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Mittwoch, 16. August 2023

Aufregendes Äthiopien

Noch in Ägypten hatte ich den Plan, auf meinem Afrika-Trip dem Nil von der Mündung flussaufwärts bis zum Ursprung zu folgen. Dass der Sudan und vielleicht auch Äthiopien eine Herausforderung werden könnten, war mir natürlich schon von Anfang an klar. Aber ich wollte mich weder von Medienberichten noch von den Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes schon im Vorfeld kopfscheu machen lassen. Statt dessen habe ich mir gesagt, dass ich vor Ort Menschen finden würde, welche die Situation persönlich kennen und mir ihre Einschätzung der Sicherheitslage geben werden.

Und genauso habe ich es gemacht. Nagui, mein Kairoer Couchsurfing-Gastgeber ist der erste Ägypter, den ich frage und der mir erklärt, dass ich gar nicht über die Grenze kommen würde, sondern dass nur aus dem Ausland einreisende Sudanesen über die Grenze gelassen werden. In Assuan treffe ich Marwa und Safa, zwei Sudanesische Schwestern, die aus dem Sudan geflüchtet waren und mit denen ich an einer Bushaltestelle ins Gespräch komme. Sie sagen mir, was ich schon von Nagui hörte. Es sei unmöglich, in den Sudan einzureisen. Das Militär, das den Grenzposten kontrolliert, lässt keine Ausländer und schon gar keine Touristen ins Land. Von meiner Sicherheit einmal ganz abgesehen. 

Sudanesische Schwestern in Assuan 

Heute schreiben wir den 26. Juli 2023. Heute Nacht fliege ich nach Äthiopien, meine nächste Etappe! Außerdem läuft mein Visum in vier Tagen ab und ich muss sehen, dass ich aus Ägypten raus komme. 

Ich bin also noch bei meinem Freund Nagui, dem Held für alle Couchsurfer dieser Erde und habe meinen Rucksack schon gestern Abend bis auf meinen Kulturbeutel und die Ladekabel fertig gepackt. Jetzt sind auch die letzten Sachen verstaut und der Rucksack ist so voll, dass ich ihn kaum zu bekomme. Sollte ich irgendwas zurück lassen? Ja!!! Den kleinen Ägypten-Reseführer von Marco-Polo brauche ich nicht mehr. Und Papier ist sooo schwer. „Nagui, hast du Verwendung für diesen Reiseführer?“ frage ich meinen Gastgeber. Hat er, und freut sich, den nächsten Couchsurfern aus Deutschland einen Reiseführer in die Hände drücken zu können.

Terminal - Die Zweite. Tom Hanks lässt grüßen!

Mein Flug von Kairo nach Addis Abeba, Äthiopien, ist gebucht für den 27. Aug. morgens um 3.20 Uhr. Daher habe ich heute lange geschlafen und verbringe ich den Tag mit Blog schreiben und später mit Nagui und seinen Couchsurfern. Gegen 22 Uhr rufe ich einen Uber-Fahrdienst, der mich in zwanzig Minuten zum Airport bringt. Es ist auch in der Nacht noch 28°C warm. Im krassen Gegensatz dazu hat es im Flughafengebäude erfrischende 19°C. Ich habe also ausreichend Zeit für den Check-in. Das ist auch gut so! In Ägypten und vermutlich in ganz Afrika gibt es kein Nachtflugverbot. Daher ist auch noch nach 00.00 Uhr jeden Menge Betrieb. Ich reihe mich zum Sicherheitscheck ein. Schlange stehen in Reih und Glied ist angesagt. Ungefähr zehn Leute sind vor mir. Und es dauert und dauert! Wie gut, dass ich Zeit mitgebracht habe. Endlich bin auch ich an der Reihe. Alles mit Metall muss durch den Scanner. Auch meine Schuhe, obwohl ich da kein Metall dran habe. Dann kommt der Ganzkörpercheck. Und mein Schulterhalfter wo ich meinen Reisepass und verschiedene Karten drin habe, wird unter meinem T-Shirt entdeckt. Ausziehen! Okay - da muss ich auch mein T-Shirt ausziehen. Sonst kriege ich den Halfter nicht ausgezogen. Als ich so mit nacktem Oberkörper vor dem Sicherheitsbeamten stehe, fummelt er alles aus der Halftertasche heraus - Reisepass, 11 verschiedene Karten, von Kreditkarte, Versicherungskarte, Brillenpass, Personalausweis, alte SIM-Karten und so weiter. Hoppla, was ist das denn??? Er hat plötzlich zwei Päckchen Billy-Boy in der Hand. Was das sein soll. Ich sage: „For emergency only“! Da legt der Typ diese scwarzen Päckchen auf den Scanner und gibt mir alles andere zum Einpacken zurück. Aber meine Notfallpäckchen sehe ich nie wieder.

Inzwischen ist es ein Uhr geworden. Immer noch habe ich gut Zeit. Nun gehe ich zum Check-in Schalter. Der wird erst in zehn Minuten geöffnet. Als dieser aufmacht, bin ich wieder so ungefähr die Nummer zehn in der Schlange. Ich sehe schnell, dass es hier zügiger abläuft. Und schon bin ich an der Reihe. Rucksack aufs Band. Mit 17 kg ist er noch 3 kg unter dem Limit. Aber der Typ am Schalter fängt an, herum zu telefonieren, checkt ein halbes Dutzend Mal eine Daten von Reisepass, und verschwindet mit einem Mal. Was geht denn hier ab? Frage ich mich. Egal, ich habe ja mein Ticket. Lass ihn rennen, wohin er will. Endlich ist er wieder da und erklärt mir, dass er alles überprüft habe, und dass ich nicht auf der Maschine gebucht bin, sondern am 27. AUGUST und nicht heute in JULI. Au-weia, das ist ein Buchungsfehler, den ich selbst gemacht habe. Angesichts meines ablaufenden Visums ist das jetzt ein ganz tiefer Griff ins Klo. Ich erinnere mich noch genau an den Buchungsvorgang, sehe es wie einen Film vor meinem inneren Auge ablaufen. Aber das nützt jetzt nichts, zu analysieren, warum ich den Fehler nicht vorher bemerkt habe. Auch auf dem elektronischen Ticket ist es mir nicht aufgefallen… Das einzige, das mir jetzt einfällt, ist der Zettel an der Tür meiner Therapeutin von vor zehn Jahren. Dort stand drauf: DAS IST JETZT SO!!! Für mich gibt es nur eine Lösung, die da heißt: Umbuchen!

Ich frage den Schalterbeamten, ob er einfach umbuchen kann (wir sind ja nicht in Deutschland, sondern in Afrika). Er verweist mich an einen anderen Mitarbeiter, der mir mit Achselzucken verkündet, dass die Maschine auf den letzten Platz belegt ist. Wenn ein Platz frei wäre, kein Problem (aha, wie ich es mir schon dachte, wir sind in Afrika!). Als ich kurz vor Abflug noch einmal mit ihm spreche, bekomme ich zur Antwort, dass es keinen No-Show gegeben hat, also dass jemand nicht erschienen ist. Die Kiste ist also wirklich bis auf den letzten Platz besetzt. Schade! Wäre cool gewesen mit mir an Bord.

Wo ist denn jetzt der Schalter von Ethiopian Airlines??? Mit dem Rucksack auf dem Trolley rase ich durch die Halle. Es gibt nur eine Halle. Abflug oben und Ankunft unten. Fertig. Und es gibt nur zwei Ticketschalter. Sie sind genau abgezählt. Ein großes Chalet, in dem Egypt Air untergebracht ist und eine kleine Box mit Glasscheibe zwischen Kunde und dem Angestellten - für Turkish Airlines. Das ist alles. Einen Informationsschalter suche ich vergeblich. Email schreiben? Hmmm…das erscheint mir nicht vertrauensvoll. Anrufen? Überall Lärm! Ich würde nichts verstehen. Um es kurz zu machen, ich benutze erst die Internetseite von Ethiopian Airlines und finde einen Link für Umbuchungen und fülle alles gewissenhaft aus. Danach rufe ich an. Das mit dem Telefonat funktioniert besser als erwartet und ich habe nach zwanzig Minuten ein neues Ticket, welches mich das dreifache des urprünglichen Preises kostet. Da sich der heutige Flug bereits im Landeanflug auf Addis Abeba befindet, gilt mein neues Ticket für einen Flug, der exakt 24 Stunden später abhebt. 

Jetzt habe ich Hunger. Auch wenn es am Kairoer Flughafen nur zwei Ticketschalter gibt, so gibt es hier immerhin ein Burger King. So bestelle ich mir einen kleinen Burger und lege mich anschließend auf die Sitzbank. Denn Kunden sind hier Mangelware. Ich schlafe ein und wache vier Stunden später wieder auf. An meinem Rucksack war niemand interessiert. Alles ist da. Jetzt einen Kaffee. Gibt‘s nicht. Tee kann ich kriegen. Was ist das denn für ein Burger King??? Irgendwo kaufe ich mir ein Päckchen Kekse. Und Wasser. Geht alles.


Endlich geht es wieder zum Einchecken. Ohne ein einziges Problem bekomme ich meine Bordkarte. Ich bin dann mal weg!

Hallo Äthiopien

Als ich in die B737-800MAX einsteige, denke ich über die Lernkurve der Äthiopier nach…

Nun habe ich aber auf meiner bisherigen Reise so manche Momente durchlebt, die nur mit Vertrauen in Gott, in sich selbst und in das Gute in der Welt ohne Angst zu überstehen sind. Also mache ich es jetzt auch so und komme ganz offensichtlich in Addis Abeba an. Wunderbar! Und direkt neben dem Stellplatz unserer gelandeten Maschine wird gerade mein Lieblingsflieger abgefertigt. A350-900.

Was meine Unterkunft in der Hauptstadt angeht, hatte ich über couchsurfing.com vorab einen Platz bei Capital (der heißt wirklich so) bekommen. Die Kommunikation mit Capital hatten wir bald auf WhatsApp umgestellt, da das einfacher als über die Couchsurfing-App ist. Am Flughafen finde ich allerdings keinen Telefonanbieter, der SIM-Karten verkauft. Darum bin ich auf die kostenlose Wi-Fi Verbindung des Flughafens angewiesen. Einmal raus aus dem Flughafengebäude und du hast auch kein Signal mehr. Und du kommst auch nicht mehr hinein, um eben schnell noch eine Nachricht zu senden. Denn überall - sprichwörtlich an jeder Ecke sitz oder steht ein Mensch in militärischer Uniform und einer Knarre in der Hand. Zehnmal soviel wie in Ägypten, würde ich sagen.

Okay, jetzt bin ich draußen. Die ersten zivilen Auffälligkeiten sind folgende: 

1. Es regnet! Etwas, das ich seit Monaten nicht mehr erlebt habe.

2. Es ist kalt! Lufttemperaturen um die 30°C sind meine Normalität geworden. Hier sind es 13°C, brrr! Augen auf und durch. 

Wo ist mein Gastgeber? Da drüben steht ein ganzer Pulk von Leuten, die scheinbar alle dasselbe im Sinn haben: jemanden abzuholen. Nachdem ich ein Dutzend  Taxifahrer abgewimmelt hatte und in die Runde blicke, kommt ein junger Mann mit pechschwarzer Hautfarbe auf mich zu und strahlt. „Horst, wie geht es dir?“ höre ich ihn sagen. Whaaat - der kann Deutsch?  Er bestellt ein Uber und dann wird zuerst eine SIM-Karte für mich beschafft und der Rucksack in der Wohnung deponiert. Ich soll etwas essen, sagt er und nimmt mich mit zu einem Straßen-Kleinrestaurant, die es hier in Massen gibt. Das sind kleine Räume in niedrigen Häusern, wo zwei, drei Tische stehen und das Essen auf einem Holzkohlefeuer zubereitet wird. Es gibt Injera mit Lammfleisch. Injera ist ein dünner schwammartiger Brotpfannkuchen aus einem Sauerteig von Teffmehl. Vom Brot reißt man sich ein Stück ab und ergreift damit das Fleisch, tunkt es in verschiedene Soßen und Gewürze wie Chili, bevor man es isst. Es schmeckt natürlich säuerlich, sonst wäre es ja kein Sauerteig. Fleisch wird nach Wahl in gegrillt, gebraten oder gekocht hinzu gegeben. Vegetarisch gibt es das auch. Also sehr variantenreich. Dann zeigt Capi mir die ganze Stadt. Schnell haben wir unsere gemeinsame Wellenlänge gefunden. Er entpuppt sich als ein hervorragender Guide, kennt die geschichtlichen Hintergründe sehr gut und kann sie lebendig erklären. Allerdings auf Englisch. Er lernt seit einiger Zeit Deutsch mit Duolingo und schaut deutschsprachige Filme an. Aber im Wesentlichen sprechen wir Englisch. Ab und zu fragt er mich nach einem Deutschen Wort oder Satz. Es geht zuerst auf den Entoto-Berg. Die Entoto St. Maryam Kirche dort ist ein religiöses Zentrum und eine Pilgerstätte. 

St. Maryam Kirche

Hier oben ist es noch viel kälter als in der Stadt. Der Berg ist um die 3.000 Meter hoch. Addis Abeba selbst liegt im Gebirge auf einer Höhe von über 2.300 Metern. Wir besichtigen auch den am Entoto-Berg gelegenen Entoto-Park mit Monumenten, die an Gardens By The Bay in Singapur erinnern und einem tollem Ausblick auf die Stadt. 

Entoto Park

Sehenswert finde ich auch das Nationalmuseum, wo außer dem gigantischen Thron Haile Selassies, des letzten Äthiopischen Königs auch ‚Lucy’ ausgestellt ist, das älteste Gerippe eines Homo Sapiens.


Markt

Addis Abeba präsentiert sich teilweise recht attraktiv mit dem tollen, weitläufigen Friendship Park, dem alten Bahnhof, der jetzt ein Café beherbergt und hohe Bürotürme. Der Verkehr ist wie in allen Afrikanischen Städten, sehr dicht, laut und für mich unübersichtlich. Besonders auffällig ist der Altersdurchschnitt der Bevölkerung. Alte Leute sehe ich fast gar nicht. Ob die nicht gerne raus gehen? Das Alter der Menschen, die ich draußen sehe, schätze ich zwischen 18 und 35 Jahre. Das finde ich sehr auffällig.

La Gare - Der von Franzosen erbaute Bahnhof

 

Und das Beste kommt zum Schluss: Äthiopischher Kaffee!!! Die Bohnen werden - ebenfalls in einem der vielen Straßen-Restaurants über einem Holzkohlefeuer geröstet. Allein diese Bohnen, warm geknabbert, sind eine Köstlichkeit und mit frischeverpackten Bohnen, wie man sie in Deutschland für teure Kaffeeautomaten kaufen kann, absolut nicht vergleichbar. Dann werden die warmen Bohnen fein gemahlen und anschließend in Tonkannen aufgebrüht. Solchen Kaffee habe ich in meinem Leben noch nicht genossen. Himmlisch! 


Kunst in Äthiopien

 

Gutes Bier bekommt man auch in Äthiopien.

Es ist Sonntag, der 30. Juli 2023 und in Addis Abeba gibt es eine Neuapostolische Kirche. Ich bin begeistert. Auch wenn ich nichts verstehe, es herrscht eine Stimmung wie in einer Familie.

Wir singen dem Herrn



Eingangsportal zur Neuapostolischen Kirche

Capi schlägt mir eine Rundreise durch Äthiopien vor. Von der langen Liste sehenswerter Orte entscheide ich mich für zwei: Die Wasserfälle des Blauen Nil und die Felsenkirchen von Lalibela. Capi organisiert die komplette Reise mit Flug- und Busbuchungen. Wobei für den Bus keine Vorausbuchungen erforderlich sind, sondern man muss zur Abfahrtzeit rechtzeitig an Ort und Stelle sein.


Gleich für Montag, den 31.7.23 morgens hat mein Gastgeber die Tickets besorgt. Er hat es mir nicht erklärt, wie man so preiswert durch das Land reisen kann. Ich muss auch nicht alles wissen. Der knapp 2-stündige Flug bringt uns von Addis nach Bahir Dar, einer Stadt, dir am größten See des Landes liegt. Von hier geht‘s am nächsten Tag drei Stunden lang mit einem Toyota-Minibus Richtung Südosten. Dann erreichen wir die Ortschaft Tissisat. Unterwegs bekomme ich viele Häuser zu sehen, die aus einem Holzgerüst mit Lehmwänden gebaut sind. Ich frage mich, wie diese Häuser der Regenzeit standhalten können…

 Schließlich erreichen wir die Wasserfälle, die von Sumpfgebiet umgeben sind. Hier ist akrobatisches Geschick gefragt, denn über den Sumpf ist ein Steg gebaut aus runden Holzstangen, die nass und glitschig sind. Ein Geländer zum Festhalten gibt es nicht.  Oh Wunder, weder ich noch jemand anders aus der sechs-Mann starken Gruppe ist abgestürzt. Nach gut hundert Metern hatten wir wieder festen Grund unter den Füßen. Und dann ist sie da!!! Eine Schlucht, die vor unseren Füßen zwanzig oder dreißig Meter senkrecht abfällt. Und das Tosen des Wassers, das sich hier mit enormer Wucht hinunter stürzt wird mit jedem Schritt immer lauter. Und wieder fange ich an den Äthiopiern zu zweifeln an. Was dort in Unmengen über die Kante rauscht, ist eine braune Brühe! Wie kann man diesen Fluß guten Gewissens ‚Blauer Nil‘ nennen?

Kühe und Ziegen haben hier das Hausrecht. Es ist hier nicht wie bei den Niagarafällen, wo Straßen, Brücken und Wege für die Besucher gebaut wurden. Nein, es sind Sumpf und Wiesen und überhaupt kein Weg vorhanden, mit Ausnahme des besagten Stegs. Dem Hirten für die Tiere laufen wir auch geradewegs in die Arme. Er scheint sich über die Begegnung zu freuen und präsentiert stolz seinen Schießprügel. Fürs Foto stecke ich ihm ein paar Scheine ins Rohr. 

Als wir nach drei Stunden wieder in Bahir Dar ankommen, trifft Capi eine Bekannte. Gemeinsam essen wir wieder das Nationalgericht und trinken das gute Nationalbier. Das Bier macht di beiden etwas lustig und übermütig. Sie entführen mich nämlich in einen Kulturschuppen. Und da geht die Post ab. Alter Schwede, hier liefert eine Truppe eine Tanzshow ab, sowas hab ich noch nicht gesehen. Die Körper und Haare fliegen nur so, werden geschüttelt, als hätten sie einen überdimensionalen Vibrator verscluckt. Die Bekannte von Capi und etliche andere aus dem Publikum machen es denen gleich. 



Diese Nacht verbringen wir noch einmal in Bahir Dar und müssen am Morgen um 6 Uhr am Busterminal sein, um den Bus nach Lalibela zu bekommen. Allerdings sind Äthiopier Frühaufsteher. Der Bus ist bereits bis auf den letzten Platz besetzt, als wir kommen. So bleibt für uns eine gepolsterte Platte auf dem Motorkasten, der sich zwischen Fahrer und Beifahrer erhebt. Dort finden vier Personen ihren Platz. Einer davon bin ich. Capi sitzt auf einen Koffer zwischen Beifahrer und Tür, glaube ich. Dann geht es mit Geschepper und Gerumpel los. Die Fahrt nach Lalibela führt durch unglaublich steiles Gebirge, soweit ich überhaupt etwas sehen kann. Denn ich sitze so niedrig, dass ich fast nur den Himmel sehen kann. Wenn es aber mal interessant wird, erhebe ich mich und strecke meinen Rücken, der sich darüber maßlos freut, da ihm die Lehne fehlt. Einmal sehe ich, wie die Straße über einen Grat führt und es rechts und links steil abfällt. Voll krass. Diese Strecke würde ich gerne mal mit einem Motorrad fahren. Wir stoppen einmal für eine Pinkelpause und einmal, weil irgendwer einen Baum quer über die Straße gefällt hat. Etliche Männer hacken den Stamm in mehrere Teile. Nach eine halben Stunde haben sie es geschafft und der Verkehr fließt wieder. 


 

Nach sieben Stunden, die mir wie eine Ewigkeit vorkommen, sind wir endlich in Lalibela. Capi quartiert mich in einem netten, aber weitgehend verwaisten Gästehaus ein, dessen Besitzer ein Deutscher war, als er noch lebte.  Für den nächsten Morgen nehmen wir uns die Besichtigung der Felsenkirchen vor und am übernächsten Morgen geht unser Flug von hier wieder zurück nach Addis. Dann verabschieden wir uns und Capi fährt mit einem Tuk-Tuk zu seinen Eltern, die etwas außerhalb von Lalibela wohnen. Ich mache noch einen kleinen Rundgang durch das, was ich für das Zentrum des Ortes halte.  
 

Von vielen Leuten werde ich angesprochen, die aber im Gegensatz zu Ägypten, Marokko oder Mauretanien kein Geld von mir fordern, sondern mich zum Kauf von Souveniers motivieren wollen oder mich in eins der auch hier vorhandenen kleinen Straßen-Restaurants locken wollen. Der Äthiopische Kaffee hier hat es mir angetan und ich setze mich in ein hübsches kleines Restaurant. Während ich auf meinen Kaffee warte, spricht mich eine junge blonde Frau an, die ich noch gar nicht wahrgemommen hatte. Es ist Carolin, eine Archäologin, die sich mit der Erforschung und Geschichte dieser Felsenkirchen beschäftigt. Sie fragt mich gleich, ob ich von der Schießerei am Flughafen von Lalibela gehört hätte. Welche Schießerei, frage ich zurück. Sie sagt, dass FANO-Rebellen den Flughafen unter ihre Kontrolle gebracht haben und Steine auf die Rollbahn gelegt hätten. Der Flughafen sei jetzt gesperrt, und bei der Schießerei sei auch eine Italienische Touristin in Mitleidenschaft gezogen worden. Mehr wisse sie nicht, stünde aber mit einigen Leuten in enger Verbindung und würde mich auf dem Laufenden halten. Ich solle sehen, so schnell wie möglich wieder weg zu kommen. Gemach, gemach… ich bin ja nicht alleine hier und mein Capi wird sicher eine Idee haben. Ich begebe mich in meine Unterkunft und versuche mit Capi Kontakt aufzunehmen. Aber der hat Funkstille. Später meldet er sich bei mir und wir beschließen, morgens um 7 Uhr den Bus zurück nach Bahir Dar zu nehmen. Ich mache meinen Rucksack reisefertig, gehe ins Bett und schlafe ausgezeichnet.

Am nächsten Morgen ruft Capi mich an und teilt mit, dass der Bus nicht fährt, weil auf der Strecke gerade Kämpfe zwischen FANO und Nationalarmee ausgetragen werden. Okay, abwarten und Tee trinken. Etwas später erhalte ich einen Anruf der Deutschen Botschaft in Addis Abeba mit der dringenden Aufforderung, in Lalibela zu bleiben, bis sich die Lage wieder entspannt. Na, das könnte sich in die Länge ziehen, denke ich mir. Ich gehe Frühstücken in einem benachbarten Hotel. Einziger Gast dort ist Carolin und wir reden über die aktuellen Ereignisse. Carolin ist sehr gut vernetzt am Ort und bekommt eine Menge Informationen zugespielt. Nun trifft auch Capi ein. Gemeinsam überlegen wir uns, was wohl das Beste wäre. Capi und ich favorisieren möglichst bald einen Bus nach Bahir Dar zu nehmen, während Carolin eher dazu neigt, der Aufforderung der Deutschen Botschaft zu folgen. Im Verlauf des Tages ändern sich die Dinge noch ein paar mal, so dass auch ich mehr und mehr dazu neige, vorläufig in Lalibela zu bleiben und abzuwarten, wie sich die Situation täglich verändert. Dann ist es plötzlich aus! Ich rede vom Internet. Keine Verbindung mehr nach nirgendwo hin. Moment - Mobil telefonieren geht noch. SMS auch? Ja. Wer ist jetzt für mich erreichbar? Nur Leute mit einer Telefonnunmmer aus Äthiopien. Ausland? Nada. Ich telefoniere mit dem Beamten der Deutschen Botschaft und frage ihn, ob er zwei Personen in Deutschland, beziehungsweiseje eine in Deutschland und eine in Schweden darüber informieren möge, dass ich in Lalibela bis auf weiteres festsitze und kein Internet hab. Aber ja, ist die Antwort. Super, Danke! Später stellt sich heraus, dass dies vergessen wurde. Danke Deutschland.

Dann mache ich mich auf, zu einem Hotel am anderen Ende der Stadt, wo andere Touristen untergebracht sind und will sie ‘besuchen’. Was ich dort vorfinde, ist ein Haufen nervöser junger Männer, von denen einige eine Zigarette nach der anderen rauchen. Der eine war schon Jahre abstinent gewesen. Aber das hier ist eine Nummer zu extrem für ihn. Ich versuche, mit den Jungs den Blick auf das Jetzt zu fokussieren. Jeder ist satt und gesund. Das Hotel hat einen einmaligen Ausblick in die Berglandschaft. Nein, das geht nicht, bekomme ich zu Antwort. So eine Scheiße haben wir noch nicht erlebt. Wir wollen nur weg von hier! Na gut, wenn ich hier nichts ausrichten kann, dann gehe ich halt wieder in die Stadt. Später spreche ich nochmals mit Capi und wir beschließen für morgen, die Kirchen zu besichtigen, was ursprünglich für heute auf dem Programm stand. Da der Flughafen noch immer gesperrt ist, kommen wir mit dem Flieger eh nicht weg, wie geplant.

Ein neuer sonniger Tag bricht an. Capi kommt zu meiner Unterkunft. Über Nacht bleibt die Lage unverändert. Kein Bus geht nach Bahir Dar. In der Stadt sind ein paar Pritschenwagen mit Soldaten zu sehen. Es sind FANO-Milizen, erfahre ich. Eigentlich auch logisch, Lalibela liegt ja auch mitten drin in der Region Amhara, dem Gebiet der Rebellen. Genauso auch Bahir Dar.


Capi und ich lassen uns dann mit einem Tuk-Tuk zu den Kirchen bringen. Das muss man sich einmal vorstellen. Da ist ein schierer großer Felsen, wie überall auf der Welt. Wie kommt jemand auf die Idee, an einer Stelle sich in den Felsen hinein zu graben und zu meißeln, bis am Ende ein Kirche herausgearbeitet ist. Und dann gleich elf Stück davon, was im 12. Jahrhundert nicht länger als etwas über zwanzig Jahre gedauert haben soll. So sind diese Kirchen monolithisch, eben aus einem einzigen Materialblock, dem Felsen eben. Außer Michelangelo’s David - wovon er sagte, es sei doch alles von der Figur schon da, er müsse nur das überflüssige Material entfernen - fällt mir dazu nix weiter ein, als einfach nur zu staunen. Wer mehr wissen möchte, schaut hier bei Wikipedia “Felsenkirchen von Lalibela” mal hinein.





Am heutigen Abend gibt es wieder neue Infos von einem Mann, den ich bisher noch nicht gesehen hatte. Er macht morgen eine Fahrt nach Bahir Dar und jemand anderes fährt einen Bus nach Semera. Die Stadt Semera hat den Vorteil, dass sie außerhalb der Region Amhara liegt und damit nicht ein Austragungsort von Kämpfen sein wird.

Ich überlege: 
Sowohl Lalibela als auch Bahir Dar liegen beide Städte mitten im Rebellengebiet. Bei Bahir Dar ist nicht bekannt, wie die Sicherheitslage in der Stadt und am Flughafen ist. Das kann sich von einer Stunde auf die andere ändern. Wegen der touristischen Relevanz dieser beiden Städte wird es sich die Regierung sicher nicht lange gefallen lassen, dass die Rebellen die Kontrolle darüber behalten. Also wird es früher oder später heftigere Kämpfe geben, möglicherweise auch in den Städten. Ich glaube, darauf hab ich zur Zeit aber keinen Bock. Wenn ich in Lalibela bleibe, könnten mir bald allerlei blaue Bohnen um die Ohren fliegen. Wenn ich Überland fahre, auch. Bei der Überlandfahrt habe ich eine Auswahl, Richtung Westen nach Bahir Dar oder Richtung Osten nach Semara. Semara finde ich am sympatischsten.

Ich treffe eine Entscheidung: 
Der Vorschlag der Deutschen Botschaft landet in der Tonne. Die sitzen nämlich relativ weit weg vom Geschehen. Genauso die Variante mit Bahir Dar. Ich werde flüchten mit Semara als Ziel!

Am nächsten Morgen um 6.30 Uhr ist Treffpunkt am Hotel der starken Jungs und mit Carolin, die ebenfalls alle nach Semara wollen. Um sieben sind wir unterwegs. Ich habe mir den Beifahrersitz gesichert, damit mir nichts entgeht. Jemand anders wollte nichts mehr sehen und hören und hat sich irgendwo ganz hinten eingeigelt. Menschen sind halt verschieden.
Das Fluchtfahrzeug

Es gibt so viel zu sehen und ich hätte zu gerne immer wieder mal einen Stopp eingelegt, um schöne Fotos zu machen. Dann macht es “pfffffffff…” und wir haben einen Platten, der uns eine Zwangspause verordnet.  Wie alle Minibusse, hat unser Bus natürlich ein Reserverad oben auf dem Dachträger. Obwohl der Reifen einerseits auch schon ziemlich ramponiert und abgenutzt aussieht und andererseits eine völlig andere Dimension als die übrigen drei Räder hat (breiter), scheint die Felge auf die Nabe zu passen. Naja, vier der fünf Schrauben halten wohl. Die fünfte Schraube fehlt. Ich denke mir ‘this is Africa’ und schätze, die Jungs würden auch mit drei Schrauben noch losfahren. Horst, mach die jetzt nicht so einen Kopf - du bist auf der Flucht!!! So, der Reifen ist dran und es heißt einsteigen. Auf den nächsten Kilometern fällt mir jetzt erst auf, welches Gefälle die Straßen hier im Gebirge so haben.  Bisher war das eine total reizvolle Landschaft, ein Spaß, aber jetzt, wo ich weiß, dass nur vier Schrauben den Reifen halten, finde ich die Steigungen - vor allem abwärts - mächtig unsympathisch. Dann fängt der Fahrer auch noch an zu pumpen. Whaaaaat??? Es geht abwärts und der Kerl pumpt auf dem Bremspedal!!! Ich überlege wieder: was fühlt sich besser an, eine blaue Bohne zwischen den Ohren oder im mit fünfzehn Personen dichtbesetzten Toyota-Minibus eine Hochgebirgsflanke kopheister zu gehen? Ich finde keine zufrieden stellende Antwort… Aussteigen wäre wohl das Vernünftigste. Ach komm, Augen auf und durch. Bis hierher hat der Herr geholfen!


Und schon kündigt sich das nächste Päuschen an: “pffffffff….” Ein bekanntes Geräusch. Es kommt genau aus dem mit vier Schauben befestigten Rad. Na sowas. Woher einen Ersatzreifen bekommen, so auf freier Strecke? Ich glaube, wir warten über eine Stunde, bis ein vorbei fahrender Minibusfahrer, ebenfalls im Toyota, denn andere Minibusse gibt es in Afrika nicht, sich erbarmt und uns seinen Reifen überlässt. Ich habe keine Ahnung, was das für ein Deal geworden ist. À prospos Deal, der Besitzer des Busses, der uns in sichere Gefilde bringen soll, ist selbst Passagier. In der nachstgrößeren Ortschaft, ich würde sie Tuk-Tuk-City nennen, kommt es zur Meuterei.  Keiner will mehr mit diesem Bus weiterfahren und wir verlangen unseren völlig überhöhten Fahrpreis zurück. Drama in einem Akt! Aus die Maus. Jemand ordert einen anderen Bus und dann geht die Reise weiter und wir erreichen Semara ohne weitere Zwischenfälle und ich genieße die Gegend.

Affenfamilie


Flughafen Semara

In Semara gibt es endlich wieder Internet. Wunderbar! Schnell mal in die Runde gefunkt, dass Äthiopien ein tolles Land ist, nur dass manchmal das Internet etwas zu wünschen übrig lässt. Und dann flattert über Google News die Info herein, dass die Regierung den Ausnahmezustand beantragt habe und morgen das Parlament darüber entscheiden würde. Das sei jedoch nur als Formalie anzusehen und der Beschluss so gut wie sicher sei. Herzlichen Glühstrumpf! Was bedeutet Ausnahmezustand, google ich weiter. Man hat eigentlich keine Rechte mehr, kann ohne Grund inhaftiert werden, und so weiter. Jetzt fange ich zum ersten Mal an, mich unbehaglich zu fühlen, weil ich das uncool finde. 

Jetzt geht es für Capi und mich in den Flieger nach Addis. Unterwegs spüre ich ein stärker werdendes Gefühl von ‘ich will raus aus diesem Land’. Am nächsten Morgen finde ich einen Flug nach Mombasa, Kenia, für Montag, den 7. Aug. 2023 um Punkt vier Uhr morgens. Einmal noch Gottesdienst in meiner Kirche. Das tut gut. Und dann nix wie weg. Schade, dass ich Capi hier zurücklassen muss. Er ist mir ein guter Freund geworden.

Kenyan Airways holt mich hier raus


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