch noch ein kostenloses Lunchpaket für unsere Reise. Ich bin total von den Socken!!!

24.04.2023 - Countdown für den Zug!!!
Ich habe gut geschlafen und bin ein bisschen aufgeregt. Jetzt wird sortiert. Was brauche ich unbedingt und kommt in den Tagesrucksack, und was landet im Rucksack, der mit einem Müllsack überzogen und mit Klebeband verschlossen wird. Den Rucksack will ich bestmöglich vor dem schwarzen Staub schützen und unterwegs möglichst  nicht öffnen. 

Jetzt bin ich sortiert! 

Tagesrucksack
3 Baguettes
1 Paket Butterkekse
1 große Tüte Nussmischung
2 Powerbanks
1 Ladekabel 
1 Motorrad-Schutzbrille
1 Hauli, der 4m lange!

Außerdem:
- Einen Karton Wasserflaschen
- Das Fresspaket von Zo
- Der kleine Gebetsteppich
- Eine Wolldecke
- Die Second-Hand-Klamotten
- Mein Rucksack im Müllsack 
Alles gut gebündelt, bringe ich es zur Rezeption. Auch Lise hat ihre Sachen dazu gestellt. Von dort ist es mit wenigen Handgriffen schnell im Auto verstaut, als Zo mit dem Fahrer des 4x4 Pick-up am Nachmittag auftaucht. 

Und dann geht es los! Wir fahren etwa drei Kilometer aus Zouérat zum "Bahnhof", also jener Stelle, wo mehrere gefüllte Waggongarnituren auf Parallelgleisen darauf warten, zu einem langen Zug zusammengekoppelt zu werden. Zo diskutiert mit einem Bahnarbeiter, der ziemlich wichtig aussieht, welche Garnitur voraussichtlich direkt hinter die Lokomotiven gehängt werden wird, damit wir möglichst keinen Staub von vorausfahrenden Waggons ins Gesicht bekommen. Entsprechend wird und die Garnitur gezeigt und Zo's Fahrer bringt uns zum vordersten Waggon. Jetzt heißt es auf die Kupplung und den Sprossen über die gut drei Meter hohe Waggonwand zu steigen und das hochgereichte Gepäck aufzunehmen. Geschafft!
Das Eisenerz ist weich wie Sand und gibt unter jedem Schritt nach. Ich sinke bis zum Knöchel ein. Als mit der Hand darin grabe, spüre ich, wie schwer das Mineral ist. Sofort ist meine Hand pechschwarz. Es ist Staubfein, aber es gibt auch Bruchstücke in der Größe von LEGO Bausteinen.
Dann kommt sogar Zo in seinem blauen Abzug zu uns herauf. Er bringt eine alte Plastikklappe mit, um uns eine Ebene Sitzfläche zu schaffen. Der Typ ist echt unschlagbar!!! Als er mit unserem Lager zufrieden ist, wickelt er jedem von uns ganz fachgerecht den Hauli um den Kopf, verabschiedet sich und verschwindet in Richtung Zouérat.
Wir werden mehrfach hin und her rangiert, bis alle Garnituren zusammengehangt sind. Um 17 Uhr beginnt die Fahrt - und der Fahrtwind beginnt, den feinen Staub aufzuwirbeln. Der Staub beißt in den Augen. Sofort schnappe ich mir meine Schutzbrille und sehe aus wie Hobo.

Die Reise geht in Richtung Sonnenuntergang. Nach Westen also. Rechts und links stehen oder liegen ausgediente Waggons, Waggonteile oder Lokomotiven. Verrotten werden die wohl nicht in tausend Jahren, dafür ist es einfach zu trocken.
Während wir F'Derik, die erste Station erreichen, wo weitere Garnituren angekoppelt werden, geht die Sonne hinterm Horizont unter.
Der Moment des Stillstands kommt uns gerade Recht, um das Lunchpaket zu untersuchen, das Zo uns mitgegeben hat: Pizza, Reis mit Poularde und ein Baguette. Super! Da wir gerade nicht fahren, haben wir auch kein Staubproblem und essen uns satt.
Bald ist es dunkel und der Sternenhimmel breitet sich in seiner ganzen Pracht über uns aus. Ich liege auf dem Rücken auf meinem kleinen Teppich und schaue stundenlang nach oben. Es wird auch nicht richtig kalt, so dass ich es hervorragend aushalten kann. Der Mond zeigt sich mit einer Sichel, die genauso auf dem Rücken liegt, wie ich. Wie ich später erfahre, stehen der Jupiter und der Saturn als sehr helle Sterne in einer exakten Linie mit dem Mond. Zeitweise beobachte ich bis zu drei Satelliten, die mit unterschiedlicher Richtung ihre Bahn ziehen - und nur ein einziges Flugzeug kann ich anhand der farbigen und blitzenden Positionslichter ausmachen. Es dauert lange, bis ich anfange müde zu werden. Dann schlafe ich auch ein, um kurze Zeit später wieder wach zu sein. Punkt Null Uhr hält der Zug in Choum. Hier fährt auch ein Zug mit leeren Waggons in entgegengesetzter Richtung vorbei.

Es ist zwei Uhr geworden und jetzt wird es merklich kühler. Mit der Heidenauer Sportjacke ist es aber gut auszuhalten. Ich hoffe nur, dass es nicht allzu weit mit der Temperatur runtergeht. Bei vier Uhr herum fange ich an zu frieren. Mit Hüpfen halte ich mich fortan warm und die Zeit vergeht immer langsamer. Der Sonnenaufgang soll um halb acht sein und bis die Sonne ab ca. 9:00 Uhr wieder Wärme gibt, sind es laaaange fünf Stunden. Nebenbei bemerkt, ich habe nicht immer, aber doch erstaunlich oft Internetverbindung hier draußen im Nirgendwo.

🎶 "Und immer, immer wieder geht die Sonne auf...!", geht mir der Song durch den Kopf und im Osten wird es heller und heller "...bis auf den vollen Tag". Gedanken! Sie gewinnen tiefere Bedeutung in meinem Verständnis.
Hier haben wir fast zwei Drittel der gesamten Strecke hinter uns. Lise hat sich in meine Kuscheldecke gehüllt und schläft tief und fest, und verpasst leider diesen schönen Moment.

Der Zug rollt und rollt und rollt mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 35km/h. Aus unerklärlichen Gründen hält er auch auf freier Strecke einfach Mal an. Kurvenund Weichen werden besonders langsam durchfahren. Dann gibt es Strecken, wo wir so gefühlt zwischen 50 und 60km/h schnell fahren. Dann staubt es natürlich am meisten. 
Was gibt es auf dem Weg so alles zu sehen? Sand, Steine, ungenutzte Gleise, und hier und da bleicht ein verblichenes Kamel weiter vor sich hin.
Nach 20 Stunden erreichen wir Nouadhibou Hop-off Point. Das liegt ein paar Kilometer vor dem Hafen, wo das Erz entladen und auf Schiffe verfrachtet wird. Wir sind müde aber überglücklich, diese Fahrt gemacht zu haben. 

* * * * *

Mittwoch, 1. März 2023

Mauretanien - Salaam alaikum - Ich komme!

Als ich den Surfspot Taghazout nach sechs Tagen wieder verlasse, hätte ich eigentlich Gesellschaft haben sollen,  denn Raphael (links von mir), mein neuer Polnischer Freund aus Hamburg (ist ne Geschichte für sich), fand die Idee mit dem Iron Ore Train zu fahren so toll, dass er spontan der Meinung war, er würde sich mir anschließen. Ein paar Tage später, während ich die Welle reite, ist Raphael plötzlich verschwunden. Ich vermisse ihn schon zwei Tage, als die Nachricht von ihm kommt: "...bin auf dem Weg nach Spanien, will nach Polen, meine Familie wiedersehen...". Okay, kein Problem. Also packe ich meine Sachen und reise ebenfalls ab. 
Von Taghazout morgens mit dem Vorortbus um 9 Uhr nach Agadir (1 Std. 7,50 MAD = 0,70€), von Agadir im Reisebus um 21 Uhr nach Dakhla (20 Std. für 514,- MAD = 46,50€) und ebenfalls mit einem Reisebus von Dakhla morgens um 8 Uhr zur Mauretanischen Grenze (6 Std für 196,- MAD = 17,70€). Alles schön mit komfortablen Reisebussen. Natürlich geht das nicht in einem Rutsch, sondern mit Übernachtung in Dakhla. Nur schade, dass der Bus, der von Dakhla über die Grenze bis nach Nouakchott durchfährt, leider nicht am Sonntag verkehrt. Deshalb einen Tag länger in Dakhla zu bleiben, wollte mir beim besten Willen nicht einfallen. Damit beginnt ein interessanter Reiseabschnitt! Ich nehme einfach den Bus, der gerade von Dakhla in Richtung Mauretanien fährt, selbst wenn ich hinter der Grenze wieder schauen muss, wie es weitergeht. Dadurch lerne ich aber Denis und Slava kennen, zwei Russen, die sich ebenfalls den Iron Ore Train im Visier genommen haben.
Doch eins nach dem anderen. Ich habe Zeit und will mich bei der Erzählung nicht selbst überholen.

Der Bus erreicht den Marokkanischen Grenzposten um 14 Uhr. Damit bin ich mal eben 1.500 km von Agadir entfernt. Ich bin nicht wirklich überrascht zu erfahren, dass die Grenze wegen der Mittagspause der Grenzbeamten geschlossen ist. Dass ein gutes Dutzend LKW's davor stehen, daran stört sich niemand. Nun ja, Essen hält neunmal Leib und Seele zusammen. Das ist auch in Marokko so und gilt natürlich für jeden Grenzbeamten auf dieser Welt. Die LKW-Fahrer sitzen entspannt in den Restaurants vor Ort und futtern ihre Tajines und trinken ihren Tee. Denis, Slava und ich lassen uns ebenfalls einen Tee servieren, um die Wartezeit zu überbrücken. 

Nachdem der Posten wieder offen ist, nach 20 Minuten Marokkanischer Formalien, Ausreisestempel, drei weitere Kontrollen, ob der Stempel echt ist - oder so, sind erledigt. Bis zum Mauretanischen Grenzposten, der in Sichtweite von ca. 3 km Entfernung liegt, ist ein Streifen - wie soll ich sagen - Niemandsland. Der wird von keinem der beiden Länder beansprucht. Da geht besser keiner rein. Dort sind nervöse Böller verbuddelt. 
Daher stehen etliche Typen mit ziemlich schrottreifen Autos, als Taxis bereit, dich zum anderen Grenzposten zu fahren. Gerne wäre ich das Stück zu Fuß gelaufen. Es war auch niemand da, der mich davon abgehalten hätte, das zu tun. Doch die beiden Russen wollen keine Zeit verlieren und ich will mit ihnen zusammen bleiben. Also Taxi, ein Toyota Corolla und dann 5 Fahrgäste. Meine Güte, ist das eng hinten drin. Okay, für das kurze Stück soll es gehen. Aber 100 Tacken in Marokkanischer Währung ist auch nicht eben billig (9,- €). Und dann erst die Straße... hey, was schreibe ich hier? Straße? Pass auf, nach dreihundert Metern hört der Straßenbelag komplett auf und macht Platz für Löcher, die selbst für Unimogs eine Herausforderung darstellen. Alter Falter... diese Piste hat es in sich. Ist das kein Wunder, wenn kein Land sich dafür zuständig sieht? Ich staune, dass wir trotz mehrfachem Aufsetzen des Motors und anderer Unterbodenteile, am Mauretanischen Grenzposten ankommen.

DAS WAR MAROKKO ✅

HALLO MAURETANIEN 🇲🇷 - ICH KOMME
Noch vor der Schranke zum Grenzposten, und damit vor der behördlichen Einreise versuchen schwarze Männer zu überhöhten Preisen Geld zu tauschen. Ich ignoriere sie, selbst als sie sich mir in der Weg stellen und mir auf Schritt und Tritt folgen. Hat gut funktioniert.

Zur Erstregistrierung werden wir zu einem kleinen separat stehendem Häuschen geschickt, in welchem zwei Männer auf ihrem Teppich auf dem Boden liegen. Einer ist uniformiert. Als wir eintreten, richtet sich der nicht uniformierte auf und bittet um die Reisepässe. Dann trägt er fein säuberlich von Hand alles in dein liniertes Buch ein. Er schreibt langsam! Der Uniformierte fängt an, uns nach dem Reisegrund zu fragen. Beide sind angenehm freundlich und die Verständigungsschwierigkeiten, weil wir kein Französisch sprechen, lösen sie mit Zeichnungen auf dem Papier. Nach einer halben Stunde sind alle Daten registriert und es geht zu einem Büro. Dort sitzen zwei Polizei-Leute hinter ihrem Bildschirm. Wieder mal Pässe abgeben und dann raus aus dem Büro. Draußen lernen wir Ahmed kennen, der älter ist als die Geldwechsler und SIM-Karten Händler, und die uns auch ständig belagert haben, im Vergleich zu ihnen einen seriösen und vertrauenerweckenden Eindruck macht. Tatsächlich hilft er mit gutem Englisch unsere Kommunikation mit den Polizeibeamten und vermittelt uns einen Geldwechsler, dessen Tauschrate der offiziellen Rate entspricht. Über Ahmed bekomme ich auch eine SIM-Karte umsonst und ich bezahle lediglich die Aufladung von 7 GB mit 150,- MAD (15,50 €). 

Nach eineinhalb Stunden bekomme ich meinen Pass vom Polizeipräsidium zurück. Ich schaue nach und vermisse den Einreisestempel. Schnell zurück, bevor es Ärger gibt. Aber nein, das ist alles korrekt. Ich solle einfach weitergehen, den Stempel gibt's im Gebäude dort hinten. Gut, alles klar.

Plötzlich steht ein großer Soldat vor mir mit einem nervösen Schäferhund an der Leine und fordert mich auf, meinen Rucksack an die Hauswand zu stellen und zurück zu treten. Sofort schnüffelt der Schäferhund den Rucksack ab und mir fällt wieder ein, was ich im Internet las. Drogenbesitz wird hart, ggf. mit Todesstrafe geahndet. Upps... mir wird gerade etwas anders zumute. Aber nein, mir hat niemand etwas in die Taschen gesteckt und der Hund beschnuppert auch schon ein anderes Gepäckstück. Ich darf den Rucksack wieder haben, signalisiert mir der Soldat.

Jetzt geht es weiter zu dem Gebäude "dort hinten". Hier sind es zwei nicht für eine Organisation zuzuordnenden Männer, die ebenfalls jeder einen Bildschirm vor sich haben. Ein großes Sofa wartet auf die Abkömmlinge. Das ist auch gut, dann die beiden haben keine Eile, in die Pötte zu kommen. Ich entdecke Fingerabdruckscanner und Webcams, die auf den Einreise den gerichtet sind. Aber nur einer von beiden macht die weitere Registrierung. Vor mir sind zum Glück nur die beiden Russen. Die Prozedur pro Person dauert irgendwas zwischen einer halben und einer ganzen Stunde. Kollege Nummer Zwei scheint für die Kasse zuständig zu sein. Er klebt das Visum in den Pass und kassiert die 55,- Euro, die das Visum kostet. Hier sollte man nicht anfangen, den Preis zu drücken, glaube ich.

Mauretanien wartet auf mich! Aber wie soll es von hier weiter gehen? Denn dieser Grenzposten ist weniger organisiert, als die Kollegen auf der Marokkanischen Seite. Um Welten weniger! Draußen vor der Tür haben die beiden Russen einen Spanischen Mercedes-Benz entdeckt und dessen Fahrer angesprochen, ob er uns auf der weiteren Reise mitnehmen würde. Der Fahrer, Raúl, ist mehr als happy, weil er nun die Spritkosten durch vier teilen kann. Mit viel Spaß machen wir vier uns auf den Weg nach Nouadhibou, wo wir übernachten werden. Denn für die 500 km nach Nouakschott ist es bereits zu spät. 
Ich staune nicht schlecht, dass immer wieder die richtigen Menschen meinen Weg kreuzen.

Was mir am meisten auffällt, ist, dass im Gegensatz zu Marokko, wo die Meisten Menschen helle bis kräftig berberbraune Hautfarbe haben, sind die Mauretanier zu 90% richtig schwarz - und langsam, beim gehen und allen Hantierungen.


PS: Es gibt natürlich keine Fotos aus den Grenzkontrollbereichen! Fotografieren verboten!

Letzter Beitrag

Per Anhalter über‘n Teich (Atlantic crossing)

Ringsum Wasser, nichts als Wasser - und im Osten geht die Sone auf. Ein neuer Tag beginnt! Rückblick Als ich im November 2023 Windhuk erreic...

Meistgesehen