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Samstag, 10. Mai 2025

Vater und Sohn durch Bolivien und Peru

Bolivien

Grenzchaos auf 4.100 Metern

1. Februar 2025 – Von Chile her überquere ich heute per Bus die Grenze zu Bolivien, genauer gesagt am legendär unscheinbaren Grenzposten Frontera Avaroa. Klassisches Grenzprozedere: Alle raus, Gepäck raus, alles selbst durchs staubige Grenzgebäude schleppen. Bürokratie mit Gewichtstraining – ein echter Grenzfitnesskurs.

Bolivischer Grenzposten Frontera Avaroa

Als ich meine Stempel in den Pass gedrückt bekomme und mich wieder draußen umschaue: kein Bus. Einfach weg. Puff. Verschwunden. Man deutet mir, ich solle „mal ums Haus laufen“. Na gut. Hinterm Haus: jede Menge Busse. Nur eben nicht mein Bus. “What the heck…?”, denke ich, bemüht entspannt – was in 4.100 Metern Höhe nicht ganz einfach ist, weil mein Körper alle 15 Minuten in die Schnappatmung übergeht, als hätte ich einen Marathon rückwärts gelaufen. Ein paar Fragen später stellt sich raus: Ein anderer Bus soll mich mitnehmen. Na dann – rein ins Abenteuer.

Die Weiterfahrt führt mich über die bolivianische Hochebene. Zwischenstation: Uyuni – das staubige Tor zur weltgrößten Salzwüste. Schon auf der Karte sah das wie ein Muss aus, und Alex und ich haben den Ort schon fest auf dem gemeinsamen Plan.

Unterwegs wachsen rechts und links der Straße zahllose kleine Büsche, die aussehen, als hätte jemand einen Container mit Mini-Weihnachtsbäumen ausgekippt. Das ist Quinoa, die Wunderpflanze der Anden – proteinreich, mineralgeladen, und dabei so genügsam, dass sie nur auf über 4.000 Metern gedeiht. Ein echtes Superfood!

Quinoa-Anbau auf 4.000 m Höhe

Auf dem Weg nach Cochabamba geht es durch spektakuläre Berglandschaften, vorbei an tiefen Schluchten und Dörfern, in denen zwei Dinge auffallen: erstens Maispflanzen vor fast jedem Haus, zweitens große Plastikplanen auf dem Boden, auf denen Blätter in der Sonne trocknen. Keine Wäsche. Kokablätter. In Bolivien kauft man die auf dem Markt wie anderswo Petersilie – und kaut sie mit einer klebrig-süßen Lakritzmasse. Das Ganze wirkt aufputschend, hungerstillend und höhentauglich. Ein alter Trick der Bergbauern, die ohne Picknickkorb tagelang durch die Berge ziehen und sich damit auf den Beinen halten. Bio-Doping, sozusagen.

Durchs Andenland nach Cochabamba

Cochabamba

3. Februar 2025 – Diese Stadt – auf gemütlichen 2.500 Metern Höhe an der Ostflanke der Anden gelegen – ist verkehrstechnisch die anarchischste Erfahrung meines Lebens. Die einzige Regel, die hier zu gelten scheint, ist: ICH ZUERST! Jeder Fahrer fährt nach seinen eigenen Regeln, die allerdings nicht nur mit dem Gesetz, sondern auch mit den Fantasien der übrigen Verkehrsteilnehmer konkurrieren. Das Ergebnis? Dauerhupen, Stop-and-Go im Endlosmodus, völliger unberechenbar.

Mein Lieblingschaos beobachte ich an den Kreisverkehren. Man könnte meinen, hier studieren die Autofahrer für eine olympische Disziplin: das Zirkulieren ohne Ziel. Alle wollen rein, keiner will rauslassen – und das bei komplett freier Ausfahrt. Klingt absurd? Ist es auch. Und gleichzeitig ein nationales Phänomen: Ich sehe dieses Muster später noch öfter in Bolivien.

Verkehrsdickicht

Touristisch ist Cochabamba ein wenig unter dem Radar – zu Unrecht. Die Stadt hat Charme, angenehme Menschen und mehr zu bieten als erwartet. Zwar entdecke ich nur das Zentrum, aber auch das reicht für den Eindruck: Hier könnte man durchaus ein paar Tage mehr verbringen. Vorausgesetzt, man hat gute Nerven fürs Überqueren der Straße.



Bolivianischer Erfindergeist

Santa Cruz de la Sierra – Alex kommt an

8. Februar 2025 – Alex landet – pünktlich wie ein Airbus, pardon: mit einem Airbus – in Santa Cruz de la Sierra, Boliviens zweitgrößter Stadt am Rand des Amazonasbeckens. Tropenklima inklusive. Wer hier ohne DEET (das Anti-Mücken-Wundermittel) unterwegs ist, wird schnell zum abendlichen Buffet – für Mücken mit großem Appetit.

Viru Viru International Airport von Santa Cruz

Airbus A330-200 der Boliviana de Aviación

Bienvenidos Alex B.

Kaum angekommen, stolpern wir direkt ins Spektakel: Karneval! Vier Tage Ausnahmezustand. Es tanzt, wirbelt, glitzert, was die Stoffe hergeben – und ja, schöne Beine gibt’s auch. Willkommen in Bolivien!

Karneval in Santa Cruz de la Sierra

Am Sonntagmorgen will ich – traditionell wie ich bin – einen Gottesdienst der Neuapostolischen Kirche besuchen. Freu mich schon beim Frühstück darauf, ein paar Glaubensgeschwister kennenzulernen. Doch der Plan scheitert an der einen kleinen Nebensache, die man gerne mal vergisst: Uhrzeit. Hier beginnt der Gottesdienst nicht wie gewohnt um zehn, sondern schon um neun. Ich komme also genau rechtzeitig – zum Abschiedsfoto. Immerhin: Die Brüder sind herzlich und machen gerne ein Bild mit mir. Check!

Alex bringt klare Vorstellungen für unsere gemeinsame Route mit – vier Wochen, vollgepackt mit Highlights: Uyuni, Yungas-Straße, Titicacasee, Machu Picchu, Maras-Salzterrassen, Sandboarden in Ica, und am Ende: ein bisschen chillen an Limas Pazifikstrand. Wenn das kein Programm ist.

Sucre

10. Februar 2025 – Willkommen in Sucre, der offiziellen Hauptstadt Boliviens – auch wenn La Paz längst das politische Zepter schwingt. Sucre trägt ihren Spitznamen „die weiße Stadt“ mit Stolz: Kolonialarchitektur, blitzblanke Fassaden und ein entspanntes Flair machen sie zur wohl charmantesten Stadt des Landes.


Alex dreht hier ein paar Filmaufnahmen für ein renommiertes Café. Unser Lohn: Frühstück und handcrafted Kaffee – gratis. Ich würde sagen: perfekter Deal. Kaffee, Kamera, Kooperation – läuft bei uns.

Salar de Uyuni

11. Februar 2025 – Wir sind am größten Salzsee der Erde angekommen! Der Salar de Uyuni ist ein Monster von einer Landschaft: über 10.000 Quadratkilometer pures, grellweißes Nichts. Um das greifbarer zu machen: Berlin könnte man elfmal hier draufpflanzen. New York und London (Greater London) jeweils immerhin siebenmal.

Und die Höhe? Auch ein Thema für sich. Je nachdem, wo man nachliest oder wen man fragt, schwankt sie zwischen 3.653 und 3.663 Metern über dem Meer. Wikipedia widerspricht sich da gerne mal selbst. Ich habe mit meinem iPhone nachgemessen: 3.660 Meter. Wissenschaftlich natürlich absolut exakt. So oder so: Die Luft ist auch hier dünn, und mein Gehirn protestiert bei jedem schnellen Schritt mit leichter Schnappatmung.

Mein privates Mess-Protokoll

Wir beziehen ein Hostel in der Stadt und finden gleich um die Ecke eine Agentur mit fairen Preisen für die Tour am nächsten Tag. Auf dem lokalen Markt begegnen uns bunt gekleidete, indigene Frauen in Röcken wie Zwiebeln – Schicht um Schicht –, die zwischen Gemüse, Essensständen und Wellensittichen Original-Levi’s und Adidas-Socken verkaufen. Alles da. Nur keine Logik.



Salzziegel

Altertümliche Salzgewinnung (für Touristen)

Unsere privat gebuchte Fahrt führt uns hinaus in die blendend weiße Weite. Keine Straßen, keine Markierungen, kein oben oder unten – einfach eine schneeweiße Fläche wie aus einer anderen Welt. Nach zwei Stunden erreichen wir die Isla Incahuasi, eine Insel voller meterhoher Kakteen, die aus dem Salzmeer ragt wie ein geologischer Witz.

Unendliche weiße Weite



Kakteeninsel Incahuasi

Stinkefinger-Kaktus

Salz-Labyrinth

Auf salziger Hand getragen...

Wenn schon dennschon... so unsere Gedanken. Für eine Nacht wollen wir wissen, wie man in einem Hotel schläft, das vollkommen aus Salz erbaut ist – Geschmacksprobe eingeschlossen. 

Ausruhen im Salzhotel Quechua Hotel de Sal

Beide kommen wir zu dem Schluss: hier schläft es sich hervorragend!

Im Salz festgefahren bei Nacht

In der Nacht hoffen wir auf einen klaren Sternenhimmel. Milchstraße! Kosmisches Kino! Stattdessen: Wolken. Und Regen. Trotzdem brechen wir um 3:00 Uhr früh auf. Unser Fahrer holt uns pünktlich ab und rauscht dann mit fast 100 km/h durch die dunkel-weiße Weite – bis er plötzlich scharf bremst. Aber es nützt nichts mehr und wir versinken. Die Salzkruste war hier nicht dick genug. Wir stecken fest. Mitten im salzigen Nirgendwo. Keine Häuser. Keine Straßen. Ganz allein!

Zum Glück gibt’s noch Handynetz. Unser Fahrer ruft seinen Bruder an, der sich heldenhaft auf den Weg macht. Gegen 5:30 Uhr werden wir schließlich rausgezogen – pitschnasse, in Salzlake eingelegte Füße, leicht frierend, aber um eine neue Geschichte reicher.



Auf dem Rückweg halten wir an einer Stelle, an der es kürzlich geregnet hat – und das Wasser, kaum zwei Zentimeter tief, bildet einen perfekten Spiegel. Trotz Wind ist die Oberfläche glatt wie Glas. Keine Wellen. Keine Kräusel. Nur wir, Himmel, Salz und ein paar Gummistiefel (Gott sei Dank hatte der Fahrer an alles gedacht). Es entstehen Aufnahmen wie aus einer anderen Dimension. Himmel unter uns, Erde über uns. Surreal.
Spiegeleffekte


Eisenbahnfriedhof

Zurück in Uyuni gönne ich mir noch ein Solo-Abenteuer: den Cementerio de Trenes, den Eisenbahnfriedhof am Stadtrand. Alte Lokomotiven verrosten dort in der Wüste wie Skelette vergangener Industrialisierungsträume. Während Alex das nicht weiter interessiert, streife ich durch die Ruinen, mache Erinnerungsfotos und lasse meiner Fantasie freien Lauf...




Zwei Tage in Uyuni – verrückt, fremd, fantastisch.

La Paz

Nachtbus von Uyuni and La Paz

14. Februar 2025 – Der Nachtbus bringt uns von Uyuni nach La Paz und die Stadt empfängt uns um 7:00 Uhr morgens mit hupendem Großstadtwahnsinn. Wir holen uns per Uber ein Taxi durch ein Verkehrslabyrinth, das so aussieht, als hätte ein wütender Stadtplaner Tetris mit Straßen gespielt. Unser Ziel: Saint Peter’s Llama Hostal. Die Rucksäcke dürfen schon mal einchecken, wir folgen später.

Der Tag gehört der Stadt. La Paz liegt wie ein gigantischer Teppich aus orangefarbenen Ziegeln und Dächern in eine tiefe Bergschüssel gepudert, mit Höhenunterschieden bis zu 1.000 Meter. Eine U-Bahn?  Hier??? Unvorstellbar! Stattdessen hat man kurzerhand Seilbahnen gebaut – Schweizer Qualität –, die über die ganze Stadt schweben. Es ist wie eine Mischung aus Verkehrsmittel, Panorama-Tour und Mutprobe. Wir gondeln auf bis über 4.000 Meter. Und ich so? Gehe wieder mal in den Hyperventilationsmodus.

Gondelfahrt über La Paz

Schwebehöhe

Häusermeer von La Paz

Stadtbesichtigung La Paz

Valle de las Ánimas 

Nachmittags erkunden wir das Valle de las Ánimas – ein Tal mit steil aufragenden Felsnadeln, geformt von Wind und Wasser. Es sieht aus, als hätte jemand Orgelpfeifen aus Sandstein geschnitzt. Doch der Schein trügt, es sind gar keine Felsen, sondern eine verfestigte Schluffmischung aus Lehm, Sand, Kies und Steinen – also stark erosionsanfällig, aber mega-interessante, von Regenwasser ausgewaschene Strukturen. 

Eingang zum Valle de las Ánimas

Erosionsformationen


Camino de la Muerte – Die Todesstraße lebt!

15. Februar 2025 – Alex kann es kaum erwarten: Heute steht der legendäre Camino de la Muerte an – die Todesstraße. Bis vor ein paar Jahrzehnten starben hier jährlich zwischen 20 und 300 Menschen. Erst der Bau der neuen Ruta 3 entschärfte das Ganze. Heute? Touristenattraktion. Per Mountainbike. Der Nervenkitzel ist geblieben.

Los geht’s auf 4.200 m – leichter Schneefall inklusive. Erstmal 35 km Asphalt – angenehm bergab, immer mit Blick auf schneebedeckte Gipfel.

Horst in blau –  Alex in schwarz

Immer nur bergab – herrlich!

Dann: Abzweig zur alten Yungas-Straße. Willkommen im Adrenalinpark ohne Geländer. Teils 3 Meter schmal, keine Leitplanken, dafür viele Kreuze am Wegesrand.

Unterschiedliches Terrain

Nicht immer ist klare Sicht

Fast am Ziel

Geschafft

Der Weg führt durch Dschungel, Nebel und Wolken, vorbei an Wasserfällen und Schluchten. Wir ziehen unterwegs Schicht um Schicht aus – von Thermokleidung auf T-Shirt. Am Ende landen wir bei 800 Metern über dem Meer. 70 km Strecke, über 3.000 Höhenmeter Abstieg. Verrückt? Absolut. Aber auch absolut großartig.

Frisurenwechsel für die nächsten Abenteuer

Bevor es weitergeht, wollen wir stylish in die nächste Etappe starten. Alex ist Profi beim Friseur. Ich… eher nicht. Mein Haar hat seit Jahren keine Schere mehr gesehen. Aber heute ist Schluss. Ich entscheide mich – warum auch nicht? – für French Braids. Abenteuer braucht Stil.



Copacabana – Märchen am Titicacasee

17. Februar 2025 – Nach einer weiteren Nachtfahrt erreichen wir Copacabana – nicht den Strand in Brasilien, sondern das bolivianische Dorf am Titicacasee. Alex hat das Hostel ausgesucht – nach Fotos auf Instagram. Und was soll ich sagen: Ich traue meinen Augen nicht. Baumhäuser, Schneckenhäuser, verwunschene Wege – wie ein LSD-Trip im Hobbitdorf.

Das Hostel Las Olas gehört Martin, einem Deutschen, der vor 25 Jahren hierherkam, sich eine Bolivianerin schnappte und sie heiratete, um sich dann als Künstler hier selbst zu verwirklichen. Und wie! Dieses Hostel ist sein Lebenswerk – man sieht’s an jeder Ecke.

Martin, der Künstler

Und der Preis? 50 Euro für ein ganzes eigenes Häuschen – mit Seeblick und Frühstück. Ich fasse es nicht.

Hostel Las Olas

Unser Häuschen

Unser Ausblick

Das Baumhaus

Titicacasee

Copacabana von oben

Der höchste See der Welt

Der Lago Titicaca liegt auf 3.812 Metern über dem Meer und ist der höchstgelegene schiffbare See der Erde. Auf eine Bootstour zu Sonnen- oder Mondinsel verzichten wir – stattdessen verlängern wir

unseren Aufenthalt bei Martin und genießen lieber das Panorama vom Balkon unseres Traumhäuschens.

Am 19. Februar 2025 wollen wir aber weiter und über die Grenze nach Peru.

Peru

Puno

19. Februar 2025 – Die Busfahrt von Copacabana nach Cusco beginnt am Abend gegen 19 Uhr. Alex ist unterwegs ziemlich einsilbig – was bei ihm entweder auf Nachdenklichkeit oder Unwohlsein schließen lässt. Kurz vor Mitternacht, als unser Bus in Puno einen Zwischenstopp einlegt, kommt die Wahrheit ans Licht: Er hat Kopfschmerzen, fühlt sich schlapp. Ich schätze, die Höhe fordert ihren Tribut.

Spontan wie wir sind, beschließen wir auszusteigen. Ein freundlicher Taxifahrer versichert mir, dass wir auch um diese Uhrzeit noch ein günstiges Hotel auftreiben können – und siehe da, das klappt tatsächlich. Auch unser Busticket nach Cusco lässt sich ohne großes Theater umbuchen. Peru, du gefällst mir!

Die Nacht tut Alex gut. Genug Schlaf, viel Wasser, ein paar Ibuprofen – und schon ist er am nächsten Abend wieder fit für die Weiterreise. Bis dahin schauen wir uns das Städtchen und seine Bewohner ein wenig an.

Was mich regelmäßig vom Hocker haut, sind die gigantomanischen Kathedralen, selbst in den kleinsten Ortschaften. Wer hat daran gebaut und wer hat das bezahlt...?

Auf den Spuren des Regenbogens – Montañas de Colores

Cusco → Pitumarka → Uchullujllo

20. Februar 2025 – Am Morgen erreichen wir Cusco, steigen in einen anderen Bus und machen uns sogleich auf den Weg nach Pitumarka und weiter ins fast unaussprechliche Uchullujllo. Alex hat den Plan – und ich folge ihm. Vertrauen ist bekanntlich gut, und bei Höhenluft über 3.000 Metern sowieso alternativlos.

Die Regenbogenberge sind unser Ziel – nicht die überlaufenen Instagram-Hotspots, sondern ihre weniger bekannten Geschwister abseits der üblichen Touristenpfade. Seit die Schneedecke dank Klimawandel langsam schwindet, kommen die farbenfrohen Schichten zum Vorschein: ein geologisches Wunder aus mineralischem Sand. Alex will das mit eigenen Augen sehen – und durch seine Drohnenlinse auf digitale Datenträger bannen.

Per Colectivo (ein lokaler Minibus mit Kampfpreisniveau) fahren wir rund 100 Kilometer durchs Urubamba-Tal nach Checacupe. Von dort bringt uns ein Taxi auf einer holprigen, steinigen Straße weitere 20 Kilometer tiefer ins Vilcanota-Tal nach Uchullujllo. Die Strecke zieht sich wie Kaugummi – gefühlt sind’s 50 Kilometer. Später erfahren wir, dass es auch hier einen Linienbus gibt. Fahrpreis: umgerechnet 50 Cent. Unser Taxi? Zehn Euro. Lehrgeld. Aber immerhin warm.

Zwischenbemerkung: Wer sich die Täler der Anden vorstellt wie liebliche Alpentäler mit Wiesen, Häuschen und Bächlein – falsch gedacht. Die Täler sind oft so eng, dass neben dem unvermeidlichen Fluss gerade noch die Straße hinpasst. Landwirtschaft? Fehlanzeige. Dafür spektakuläre Erdrutschspuren und nervenaufreibende Straßenränder. Bergidylle 2.0.

Die verschwundene Unterkunft

21. Februar 2025 – Unsere Unterkunft in Uchullujllo entpuppt sich als – sagen wir mal – etwas anders als erwartet. Kein Hotel, sondern ein umzäuntes, eingeschossiges Gebäude mit Kartoffelacker und Bolzplatz. Die Einfahrt: mit Kette und Schloss verriegelt. Keine Menschenseele, keine Klingel, keine Telefonnummer. Der Taxifahrer? Längst wieder über alle Berge, im wahrsten Sinne des Wortes. Mit wem hat der eigentlich telefoniert, als er das für uns klarmachen wollte? Mit 'ner Kartoffel?

Dann beginnt es zu regnen. Aber richtig. Wir werfen die Regenhauben über die Rucksäcke und ziehen zurück ins Dorf. Taxis? Fehlanzeige. Dafür der Rat eines freundlichen indigenen Dorfbewohners: „Wartet einfach auf den Bus. Irgendwann kommt er.“ Hm, konkret ist anders. Doch wie bestellt rollt kurz darauf ein klappriger Bus auf den Platz. Vielleicht hat der Busfahrer einen sechsten Sinn für gestrandete Reisende. Jedenfalls sind wir drin, für die besagten 50 Cent – und auf dem Weg zurück nach Pitumarka, wo es angeblich ein paar Hostels gibt.

Unterkunftssuche Reloaded

In Pitumarka sieht’s zunächst auch düster aus. Booking.com? Leere Trefferliste. Die auf Google Maps eingetragenen Herbergen? Verschlossene Türen. Willkommen im digitalen Niemandsland.

Doch wie immer öffnet sich irgendwo eine Tür – man muss nur klopfen, fragen, lächeln und notfalls den „deutschen Wandertouristen“-Bonus ausspielen. Am Ende landen wir in einem Hostel, das zwar weder mit Designpunkten noch mit Spa-Angebot punktet, aber es ist trocken, hat Wände, ein Dach, aber kein warmes Wasser. Luxus ist relativ.

Der große Aufstieg

22. Februar 2025 – Es ist früh und kühl – vielleicht zwölf Grad. Wir rechnen mit sieben Stunden Aufstieg und fünf Stunden Abstieg. Alex packt um: Alles raus aus dem Rucksack, nur das Nötigste wieder rein – das heißt bei ihm: Kamera, Drohne, Objektive, Ersatzakkus und Kabel. Ich begnüge mich mit Wasser, Lunchpaket und Regenschutz. Unterschiedliche Prioritäten, aber hey – jeder wie er kann.

Ein anderer Taxifahrer bringt uns erneut nach Uchullujllo. Wieder ein netter Typ. Diesmal setzt er uns sogar auf 4.140 Metern ab – deutlich über dem Dorf. Sein Wagen schafft die nächsten Serpentinen nicht mehr, aber uns spart das wertvolle Höhenmeter, was sich später noch als Segen erweist.

Der Weg führt nunmehr zu Fuß immer weiter nach oben. Alle paar Hundert Meter brauchen wir eine Pause. Die Luft ist dünn, die Beine schwer. Manche Stellen sind nach Erdrutschen gerade noch für Mopeds passierbar – was die Begegnung mit einem solchen beweist. Und plötzlich liegt da vor uns ein kleines Dorf, spektakulär an den Hang geklebt, auf 4.500 Metern. Doch es wirkt ausgestorben. Nur eine Frau huscht über den Weg und verschwindet wieder.

Hohe Berge – tiefe Schluchten
Vorbei an Bergdorf mit Solarstrom

Wir stapfen weiter. Die Pausen werden häufiger, die Gespräche kürzer. Die Motivation? Schwankt. Aber dann – endlich! – erblicken wir den bunten Bergrücken in der Ferne. Das Ziel scheint zum Greifen nah.

Regenbogenberge

Dort in der Höhe, etliche Meter unterhalb des Bergrückens hört das Gras auf. Die nackte, bunte Erde ist zu sehen und fasziniert unsere Netzhaut, die sich daran kaum sattsehen mag. Das Gras dient übrigens auf Dorfhöhe als Weide für Rinder und bis nach ganz oben für Schafe und Alpakas. Und genau so einem begegnen wir nun. Besser gesagt: dem Chef-Alpaka. Das Tier hat offenbar Territorialprobleme und geht Alex an. Doch der bleibt cool – und setzt sich durch. Sieg für Homo sapiens.

Wer ist hier der Chef?

Die letzten Meter: bunt und surreal. Der Berg sieht aus, als hätte Mutter Natur sich kreativ ausgetobt – Schicht für Schicht verschiedenfarbigen Sand aufgetragen. Wenig Fels, aber viel Sand – als ob der Regenbogen persönlich hier gestrandet wäre.

Alle Farben aus nächster Nähe

Der Gipfel liegt bei knapp 5.000 Metern. Alex ist euphorisch, packt Drohne und Kamera aus – und schießt die Aufnahmen seines Lebens.

Am Ziel

Der Abstieg – durchgeweicht

Runter geht’s erstaunlich schnell. Wir schaffen es in nur drei Stunden. Doch das Wetter meint es nicht gut mit uns: Erst Schnee, dann Regen. Die Bäche, die wir auf dem Hinweg als Rinnsale vor sich hin plätscherten, die wir noch locker überspringen konnten, sind jetzt richtige Flüsse. Trockene Füße behalten? Keine Chance...

Durchnässt und durchgefroren erreichen wir wieder den Bus von gestern – der Fahrer denkt vermutlich „schon wieder ihr zwei?“ Aber wir sind einfach nur froh, im Trockenen zu sitzen.

Cusco

23. Februar 2025 – Ich bin überrascht, wie groß die Orte hier sind, die auf Google Maps kaum mehr als ein Pünktchen sind. In den Anden wirkt jede Stadt wie mit einem Mehlsieb in die Topografie hinein gestreut – Stadtteile, die sich in Täler schmiegen und bis in steile Hänge hinaufkrallen. 

Cusco ist UNESCO-Weltkulturerbe – und das zu Recht. Das Zentrum ist ein Labyrinth aus ultranengen Gassen, wo der Fußgänger neben dem durchfahrenden Auto sich gerade noch so auf dem 30 cm schmalen Bürgersteig aneinander vorbeidrücken können. Viele Gebäude stammen noch aus der Inka-Zeit, gebaut auf makellos behauenen Steinblöcken, die so präzise ineinandergreifen, dass selbst ein Blatt Papier keinen Platz dazwischen hätte. Diese Stadt hat Flair, Vibe – und leider auch gesalzene Preise, wenn’s ums Ausgehen geht.



Machu Picchu

25. Februar 2025 – Mit dem Colectivo fahren wir nach Urubamba. Im dortigen Hotel schmieden wir unseren Plan für Machu Picchu. Ich hatte gelesen, dass man sein Ticket Wochen im Voraus buchen sollte – begrenzte Besucherzahlen täglich. Aber das haben wir nicht gemacht. Nebensaison. Wir hoffen auf Glück. Und tatsächlich: Online lässt sich problemlos eine Reservierung für Machu Picchu buchen – ein Klacks mit Hotel-WLAN und Smartphone. Insgesamt werden zehn verschiedene Tickets angeboten, das heißt auf zehn verschiedenen Pfaden werden die Massen durch die Ruinen geführt, um den Gästen ein größtmögliches Erlebnis zu bieten. Und manche Pfade sind nur zur Hochsaison geöffnet. Also entscheiden wir uns für die Ruta 3-A, die zusätzlich hinauf auf den durch zahlreiche Fotos bekannten, im Hintergrund der Ruinen aufragenden Montaña Waynapicchu führt.

Jetzt die große Frage: Nehmen wir den teuren Zug oder gehen wir den „alternativen“ Weg via Hidroeléctrica – eine Idee, die wir in irgendeinem Reiseblog aufgeschnappt haben? Wir rechnen nach. Der Vorschlag unseres Taxifahrers, uns bis zur Hidroeléctrica zu fahren, ist tatsächlich teurer als der Zug. Entscheidung gefallen – zum Glück!

Wir buchen die günstigere PeruRail (nicht Inca-Rail) und lassen uns zum Bahnhof bringen. Und dann beginnt die eindrucksvollste Zugfahrt unseres Lebens. Links der Urubamba-Fluss: wild, kakao-braun, tosend, mit Felsbrocken von der Größe eines Güterwagens. Ich frage mich, mit welchem Getöse die wohl von den steilen Hängen da reingestürzt sind. Rechts Felswände, die fast senkrecht in den Himmel ragen. Der Waggon hat Panoramafenster bis ins Dach – ich starre wie hypnotisiert hinaus, vergesse zu atmen. Der Bordservice? Airline-Standard. Als wir in Machu Picchu Pueblo ankommen, staunen wir über ein Dorf, das wirkt wie in eine Felsspalte hineingepresst – so eng, dass die Häuser mangels Baufläche einfach in die Höhe wachsen. Wir finden eine Unterkunft – erstaunlich bezahlbar.

Von Ollantaytambo...

...nach Machu Piccu Pueblo

26. Februar 2025 – Unser Ticket gilt nur zwischen 8:00 und 10:00 Uhr – also früh raus aus den Federn. Zum Eingang von Machu Picchu gibt’s zwei Wege: per Sammeltaxi oder zu Fuß. Der Weg ist steil, 390 Höhenmeter, schätzungsweise 1,5 bis 2 Stunden. Alex und ich schauen uns an – keine Frage. Wir verdienen uns das! Nach 90 Minuten bin ich (keuchend) oben, Alex hätt’s wohl schneller geschafft. Die Anstrengung hat sich gelohnt. Das Glücksgefühl? So geil, dass ich mich bremsen muss, nicht arrogant auf die Sammeltaxifahrer herabzublicken. Also, da ist ja immer noch eine alte dunkle Seite in mir! Unglaublich, dass ich sie noch in mir trage – und spannend, sich selbst so zu beobachten.

Machu Picchu

Und dann stehen wir da: vor den Ruinen. Wie beschreibt man Machu Picchu? Was die Inka hier vor Jahrhunderten ohne Maschinen, ohne Technik, ohne Computer und Software geschaffen haben, sprengt mein Vorstellungsvermögen. Riesige Steinblöcke, unregelmäßig geformt, passen wie ein dreidimensionales Puzzle millimetergenau ineinander. Das Ganze auf einem Hang mit über 45 Grad Steigung – und nichts rutscht ab. Wie, verflixt nochmal, haben die das eigentlich gemacht? Selbst mit modernen Sicherungstechniken käme man da kaum hin. Da gibt es ein Bewässerungssystem, das mich an das römische Beispiel erinnert. Haben sich etwa die einstigen Inka- und Römer-Ingenieure zu historischen Technik-Konferenzen getroffen?

Millimetergenaue Arbeit

Bewässerungssystem

Da wir die Tour mit dem Montaña Waynapicchu gebucht hatten, müssen wir da auch noch rauf. Und wir staunen nicht schlecht, als wir sehen, dass dort die Gärten angelegt wurden. Und wieder kommen wir aus dem Staunen über diese technischen Meisterleistung nicht heraus.

Da oben rauf – 45°-60° Anstieg – Außentreppe

Der Ausblick – gigantisch!

Trick-Unterkunft

Abends geht’s dann ins Andenia Boutique Hotel, ein Tipp von Alex, der mit den Leuten vom Hotel schon in Hamburg abgemacht hat, ihnen einen Werbefilm zu drehen. Im Gegenzug: drei Nächte königlich wohnen. Kann man machen.


Bevor wir zum Nachtbus Richtung Lima aufbrechen, wollen wir noch zur Saline von Maras, besser bekannt als die Salzterrassen von Maras – eine uralte Salzgewinnungsanlage mitten im Gebirge. Klar, auch dafür gibt’s Tourenanbieter mit Klimaanlage, Lunchpaket und Luxuspreis. Aber wir wählen – natürlich – den Wanderpfad. Wer sich tragen lässt, sieht weniger. Und begegnet weniger Menschen, die dort leben.

Salzterrassen von Maras


Sandboarden in Ica

3. März 2025 – In der wüstenartigen Region um Ica gibt’s riesige Sanddünen. Alex hat herausgefunden, dass man sich dort Snowboards leihen und die Hänge runtersurfen kann. Eine Riesengaudi – vor allem, weil er will, dass auch ich aufs Brett soll. Spoiler: Ich habe mich wacker geschlagen.

Pistenflitzer 😎

Sandfresser 😂

Lima

4. März 2025 – Die letzten gemeinsamen Tage in Lima. Am 7. März geht Alex' Flieger zurück nach Deutschland. Es liegt etwas Wehmut in der Luft. Für Alex ein Spagat: Einerseits dieses gemeinsame Südamerika-Abenteuer mit seinem Dad – andererseits wartet eine gewisse Magnetin namens Nadine zu Hause, die ihn noch stärker anzieht.

Lima – der Strand von Barranco

No Complaints – unser Plan ist komplett. Alles erlebt, was wir sehen wollten. Also chillen wir im Hostel Viajero Lima Bar, schauen Fotos, erzählen Geschichten, gehen essen. Auf Empfehlung eines peruanischen Pärchens besuchen wir das Restaurant Siete Sopas (Instagram-Link). Ich habe gerade die Menükarte beiseitegelegt, als ich in ein Gesicht schaue, das mir bekannt vorkommt. Sekunden später liegen wir uns in den Armen – obwohl wir uns nie zuvor begegnet sind.

Was war passiert? Vor über drei Jahren, ganz am Anfang meiner Weltreise, hatte ich auf dem Jakobsweg eine Couchsurfing-Unterkunft bei Alexander und Ana in Kriftel, nahe Frankfurt. Ana, gebürtige Peruanerin, neugierig auf meinen Weltreiseplan, sagte damals: „Wenn du nach Peru kommst, musst du meine Schwester in Lima treffen!“ Sie gab mir Elisas Nummer – und ich schrieb ihr irgendwann auf WhatsApp.

Elisa postet fleißig WhatsApp-Statusbilder, die ich über die Jahre oft gesehen hatte, so dass mir ihr Gesicht vertraut war und sofort erkannte. Und sie meines ebenfalls. Und nun sitzen wir hier, ausgerechnet im selben Restaurant, zur selben Zeit. Zufall? Ich glaube nicht an Zufälle…

Elisa mit ihrem Mann

Alex und ich schlendern noch durch Lima und nehmen an, dass die ganze Küste aus Badestränden besteht. Denkste! Das Wasser ist schmutzig und wenig einladend, die Strände eher Kieshaufen als Sandparadiese. Also bleibt’s beim Spaziergang oben auf dem Kliff – rund 80 Meter über den Wellen. Eine schöne Kulisse für Rückblick und Reflexion. Ich blicke auf Alex – er ist nicht nur ein großartiger Sohn, sondern auf dieser Reise auch ein echter Freund geworden.

Abschied

7. März 2025 – Der letzte gemeinsame Tag. Die letzten gemeinsamen Momente, die wir voll auskosten. Es liegt etwas in der Luft, das wir beide spüren, aber keiner so recht aussprechen will. Wir frühstücken zusammen, schlendern noch einmal durch die Straßen, holen uns einen Kaffee, lassen uns treiben. Die letzten Wochen waren intensiv, manchmal herausfordernd, manchmal einfach nur still und groß.

Jetzt, wo Alex seinen Rucksack endgültig schließt, ist klar: Es sind jetzt nicht nur Kleidung und Zahnbürsten darin verstaut, sondern auch Erinnerungen – eine ganze Sammlung voller gemeinsamer Geschichten, über die wir noch in vielen Jahren erzählen, staunen oder einfach schweigen werden. So wiegt dieser Rucksack nun mehr als zuvor, aber auf eine gute Art.

Per Uber-Taxi begleite ich ihn abends spät zum Flughafen. Der Verkehr schlängelt sich zäh durch Lima, aber das ist egal, wir haben genug Zeit eingeplant. Jeder Moment zählt jetzt doppelt. Am Terminal angekommen, noch ein kurzer Check: Bordkarte, Reisepass, alles da. Dann stehen wir voreinander, kurz vor dem Gate. Wir schauen uns an – so, wie man jemanden anschaut, den man für eine Weile nicht sehen wird, aber mit dem man von nun an etwas teilt, das keiner mehr nehmen kann.

Keine Träne, kein großes Pathos – das sind wir nicht. Aber dieser Blick, dieses lange, feste Drücken… das sagt alles.

„Mach’s gut, mein Freund.“

„Du auch, Dad.“

Er dreht sich noch einmal um, winkt, dann verschwindet er hinter der Sicherheitskontrolle. Ich bleibe zurück und spüre: Wir sind uns näher als je zuvor. Nicht nur Vater und Sohn. Sondern zwei Reisende, zwei Männer, zwei Freunde.




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