Noch in Ägypten hatte ich den Plan, auf meinem Afrika-Trip dem Nil von der Mündung flussaufwärts bis zum Ursprung zu folgen. Dass der Sudan und vielleicht auch Äthiopien eine Herausforderung werden könnten, war mir natürlich schon von Anfang an klar. Aber ich wollte mich weder von Medienberichten noch von den Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes schon im Vorfeld kopfscheu machen lassen. Statt dessen habe ich mir gesagt, dass ich vor Ort Menschen finden würde, welche die Situation persönlich kennen und mir ihre Einschätzung der Sicherheitslage geben werden.
Und genauso habe ich es gemacht. Nagui, mein Kairoer Couchsurfing-Gastgeber ist der erste Ägypter, den ich frage und der mir erklärt, dass ich gar nicht über die Grenze kommen würde, sondern dass nur aus dem Ausland einreisende Sudanesen über die Grenze gelassen werden. In Assuan treffe ich Marwa und Safa, zwei Sudanesische Schwestern, die aus dem Sudan geflüchtet waren und mit denen ich an einer Bushaltestelle ins Gespräch komme. Sie sagen mir, was ich schon von Nagui hörte. Es sei unmöglich, in den Sudan einzureisen. Das Militär, das den Grenzposten kontrolliert, lässt keine Ausländer und schon gar keine Touristen ins Land. Von meiner Sicherheit einmal ganz abgesehen.
Sudanesische Schwestern in Assuan |
Heute schreiben wir den 26. Juli 2023. Heute Nacht fliege ich nach Äthiopien, meine nächste Etappe! Außerdem läuft mein Visum in vier Tagen ab und ich muss sehen, dass ich aus Ägypten raus komme.
Ich bin also noch bei meinem Freund Nagui, dem Held für alle Couchsurfer dieser Erde und habe meinen Rucksack schon gestern Abend bis auf meinen Kulturbeutel und die Ladekabel fertig gepackt. Jetzt sind auch die letzten Sachen verstaut und der Rucksack ist so voll, dass ich ihn kaum zu bekomme. Sollte ich irgendwas zurück lassen? Ja!!! Den kleinen Ägypten-Reseführer von Marco-Polo brauche ich nicht mehr. Und Papier ist sooo schwer. „Nagui, hast du Verwendung für diesen Reiseführer?“ frage ich meinen Gastgeber. Hat er, und freut sich, den nächsten Couchsurfern aus Deutschland einen Reiseführer in die Hände drücken zu können.
Terminal - Die Zweite. Tom Hanks lässt grüßen!
Mein Flug von Kairo nach Addis Abeba, Äthiopien, ist gebucht für den 27. Aug. morgens um 3.20 Uhr. Daher habe ich heute lange geschlafen und verbringe ich den Tag mit Blog schreiben und später mit Nagui und seinen Couchsurfern. Gegen 22 Uhr rufe ich einen Uber-Fahrdienst, der mich in zwanzig Minuten zum Airport bringt. Es ist auch in der Nacht noch 28°C warm. Im krassen Gegensatz dazu hat es im Flughafengebäude erfrischende 19°C. Ich habe also ausreichend Zeit für den Check-in. Das ist auch gut so! In Ägypten und vermutlich in ganz Afrika gibt es kein Nachtflugverbot. Daher ist auch noch nach 00.00 Uhr jeden Menge Betrieb. Ich reihe mich zum Sicherheitscheck ein. Schlange stehen in Reih und Glied ist angesagt. Ungefähr zehn Leute sind vor mir. Und es dauert und dauert! Wie gut, dass ich Zeit mitgebracht habe. Endlich bin auch ich an der Reihe. Alles mit Metall muss durch den Scanner. Auch meine Schuhe, obwohl ich da kein Metall dran habe. Dann kommt der Ganzkörpercheck. Und mein Schulterhalfter wo ich meinen Reisepass und verschiedene Karten drin habe, wird unter meinem T-Shirt entdeckt. Ausziehen! Okay - da muss ich auch mein T-Shirt ausziehen. Sonst kriege ich den Halfter nicht ausgezogen. Als ich so mit nacktem Oberkörper vor dem Sicherheitsbeamten stehe, fummelt er alles aus der Halftertasche heraus - Reisepass, 11 verschiedene Karten, von Kreditkarte, Versicherungskarte, Brillenpass, Personalausweis, alte SIM-Karten und so weiter. Hoppla, was ist das denn??? Er hat plötzlich zwei Päckchen Billy-Boy in der Hand. Was das sein soll. Ich sage: „For emergency only“! Da legt der Typ diese scwarzen Päckchen auf den Scanner und gibt mir alles andere zum Einpacken zurück. Aber meine Notfallpäckchen sehe ich nie wieder.
Inzwischen ist es ein Uhr geworden. Immer noch habe ich gut Zeit. Nun gehe ich zum Check-in Schalter. Der wird erst in zehn Minuten geöffnet. Als dieser aufmacht, bin ich wieder so ungefähr die Nummer zehn in der Schlange. Ich sehe schnell, dass es hier zügiger abläuft. Und schon bin ich an der Reihe. Rucksack aufs Band. Mit 17 kg ist er noch 3 kg unter dem Limit. Aber der Typ am Schalter fängt an, herum zu telefonieren, checkt ein halbes Dutzend Mal eine Daten von Reisepass, und verschwindet mit einem Mal. Was geht denn hier ab? Frage ich mich. Egal, ich habe ja mein Ticket. Lass ihn rennen, wohin er will. Endlich ist er wieder da und erklärt mir, dass er alles überprüft habe, und dass ich nicht auf der Maschine gebucht bin, sondern am 27. AUGUST und nicht heute in JULI. Au-weia, das ist ein Buchungsfehler, den ich selbst gemacht habe. Angesichts meines ablaufenden Visums ist das jetzt ein ganz tiefer Griff ins Klo. Ich erinnere mich noch genau an den Buchungsvorgang, sehe es wie einen Film vor meinem inneren Auge ablaufen. Aber das nützt jetzt nichts, zu analysieren, warum ich den Fehler nicht vorher bemerkt habe. Auch auf dem elektronischen Ticket ist es mir nicht aufgefallen… Das einzige, das mir jetzt einfällt, ist der Zettel an der Tür meiner Therapeutin von vor zehn Jahren. Dort stand drauf: DAS IST JETZT SO!!! Für mich gibt es nur eine Lösung, die da heißt: Umbuchen!
Ich frage den Schalterbeamten, ob er einfach umbuchen kann (wir sind ja nicht in Deutschland, sondern in Afrika). Er verweist mich an einen anderen Mitarbeiter, der mir mit Achselzucken verkündet, dass die Maschine auf den letzten Platz belegt ist. Wenn ein Platz frei wäre, kein Problem (aha, wie ich es mir schon dachte, wir sind in Afrika!). Als ich kurz vor Abflug noch einmal mit ihm spreche, bekomme ich zur Antwort, dass es keinen No-Show gegeben hat, also dass jemand nicht erschienen ist. Die Kiste ist also wirklich bis auf den letzten Platz besetzt. Schade! Wäre cool gewesen mit mir an Bord.
Wo ist denn jetzt der Schalter von Ethiopian Airlines??? Mit dem Rucksack auf dem Trolley rase ich durch die Halle. Es gibt nur eine Halle. Abflug oben und Ankunft unten. Fertig. Und es gibt nur zwei Ticketschalter. Sie sind genau abgezählt. Ein großes Chalet, in dem Egypt Air untergebracht ist und eine kleine Box mit Glasscheibe zwischen Kunde und dem Angestellten - für Turkish Airlines. Das ist alles. Einen Informationsschalter suche ich vergeblich. Email schreiben? Hmmm…das erscheint mir nicht vertrauensvoll. Anrufen? Überall Lärm! Ich würde nichts verstehen. Um es kurz zu machen, ich benutze erst die Internetseite von Ethiopian Airlines und finde einen Link für Umbuchungen und fülle alles gewissenhaft aus. Danach rufe ich an. Das mit dem Telefonat funktioniert besser als erwartet und ich habe nach zwanzig Minuten ein neues Ticket, welches mich das dreifache des urprünglichen Preises kostet. Da sich der heutige Flug bereits im Landeanflug auf Addis Abeba befindet, gilt mein neues Ticket für einen Flug, der exakt 24 Stunden später abhebt.
Jetzt habe ich Hunger. Auch wenn es am Kairoer Flughafen nur zwei Ticketschalter gibt, so gibt es hier immerhin ein Burger King. So bestelle ich mir einen kleinen Burger und lege mich anschließend auf die Sitzbank. Denn Kunden sind hier Mangelware. Ich schlafe ein und wache vier Stunden später wieder auf. An meinem Rucksack war niemand interessiert. Alles ist da. Jetzt einen Kaffee. Gibt‘s nicht. Tee kann ich kriegen. Was ist das denn für ein Burger King??? Irgendwo kaufe ich mir ein Päckchen Kekse. Und Wasser. Geht alles.
Endlich geht es wieder zum Einchecken. Ohne ein einziges Problem bekomme ich meine Bordkarte. Ich bin dann mal weg!
Hallo Äthiopien
Als ich in die B737-800MAX einsteige, denke ich über die Lernkurve der Äthiopier nach…
Nun habe ich aber auf meiner bisherigen Reise so manche Momente durchlebt, die nur mit Vertrauen in Gott, in sich selbst und in das Gute in der Welt ohne Angst zu überstehen sind. Also mache ich es jetzt auch so und komme ganz offensichtlich in Addis Abeba an. Wunderbar! Und direkt neben dem Stellplatz unserer gelandeten Maschine wird gerade mein Lieblingsflieger abgefertigt. A350-900.
Was meine Unterkunft in der Hauptstadt angeht, hatte ich über couchsurfing.com vorab einen Platz bei Capital (der heißt wirklich so) bekommen. Die Kommunikation mit Capital hatten wir bald auf WhatsApp umgestellt, da das einfacher als über die Couchsurfing-App ist. Am Flughafen finde ich allerdings keinen Telefonanbieter, der SIM-Karten verkauft. Darum bin ich auf die kostenlose Wi-Fi Verbindung des Flughafens angewiesen. Einmal raus aus dem Flughafengebäude und du hast auch kein Signal mehr. Und du kommst auch nicht mehr hinein, um eben schnell noch eine Nachricht zu senden. Denn überall - sprichwörtlich an jeder Ecke sitz oder steht ein Mensch in militärischer Uniform und einer Knarre in der Hand. Zehnmal soviel wie in Ägypten, würde ich sagen.
Okay, jetzt bin ich draußen. Die ersten zivilen Auffälligkeiten sind folgende:
1. Es regnet! Etwas, das ich seit Monaten nicht mehr erlebt habe.
2. Es ist kalt! Lufttemperaturen um die 30°C sind meine Normalität geworden. Hier sind es 13°C, brrr! Augen auf und durch.
Wo ist mein Gastgeber? Da drüben steht ein ganzer Pulk von Leuten, die scheinbar alle dasselbe im Sinn haben: jemanden abzuholen. Nachdem ich ein Dutzend Taxifahrer abgewimmelt hatte und in die Runde blicke, kommt ein junger Mann mit pechschwarzer Hautfarbe auf mich zu und strahlt. „Horst, wie geht es dir?“ höre ich ihn sagen. Whaaat - der kann Deutsch? Er bestellt ein Uber und dann wird zuerst eine SIM-Karte für mich beschafft und der Rucksack in der Wohnung deponiert. Ich soll etwas essen, sagt er und nimmt mich mit zu einem Straßen-Kleinrestaurant, die es hier in Massen gibt. Das sind kleine Räume in niedrigen Häusern, wo zwei, drei Tische stehen und das Essen auf einem Holzkohlefeuer zubereitet wird. Es gibt Injera mit Lammfleisch. Injera ist ein dünner schwammartiger Brotpfannkuchen aus einem Sauerteig von Teffmehl. Vom Brot reißt man sich ein Stück ab und ergreift damit das Fleisch, tunkt es in verschiedene Soßen und Gewürze wie Chili, bevor man es isst. Es schmeckt natürlich säuerlich, sonst wäre es ja kein Sauerteig. Fleisch wird nach Wahl in gegrillt, gebraten oder gekocht hinzu gegeben. Vegetarisch gibt es das auch. Also sehr variantenreich. Dann zeigt Capi mir die ganze Stadt. Schnell haben wir unsere gemeinsame Wellenlänge gefunden. Er entpuppt sich als ein hervorragender Guide, kennt die geschichtlichen Hintergründe sehr gut und kann sie lebendig erklären. Allerdings auf Englisch. Er lernt seit einiger Zeit Deutsch mit Duolingo und schaut deutschsprachige Filme an. Aber im Wesentlichen sprechen wir Englisch. Ab und zu fragt er mich nach einem Deutschen Wort oder Satz. Es geht zuerst auf den Entoto-Berg. Die Entoto St. Maryam Kirche dort ist ein religiöses Zentrum und eine Pilgerstätte.
St. Maryam Kirche |
Hier oben ist es noch viel kälter als in der Stadt. Der Berg ist um die 3.000 Meter hoch. Addis Abeba selbst liegt im Gebirge auf einer Höhe von über 2.300 Metern. Wir besichtigen auch den am Entoto-Berg gelegenen Entoto-Park mit Monumenten, die an Gardens By The Bay in Singapur erinnern und einem tollem Ausblick auf die Stadt.
Entoto Park |
Sehenswert finde ich auch das Nationalmuseum, wo außer dem gigantischen Thron Haile Selassies, des letzten Äthiopischen Königs auch ‚Lucy’ ausgestellt ist, das älteste Gerippe eines Homo Sapiens.
Markt |
Addis Abeba präsentiert sich teilweise recht attraktiv mit dem tollen, weitläufigen Friendship Park, dem alten Bahnhof, der jetzt ein Café beherbergt und hohe Bürotürme. Der Verkehr ist wie in allen Afrikanischen Städten, sehr dicht, laut und für mich unübersichtlich. Besonders auffällig ist der Altersdurchschnitt der Bevölkerung. Alte Leute sehe ich fast gar nicht. Ob die nicht gerne raus gehen? Das Alter der Menschen, die ich draußen sehe, schätze ich zwischen 18 und 35 Jahre. Das finde ich sehr auffällig.
La Gare - Der von Franzosen erbaute Bahnhof |
Und das Beste kommt zum Schluss: Äthiopischher Kaffee!!! Die Bohnen werden - ebenfalls in einem der vielen Straßen-Restaurants über einem Holzkohlefeuer geröstet. Allein diese Bohnen, warm geknabbert, sind eine Köstlichkeit und mit frischeverpackten Bohnen, wie man sie in Deutschland für teure Kaffeeautomaten kaufen kann, absolut nicht vergleichbar. Dann werden die warmen Bohnen fein gemahlen und anschließend in Tonkannen aufgebrüht. Solchen Kaffee habe ich in meinem Leben noch nicht genossen. Himmlisch!
Kunst in Äthiopien |
Gutes Bier bekommt man auch in Äthiopien.
Es ist Sonntag, der 30. Juli 2023 und in Addis Abeba gibt es eine Neuapostolische Kirche. Ich bin begeistert. Auch wenn ich nichts verstehe, es herrscht eine Stimmung wie in einer Familie.
Wir singen dem Herrn |
Eingangsportal zur Neuapostolischen Kirche |
Schließlich erreichen wir die Wasserfälle, die von Sumpfgebiet umgeben sind. Hier ist akrobatisches Geschick gefragt, denn über den Sumpf ist ein Steg gebaut aus runden Holzstangen, die nass und glitschig sind. Ein Geländer zum Festhalten gibt es nicht. Oh Wunder, weder ich noch jemand anders aus der sechs-Mann starken Gruppe ist abgestürzt. Nach gut hundert Metern hatten wir wieder festen Grund unter den Füßen. Und dann ist sie da!!! Eine Schlucht, die vor unseren Füßen zwanzig oder dreißig Meter senkrecht abfällt. Und das Tosen des Wassers, das sich hier mit enormer Wucht hinunter stürzt wird mit jedem Schritt immer lauter. Und wieder fange ich an den Äthiopiern zu zweifeln an. Was dort in Unmengen über die Kante rauscht, ist eine braune Brühe! Wie kann man diesen Fluß guten Gewissens ‚Blauer Nil‘ nennen?
Kühe und Ziegen haben hier das Hausrecht. Es ist hier nicht wie bei den Niagarafällen, wo Straßen, Brücken und Wege für die Besucher gebaut wurden. Nein, es sind Sumpf und Wiesen und überhaupt kein Weg vorhanden, mit Ausnahme des besagten Stegs. Dem Hirten für die Tiere laufen wir auch geradewegs in die Arme. Er scheint sich über die Begegnung zu freuen und präsentiert stolz seinen Schießprügel. Fürs Foto stecke ich ihm ein paar Scheine ins Rohr.
Als wir nach drei Stunden wieder in Bahir Dar ankommen, trifft Capi eine Bekannte. Gemeinsam essen wir wieder das Nationalgericht und trinken das gute Nationalbier. Das Bier macht di beiden etwas lustig und übermütig. Sie entführen mich nämlich in einen Kulturschuppen. Und da geht die Post ab. Alter Schwede, hier liefert eine Truppe eine Tanzshow ab, sowas hab ich noch nicht gesehen. Die Körper und Haare fliegen nur so, werden geschüttelt, als hätten sie einen überdimensionalen Vibrator verscluckt. Die Bekannte von Capi und etliche andere aus dem Publikum machen es denen gleich.
Das Fluchtfahrzeug |
Affenfamilie |
Flughafen Semara |
Kenyan Airways holt mich hier raus |