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Freitag, 26. November 2021

Ein Pilger wird Helfer

 

Mein Jakobsweg zwischen Köln und Koblenz führt sehr nah am Ahrtal vorbei, wo ja durch die enormen Regenfälle am 14. und 15. Juli 2021 eine unglaublich zerstörerische Flutwelle entstand. Die Schäden an der gesamten Infrastruktur sind noch lange nicht behoben. Eine Welle der Hilfs- und Spendenbereitschaft hat wohl in vielen Fällen die erste Not der betroffenen Menschen gelindert. Nach anfänglichem Chaos bei der Hilfswilligkeit vieler Menschen, sind einige Organisationen auf den Plan getreten, die den Bedarf an Hilfe und Unterstützung mit dem Hilfsangebot der Helfer koordinieren. Eine dieser Organisationen ist helfer-shuttle.de

Natürlich wusste ich bereits bei meinem Start in Ahlerstedt, dass ich am Ahrtal vorbei kommen würde. Schon da hatte ich mit dem Gedanken gespielt, mich vielleicht als freiwilliger Helfer einzubringen. Aber ich wollte es "auf mich zukommmen lassen" und hatte mich nicht weiter informiert. In Köln war ich nahe genug darn und erstmals nach Hilfsmöglichkeiten gegoogelt. Durch meine krankheitsbedingte Reiseunterbrechung bekam ich reichlich Zeit, darüber zu Recherchieren. Schließlich wuchs der Entschluss, es auch zu tun und beim Aufräumen und Aufbauen im Ahrtal mitzuhelfen. Mein Wahl fiel auf den Helfer-Shuttle, weil es keine offiziell registrierte Organisation ist, wie beispielsweise ein Verein, wo Kompetenzgerangel geben könnte, was den Spaß und die Effizienz kille macht.

Helfer-Shuttle Organisation 

Im Industriepark des Ortes Grafschaft, wo die Firma HARIBO unübersehbar seinen Hauptsitz hat, wurde eine Fußballfeld große Fläche für Helfer-Shuttle "bebaut" mit drei Lagerzelten für jede Art von Arbeitskleidung in allen Größen, Sicherheitsschuhen, Gummistiefeln, Wollsocken, Arbeitshandschuhe, usw., einem großen Lagerzelt für Arbeitsgeräte, ein Freilager für Schubkarren, Schaufeln, Eimern, etc., einem Verpflegungszelt und einem - naja, sieht nach Partyzelt aus, das wohl in erster Linie für die After-Work-Zusammenkünfte und Nachbesprechungen gedacht ist. 

 

Die Leute von Helfer-Shuttle sind einfach ein Haufen Freiwilliger, die einfach alles selbst in die Hand nehmen, damit wenig burokratischer Aufwnad entsteht und die richtigen Leute an den richtigen Ort kommen. Sie kümmern sich um Sammlung von Geld- und Sachspenden, Registrierung von Hilfsgesuchen und Erstellung von Arbeitsaufträgen, Beschaffung von Bussen und 9-sitzigen Mannschaftswagen, Fahrer, Scouts für Helfereinteilung, Orga der Verpflegung (Frühstück, Mittag, Abendessen), Bereitstellung von Übernschtungsmöglichkeiten, Dixi-Klo und, und, und. Ich glaube, gerade wegen der freiwilligen Helfer, die sich für alles einsetzen lassen, läuft das Ganze ziemlich reibungsfrei. Etliche von ihnen sind schon über Wochen im Einsatz.

Auftragsvergabe für Helfer

Ein Container dient der Auftragskoordination. Dort sitzen zumeist zwei oder drei Mädels rund um die Uhr und nehmen die Hilfsgesuche der betroffenen Menschen aus dem Ahrtal entgegen und bereiten daraus Helfer-Aufträge vor. Morgens bewaffnen sich die Scouts, erkennbar an orangefarbenen Westen, mit diesen Aufträgen und suchen jeweils für die Aufträge die passende Zahl an Helfern.

Bevor es in den Bus geht, muss jeder Helfer einen Corona-Schnelltest machen, für den es eigens eine Teststation beim Helfer-Shuttle gibt.

Hier folgen nun ein paar Aufträge, an denen ich beteiligt war.

Dernau - Weingarten entschlacken 

 Auf den überfluteten Flächen lagerte sich Schlamm ab, der sich über die vergangenen vier Monate verdichtet hat. Dieser Schlamm liegt nun mit einer Dicke von etwa 10 cm auf dem Boden und droht die Wurzeln der Weeinstöcke zu ersticken. Also muss die Schlammschicht raus.

Dreißig Helfer bildeten das Schlamm-Team. Mit Spaten und Schaufel haben wir uns an die Arbeit gemacht. Es stand uns nur eine Schubkarre zur Verfügung und jede Menge Eimer. Wegen des Abstands der Weinstockreihen von vielleicht Eins-Achtzig, haben jeweils zwei Mann nebeneinander mit Spaten vorweg den Schlamm gelockert und zwei weitere dahinter mit Schaufeln die Schubkarre gefüllt. Das Gleiche passierte in einer anderen Reihe - allerdings mit Eimern. Diese andere Reihe mit den Eimern war viel interessanter, denn jeder Eimer wurde in einer Eimerkette bis zur Straße durchgereicht, dort ausgeleert und wieder zur Schaufelstelle vorgereicht. Wir hatten dabei jede Menge Spaß, den die Schubkarrenfahrer leider nicht so hatten.

Mit unserer Truppe haben wir eine Reihe von vielleicht 50 Meter Länge entschlammt. Das kommt mir vor, wie der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein. Oh man, da ist noch so viel, das noch zu bearbeiten ist...

Mayschoß - Hotel enttapezieren

Vom Hotel Lochmühle kam der Auftrag "Tapeten entfernen". Es handelt sich hierbei um ein ziemlich mondänes Haus, das sehr wahrscheinlich schon so manche Berühmtheit begrüßt hatte. Allerdings ist es auch in die Jahre gekommen, hat seine besten Zeiten wohl hinter sich und hat auch ganz offensichtlich schon seit längerer Zeit keinen Erfrischungspinsel und Modernisierungsspachtel mehr gesehen. Vielleicht kam dem Besitzer diese verheerende Flut für eine Sanierung sogar ganz gelegen und all die kostenlosen Arbeiter aus den Helferorganisationen noch dazu...? Oh, bin ich jetzt negativ? Das soll ja nicht sein. Passt nicht zu mir. Also schnell Themenwechsel!
Ich bin Helfer. Also frage nicht nach der Absicht des Hilfsauftrags. Also ran an die Tapeten! Immer schön zu Zweit in einem Zimmer - Elke ist meine Kollegin, ausgerüstet mit einem halben Dutzend Spachteln und einer Sprühflasche der Noname-Marke OK, gefüllt mit Wasser. Ach du meine Güte, der Wandbehang ist ja mit Latexfarbe gestrichen. Aijaijai - das wird teuer. Erst mit der Nagelrolle drüberrollen. Dann einsprühen. Warten. Nix! Ich hab's ja gleich gewusst, das geht nur mit dem Spachtel. Sich mit dem Spachtel durch die fette Farbe wühlen und dann die obere Schicht der Tapete abziehen. Die reißt natürlich ein und lässt sich nicht gerne in Bahnen herunterziehen. Also Fitzelchen um Fitzelchen abkratzen, abschaben, abwürgen... um dann endlich das darunter liegende Papier mit Sprühwasser einzuweichen. Schließlich haben wir gewonnen und das ganze kleine Zimmer an einem Tag geschafft - aber mehr auch nicht. Grrr!

Dernau - Fenster zunageln

Constanze ist die Auftraggeberin. Ihr gehört das Haus, von dem die Flut drei Fenster zerstört hatte und die jetzt winterfest gemacht werden mussten. Mein Mithelfer ist Markus, ein fröhlicher Typ aus dem Wienerwald.... ach nee, Westerwald heißt das doch. Constanze hatte alles Material schon besorgt und bereitgestellt: Spanplatten, Dachlatten, Kaffee und Kuchen! Markus und ich hatten vom BaumAHRkt des Helfer-Shuttles Handkreissäge und Bohrmaschine mitgebracht. Nach Begrüßung und dem obligatorischen Kennenlernkaffee, bei dem wir erfuhren, wie schnell das Wasser kam und die Außentreppe hochmarschierte, sich kurz im Erdgeschoss umschaute, das einen Meter über der Straße liegt, und dann ins Obergeschoss stieg, und Constanze binnen 15 bis 20 Minuten nichts mehr hatte, außer was sie am Leib trug.

Mit Markus zusammenzuarbeiten ist wie ein Fest. Das lief wie geschmiert. Ausmessen, anzeichnen, die Platten auf Maß schneiden, einpassen, festschauben. Zack-zack-zack-fertig! So macht helfen Spaß!

Dernau - Lebensmittel im Bunker umlagern

Ich weiß nicht, wie die Logistik von Sachspenden organisiert ist. Vielleicht gar nicht so richtig. Auf jeden Fall gibt es im Ahrtal in etwas höherer Lage ein paar Bunker, die zu Zeiten des Kaiserreichs als Eisenbahntunne gebaut wurden und im Dritten Reich zu Forschungs- und Produktionsbunkern für Raketenwaffen umfunktioniert wurden. Hier ist jetzt reichlich viel Platz und es ist trocken. Daher wird der Bunker als Lagerfläche für gespendete Hilfsgüter verwendet.

Mit acht Helfern hatten wir den Auftrag, neu angekommene Lebensmittel dort in vorhandene Regale einzusortieren. Mehrmals fuhr ein Geländewagen mit gefülltem Anhänger vor die Bunkertore, die wir dann abluden und in den Tiefen des Bunkers einlagerten.

Ahrweiler - Notunterkünfte bewohnbar machen

Der Bus des Helfer-Shuttle brachte uns diesmal nach Ahrweiler, mit dem Auftrag, ein ehemaliges Containerdorf aus Berlin, für Flutopfer herzurichten. Die Container waren bereits aufgestellt, elektrifiziert, von innen mit Putzfarbe gestrichen, und der Fußboden war auch schon ausgelegt. Das bedeutet, dass die schlimmste Arbeit, nämlich die Reinigung bereits erledigt war. Jede "Wohnung" ist eigentlich eine Zwei-Zimmer-Wohnung und besteht aus drei Containern, die nebeneinander stehen. Sie sind gedacht für Paare und Familien mit bis zu einem Kind. Im mittleren Container befindet sich der Eingang, eine Kochzeile, Dusche und WC. Rechts davon dann imer ein Wohnzimmer und links das Schlafzimmer (siehe Grundriss).

Für die Malerarbeiten waren die Clips für die Rohre mit den Elektroleitungen und die Aufputz-Steckdoden und -Schalter von der Wand abgeschraubt. Hier hatte ich schnell meine Aufgabe gefunden, diese Installation wieder ordnungsgemäß anzubringen. Andere Helfer beschäftigten sich mit dem Aufbau der IKEA-Möbel.

Die Zustände im Ahrtal rund vier Monate nach der Flut

Meine Beschreibungen beziehen sich auf die Ortschaften Dernau und Mayschoss. Aber ich denke, die anderen Orte sehen nicht wesentlich anders aus.

Schutt und Gerümpel ist nur noch wenig zu sehen, und auch keine Halden mehr. Diesbezüglich ist enorm viel geleistet worden. Die Häuser und Gebäude sind zumeist im Zustand eines Rohbaus, das heißt, dass Putze und Verkleidungen abgestemmt sind, Estriche entfernt sind und alles immer noch am Trocknen ist. Fensterlöcher sind vielfach zugenagelt. Abgerissene Wände sind nur mit Folien gegen eindringenden Regen geschützt. Bewohnbar sind von den betroffenen Häusern nur sehr wenige, vielleicht eins von zehn. Und wenn überhaupt, dann nur in den Obergeschossen. Die Wassermarke ist gut zu sehen und befindet sich an manchen Gebäuden in der Mitte des zweiten Obergeschosses.

Die Straßen sind über verschiedene Strecken reine Schotterpisten. Überall wird von den relativ wenigen Fahrzeugen mächtig Staub aufgewirbelt. Alles im Baustellenzustand.

Es scheint, als habe fast keine Brücke die Macht der Fluten und ihrer Mitbringsel heil überstanden. Oft stehen nur noch die Pfeiler da. In anderen Fällen eine halbe Brücke...

Die Talebene ist so gut wie vollständig planiert und sieht total trostlos aus, weil keine Bäume und Büsche da sind. Man ist jetzt dabei, Schichten von Mutterboden aufzutragen.

Der Mut der Menschen scheint zurückzukehren. Heute, am Freitag, den 26.11.2021, sieht man geschmückte Tannenbäume vor den Häusern.



Donnerstag, 18. November 2021

Laufend Blasengeschichten

Es war am 10. November auf der Etappe von Remscheid-Lennep nach Gevelsberg, auf der die druckbedingten Zwischenetappen kürzer und zahlreicher wurden. Diesmal waren es jedoch nicht mehr die Blasen an meinen Füßen, sondern eine Beinlänge höher angelegte Blase, die zusätzliche Boxenstopps einforderte. Und dabei auch noch jedesmal weniger Inhalt ablieferte. 

Das Verhalten dieses Körperorgans kam mir schemenhaft bekannt vor. Ich fragte mich, ob es wirklich das sein sollte, was ich in Jugendzeiten gelegentlich hatte... Blasenentzündung? Ich dachte nach und erinnerte mich nur schwach. Mein Bruder Harald rief mich zufällig an diesem Tag an, um ein wenig zu plaudern. Als ich ihm dann davon erzählte, mahnte er zur Vorsicht. Ich solle aufpassen, dass das nicht hochzieht. "Dass es nicht hochzieht... hä, wie bitte???" fragte ich. Ich wusste nicht, was er meinte. Nun, er meinte, dass, wenn es tatsächlich eine entzündliche Infektion ist, die Nieren davon schnell in Mitleidenschaft gezogen werden können. Aha! Alles klar. 

Außer einer leicht erhöhten Pipifrequenz ging es mir ja hervorragend, bis ich in die Vororte der Großstadt Köln kam. Dort verschob sich das Verhältnis von Pipinot zu Gebüschvorkommen sehr ungünstig. Das wiederum trainiert die Entdeckungsfähigkeit von neuen Pipiverstecken ganz enorm. Ich kann es nicht genug betonen: nach jeder Pipibefreiung war mein körperlich-mentaler Zustand bombastisch. 

Bis Köln!

Kaum hatte ich meine lokale Herberge in Julians Wohnung in Köln-Poll bezogen, war ich  Dauergast im WC. Am Abend traute ich mich kaum noch vor die Tür. Eigentlich war das erstmal egal, denn ich hatte eh einen Tag Pause für Köln eingeplant. Also hieß die Devise: ausruhen. Meine Füße fanden diese Idee sowieso klasse. 

Es wurde Nacht und meiner Blase war nicht zum Schlafen zumute. Im Gegenteil, sie kam jetzt erst so richtig auf Touren und schickte mich im Schnitt einmal pro Stunde um die Ecke, wo sich die Brille vom jeweils vorigen Mal noch nicht ganz abgekühlt hatte...

Mir fielen Haralds Worte wieder ein. Ob das jetzt wirklich so eine Entzündung sein sollte, mit der ich nicht spaßen sollte...? Ich war mir immer noch nicht so ganz sicher. Am Morgen wurde ich fix wach und fühlte mich ausgeschlafen und ausgeruht. Und auch die Pipifrequenz war nach dem Aufstehen und Frühstück fast runter auf Null. Süh... ist doch alles gar nicht so schlimm. 

Nun geschah jedoch die seltsame Verwandlung. Meine bisher gute und positive Energie schlug um in einen nicht zu stoppenden Pessimismus, den ich hier zuvor beschrieben hatte. Dieser Blues hielt mich den ganzen Tag und vor allem die folgende Nacht regelrecht gefangen, wie mit schweren Ketten. Was soll ich jetzt machen, überlegte ich. Welche Möglichkeiten gibt es? Welcher Arzt hat kurze Wartezeit? Was wird er tun und sagen? Na klar, Antibiotika verschreiben und eine Woche Ruhe! Aber wie lange dauert es wirklich? Ich bin in der Wohnung von einem Julian, den ich nicht kenne. Der kommt am Montag aus Frankfurt zurück. Und ich bin immer noch da und sollte womöglich eine weitere Woche in dessen Wohnung bleiben??? No way! Hotel? Zu teuer. Gasthaus oder Privatpension könnte vielleicht passen. Aber die nehmen bestimmt keinen auf, der schon krank daherkommt. Privatherbergen kommen eh nicht infrage, weil die jeweils mit einer Übernachtung rechnen, denke ich - obwohl mich damit tatsächlich getäuscht habe.

Moment mal, schießt mir plötzlich ein Gedanke durchs Gebälk. Als ich vor Monaten mit meinem Freund Olaf (der bereits mehrfach erwähnt wurde) zu einem Zeitpunkt über meine Pläne des Jakobsweges sprach, als es kein Zurück mehr gab, da bot er mir sein Zuhause als Zufluchtsort an, wenn ich mal irgendwie nicht mehr weiterkommen würde. Halloooo.... ist dies jetzt so eine Situation? Ich wollte es nicht wahrhaben. Doch je länger ich darüber nachgedacht hatte - und dazu hatte ich reichlich Zeit, denn schlafen war heute Nacht nicht mehr drin, desto klarer wurde mir, daß ich genau da drin steckte. Also wartete ich noch bis halb sechs und schrieb an Olaf, dass ich ein Thema habe, über das ich gern mal mit jemandem wie ihm sprechen würde. 

Um 6:28 Uhr klingelte mein Handy. Und um viertel nach sieben kam seine WhatsApp Nachricht, dass er auf dem Weg ist, mich in Köln abzuholen. Ich war baff! Und froh natürlich auch. Er schaffte es super durch den Berufsverkehr und war tatsächlich nach zwei Stunden da. Schnell waren meine Siebensachen im Auto verstaut und wir waren unterwegs. In Hüttenfeld ist Olaf zuhause. Nach Köln ist das eine Entfernung von 230 Kilometer. Auf der Rückfahrt rief Olaf noch seinen Hausarzt an, um mich anzumelden, denn freitags schließt die Praxis um 13 Uhr. Wir erreichten die Praxis um 12:20 Uhr. Maßarbeit! So erhielt ich gerade noch vor dem Wochenende mein Rezept für das Antibiotikum. 

Für den Rest des Tages und die folgende Nacht war ich denn auch wirklich krank und rein zeitlich häufiger eingeschlossen als irgendwo sonst. Und jede Sitzung fühlte sich an, als ob man Glassplitter pinkeln würde...
Ich wusste, das wird vorbeigehen - irgendwann! Zähne zusammenbeißen und durch!

War das detailliert genug?

Olaf und seine liebe Claudia haben mich aufs Allerbeste versorgt. Ich bin unendlich dankbar, solche Freunde zu haben, die nicht lange fackeln, sondern da sind, wenn sie gebraucht werden. Absolut keine Selbstverständlichkeit!

Sieben Tage sind seit dem glanzlosen Einzug nach Köln vergangen und nun ich stehe wieder am selben Punkt in der Domstadt. Diesmal jedoch mit neuer Kraft, Energie, Freude und Zuversicht. Ich pilgere weiter und danke dem Himmel, so prachtvolle Freunde zu haben, die halten, was sie sagen 😊


Dienstag, 16. November 2021

Allerlei Begegnungen bis zum ersten Monat

ACHTUNG !
Dieser Beitrag mag ziemlich lang zu lesen sein. 
Aber es könnte sein, dass du darin vorkommst.
 
Um es gleich vorweg zu nehmen, niemand von den hier abgebildeten Personen hab ich je um Erlaubnis gefragt, sein oder ihr Gesicht hier zeigen zu dürfen.... An euch allen mache ich mich also schuldig und ich überlasse es eurem Einfallsreichtum, es mir wieder heimzuzahlen 😝

Leider ist diese Collage nur ein viel zu kleiner Ausschnitt, denn so viel mehr Menschen haben mit Wort und Tat, jeder auf seine Weise, an meiner Reise Anteil genommen, sie beeinflusst und bereichert. Ich würde sogar behaupten, dass die meisten sich dessen nicht einmal bewusst sind. 

Kuba - Lange vor der Pilgerschaft 
Viele Dinge des Lebens fügen sich ineinander wie Puzzlestücke. Oft aber entdeckt man die Zusammenhänge erst im Nachhinein. Ein solches Puzzlestück war ganz sicher meine Reise nach Kuba im Jahr 2018. Die Reise weckte meine Lust an den Ländern Lateinamerikas. Ich traf Leute aus Mexiko, Honduras und Chile - und alle konnten sich miteinander unterhalten. Eigentlich hätte mir das klar sein müssen, aber es direkt zu erleben, hat mich wahnsinnig fasziniert. 

Und wer hat mir den Floh mit Kuba ins Ohr gesetzt...? Es waren André und Sebastian, zwei quirlige Quality-Kollegen, die mich mit den Erfahrungen ihrer Kuba-Reisen abfüllen, bis alle anderen Ideen eigentlich keine Optionen mehr waren. So buchte ich die Reise als Sprachreise - und obendrein einen Salsa-Kurs gleich mit dazu. Das waren die Samenkörner, die später meine Entscheidung für den Altersteilzeitvertrag unterstützten und damit den Jakobsweg als Anfang meines Travellebens ins Rollen brachten. 

Mama
Für eine bestimmte Person würden meine neuen Pläne einen Einschnitt bedeuten: meine Mutter. Durch ihren Gesundheitszustand und dem Leben im Seniorenheim, war sie doch ziemlich stark mit mir verbunden. Denn mein bisheriges Zuhause war nur zehn Minuten Fußweg für sie. Und bei schönem Wetter machte sie gern ihre Runde mit ihrem Rollator durch unsere Straße. Außerdem hatte ich sie so gut wie jeden Sonntag zum gemeinsamen Gottesdienst abgeholt und achteran haben wir zusammen unser Mittagessen gemacht und es gemeinsam verputzt.

Seit Monaten hatte ich jede Woche es ihr neu gesagt und über den Verkauf des Hauses und meine Reise gesprochen. Immer wieder habe ich ihr versucht vor Augen zu führen, dass jemand anders die Tür öffnen wird, wenn sie dort klingelt. Meine Hoffnung war, dass ein bisschen davon in ihrem Gedächtnis haften bleiben würde...

Nur noch ein paar Wochen und Tage!
Fast alle Leute, mit denen ich zu tun hatte, haben auf verschiedensten Wegen erfahren, dass ich mit dem Ende meines aktiven Berufslebens auch radikal mein bisheriges Leben auf den Kopf stellen werde, indem ich heimatlos auf Reisen gehen wollte. Dazu zählt der Kreis meiner Familie und Freunde, meine Kollegen bei Airbus, die ich sehr zu schätzen gelernt habe, meine Glaubensgeschwister vom Doosthof und Umgebung bis zum Allgäu, meine Nachbarn und viele andere. 

Die überwiegende Zahl der Reaktionen waren Erstaunen und Bewunderung über meine Pläne. Jemand schrieb mir "...wenn es so etwas wie positiven Neid gibt, dann hast du ihn". Ich bekam aber auch warnende und ablehnende Worte zu hören. Da habe ich dann besonders zugehört. Vielleicht gab es ja etwas, das ich nicht bedacht hatte. 
 
Über meinen Abschied von meinen Arbeitskollegen bei Airbus hatte ich hier schon berichtet. 

Unser Vorsteher Detlef Oehlers wollte es sich nicht nehmen lassen, mich von der Gemeinde Doosthof und dem Ämterkreis zu verabschieden und organisierte dazu ein besonderes Event. Mit seinem Segen ausgerüstet und einem Schweizer Taschenmesser, das man mir zur Erinnerung mitgab, konnte ich getrost meinen Weg gehen.

Hausrat, Auto und PC zu verschenken 
Wohin mit all dem Gedöns, das sich im Laufe der letzten paarundzwanzig Jahre angesammelt hatte? Zu schade für den Container und zu viel zum Einlagern. Also unter's Volk damit. Und es wurde gern angenommen. Gartengeräte, Werkzeuge und Rohmaterial, Holz sowie ältere brauchbare Klamotten und Spielzeug. Für alles fanden sich Abnehmer. Ein ganz paar Sachen habe ich behalten und dauerhaft in Bremen eingelagert.
 
Mit Herzblut habe ich nach einem neuen Besitzer für meinen alten OPEL Corsa gesucht. Erst schien Yeison, ein Kumpel aus Alex' Clique, ernsthaftes Interesse daran zu haben. Aber er sprang nach zwei Tagen wieder ab, weil er noch einen VW Bulli hat, welcher mehr wirtschaftliche Aufmerksamkeit erforderte und scheinbar kein anderes Gefährt neben sich duldet. Also weitersuchen. 
 
Man sollte wohl mehr dem Himmel überlassen, als alles selbst in die Hand nehmen zu wollen. Dann können auch Wunder passieren. So war eines Tages bei Familie Drieling. Während ich mit Stefan über verschiedene Dinge meiner Haushaltsauflösung im Gespräch war, kam sein Sohn Maxi nach Hause. Ihn nur kurz nach dem aktuellen Stand seiner Lebenssituation gefragt, erklärte er stolz, dass er seit Kurzem den Führerschein hat und mit großem Spaß Auto fährt und gar nicht warten kann, bis er 18 Jahre ist, um nicht mehr "begleitetes Fahren", sondern endlich allein fahren zu dürfen. Aha! Und wann er sich ein Auto zulegen würde, wollte ich wissen. Das kann er noch nicht sagen, weil er ja gerade erst im ersten Lehrjahr ist und nicht weiß, wann er genug Geld dafür zusammen hätte. Aber er spart schon jetzt dafür. Hurraaaa, ich hatte meinen Gewinner gefunden, den ich für meinen Corsa suchte. 
 
Nach kurzer Rücksprache mit Vater Stefan, wurde meine Absicht geheim gehalten. Dann habe ich den Corsa morgens am letzten Tag vor meiner Abreise zu Maxi gebracht. Ich klingelte. Stefan macht die Tür auf. Er ruft Maxi. Maxi kommt völlig verschlafen aus seinem Zimmer und ich frage ihn, ob er gut ausgeschlafen sei. Nicht wirklich, meint er. Ob er was dagegen hätte, wenn ich ihn mal so richtig wach machen würde. Leises Brummen kam als Reaktion. Ich hatte den Eindruck, dass es ihn anstrengte, höflich zu sein. Ich fing an, von Wundern zu erzählen, die machmal geschehen und ob er an Wunder glauben würde, und so weiter. Ich glaube, es hätte nicht viel gefehlt und er wäre wieder eingeschlafen, wenn wir nicht die ganze Zeit gestanden hätten.

Dann nahm ich ein Blatt Papier, das ich als Schenkungsurkunde für den Corsa an ihn ausgedruckt hatte, und gab es ihm zu lesen. Maxi las langsam. Man konnte das an der Bewegung seiner Augen erkennen. Schließlich kam der Moment, als ich fürchtete, er vergisst zu atmen. Er war wie versteinert, aber seine Stirn runzelte. Ich sah, dass er nochmal von vorn anfing. Urplötzlich war der junge Mann hellwach wie ein Atomblitz. "NEIN... NEIN... ECHT??? NEIN... WIE JETZT... DAS GLAUB ICH JETZT NICHT... DAS KANN NICHT SEIN... ". Eine Kette zusammenhangloser Satzfetzen sprudelte aus seinem Mund. Maxi starrte mich an und ich hielt ihm nur den Autoschlüssel vor die Nase und sagte: "Der gehört dir. Bitte anfassen!". Langsam und mechanisch ergriff er den Schlüssel und las die Urkunde vermutlich zum sechsten oder siebten Mal.

Ich mag Überraschungen!

Für meinen PC, der in Wirklichkeit ein in die Jahre gekommener 27" iMac ist, fand ich bereits im Februar den richtigen Nachbesitzer, meinen Freund Ralli. Ralli hatte schon länger mit dem Gedanken gespielt, auf Apple umzusteigen. Was sollte ich da noch nach Alternativlingen suchen, wenn ich einem engen Freund einen Gefallen tun kann?

Tag der Abreise
Die letzte Nacht in meinem ausgeräumten Haus war ich glücklicherweise nicht allein. Mein Sohn Alex war ebenfalls da. Zum Abschied waren Alex, seine Geschäfts- und Schulfreundin Marie, mein Bruder Holger, dessen Frau Ines, mein "neuer" Nachbar Christian, mit dem mich weit mehr verbindet, als ich hier beschreiben könnte, sowie meine Nachbarn des ersten Tages gekommen, Katrin und Michael. Nicht zu vergessen die Familie Langen, die endlich den Hausschlüssel in Besitz nehmen wollten. Jetzt wurde das, was ich mir fast ein Jahr lang überlegt und vorgestellt hatte, Realität. Es wurde  emotionaler als erwartet, richtig scheißeschön!!!

Auf meinen ersten Kilometern gab es noch ein paar wundervolle Begegnungen:

Sina aus Hamburg rief um kurz nach neun Uhr an, ob ich schon unterwegs sei. Wieso, wo bist du denn, fragte ich. In Ahlerstedt, sagte sie und wollte wissen, wo ich denn gerade wäre. Wir verabredeten uns und trafen uns in Harsefeld. Es war so cool. Sie ist extra von Hamburg nach Ahlerstedt gedüst, um Lebewohl zu sagen und mir die besten Wünsche und eine kleine Karte "Ich bin zu Hause" mitzugeben. Wooow!!!

Paolo, dem Besitzer des Eiscafé Dante in Harsefeld, hatte ich schon vor Wochen versprochen, bei ihm auf einen Kaffee herein zu schauen. Das tat ich dann auch: Na schau mal einer an... wer sitzt denn da noch so? Ich laufe direkt Uwe und seiner Elke in die Arme. Uwe, der Makler, der meine Hütte zu meiner Zufriedenheit verkloppt hatte. Natürlich ist es kein Wunder, die beiden hier anzutreffen, aufgrund der verwandtschaftlichen Verhältnisse zu Paolo. Als ich dann noch Paolos liebe Frau Maria sprach, konnte ich mir einen Herzenswunsch erfüllen und ihr mein Kontrabass schenken, das sie schon viele Jahre spielt. 

Am Ortsrand, wo ich Harsefeld in Richtung Hollenbeck verlasse, kommt mit Hans-Jürgen auf seinem Rennrad entgegen. Hans-Jürgen ist jemand, mit dem mich ein sehr bewegendes Ereignis von vor über 30 Jahren für immer eng verbindet. Wir verabschieden uns herzlich, obwohl wir das zuvor schon in der Gemeinde Doosthof eimal getan hatten.

In Hollenbeck konnte ich ganz herzlich den mir ans Herz gewachsenen Arbeitskollegen Dennis verabschieden. Er kam schnell mit dem Fahrrad zum kleinen Dorfplatz, wo sich die Straßen "Am Brink" und "Buttermoor" kreuzen, und wo der Hollenbecker Pilgerstempel seinen Platz hat.

Ganz wichtig war mir der "Abstecher" vom eigentlichen und markierten Jakobsweg über den Doosthof, dem Ort meiner frühen Kindheit (ca. 2.-6. Lebensjahr), der Ort, wo mein Vater begraben liegt und der meine geistliche Heimat ist. Hier mujsste ich mich von meinem Onkel Hans-Jürgen verabschieden. Doch bevor es dazu kam, huschten mit noch zwei fröhliche Gesellen über den Weg: Diego, mein gerade konfirmierter Cellospieler vom Gemeindeensemble sowie mein guter Freund Stefan. Diego hatte mir noch ein Geschenk mitgebracht, ein Pin mit einem Cello. Damit ich ihn nicht vergesse. Ich war ganz gerührt.

Onkel Hans-Jürgen - heute über 90 - ist ein Mann, der mein Leben ganz wesentlich mitgeprägt hat. Als Micro saß ich im Kindersitz, der am Fahrradlenker angebracht war. Da hatte ich meine Nase immer vorn im Wind und die Füße auf den Fußrasten über dem Dynamo. Das fand ich chic. Meine ganze Naturverbundenheit verdanke ich meinem Onkel, denn immer wenn er draußen war und die Situation es zugelassen hat, nahm er mich mit. Waldspaziergänge am Sonntag - wie ich die hasste, weil es immer soooo weit war. Und doch lernte ich die Bäume, Pilze und Beeren zu unterscheiden. Oder die Stimmen der Vögel und Fährten verschiedener Tiere. Er zeigte mir auch, dass der Maulwurf schwimmen kann. Waren wir drinnen, hatte er tolle Bücher, um mir die Natur verständlich zu machen. So vieles mehr hab ich von ihm gelernt.... 

Danke, OHJ. Du ahnst nicht, wie sehr ich dich liebe.

Auf dem Weg über den Doosthof war Jürgen mit seiner Familie meine letzte Anlaufstelle. Hier gab's noch eine körperliche und geistige Stärkung für den Rest der vor mir liegenden Etappe nach Zeven - und den Doosthofer Stempel in meinen Pilgerausweis.

Begegnungen in Herbergen
Herbergseltern, bzw. Gastgeber haben Pilgerblut in ihren Adern, auch wenn sie nie gepilgert sind. Aber sie kennen die Bedürfnisse von Pilgern und ihr Herz ist aus Gold. Euch gilt meine ganz besondere Herzensverbundenheit.
Zeven: Thomas und Karin für Unterkunft und die Party mit Ralli & Catrin und das köstliche Frühstück
Otterstedt: Theda Koldehöfe für den liebevollen Empfang und das Fußbad.
Lilienthal: Vincent May für seine unbeschreiblich urige Herberge.
Bremen: Pastor Henner Flügger und seiner lieben Frau für die Aufnahme im Gemeindehaus und das herrliche Frühstück.
Weyhe: Beate und Siggi Baumann für ein 3m x 3m großes Pilgerbett und das gemeinsame Frühstück.
Harpstedt: Elke Schäfer für die Remote-Bereitstellung der Unterkunft und ihre Herzenswärme, sowie Abendessen und Frühstück.
Wildeshausen: Birte und Heiko für die spontane Bereitstellung der Unterkunft und das gemeinsame Abendessen und Frühstück, sowie die Orga für das "Taxi" zur Kirche.
Damme: Maike für die köstlichen Kartoffelpuffer und den wundervollen Gedankenaustausch.
Kalkriese: Ute und Detlef Haack für die spontane Bereitstellung der Garten- und Partyhütte als Pilgerunterkunft.
Osnabrück: Uli, der feine Glaubensbruder, für die überaus herzliche Aufnahme und dass ich zwei Nächte hier bleiben durfte.
Münster: Pater Bell für die gigantische Bibliothek, in der ich stöbern durfte, sowie für Abendessen und Frühstück.
Rinkerode: Mechthild und Matthias Steinhoff für den Tanzpalast, der mir als Pilgerzimmer zur Verfügung gestellt wurde, sowie fürs Abendessen und Frühstück mit selbst gebackenen Brötchen.
DO-Hörde und Hagen-Haspe: Olaf, der mit seinem WoMo kam, um mich auf einer Tagesetappe zu begleiten.
Remscheid-Lennep: Christine und Marcus für die freundschaftliche Aufnahme und Familienintegration für die Zeit meines Aufenthaltes.
Altenberg: Überraschungsbesuch von Titus, der auf der Durchreise einfach einen Abstecher zu meinem momentanen Standort gemacht hat. Ein wundervoller Moment der Freundschaft!
Köln: Julian, der mich nicht kannte und mir trotzdem gestattete, sein Ein-Zimmer-Appartment aufgrund einer Empfehlung für zwei Tage zu nutzen.

Unterwegs
An vielen Stellen wurde ich unterwegs von Passanten angesprochen. Am Ortsausgang von Wildeshausen laufee ich Markus und seine Familie in die Arme, die gerade auf ihrem Sonntagsspaziergang sind und sich für mein Woher und Wohin interessieren. Dass ich zu dem Zeitpunkt noch keine Unterkunft für den kommenden Abend hatte, war für Markus Ansporn, für mich die Herberge in Visbek zu verschaffen. 

Maike und ihre Mutter traf ich in Damme, Sabine und Jörg in Ladbergen und in Schmedehausen waren es Yvonne und Jürgen. Überall Leute, die richtig neugierig waren, wie man auf die Idee kommt, Haus und Hof zu verkaufen und im Winter den Jakobsweg zu gehen und mit denen sich ganz tolle Momente aus den Gesprächen und Herzensverbindungen ergeben haben.

Eine Mega-Überraschung war der Wanderer-Tisch, der im Niemandsland kurz vor Ladbergen plötzlich vor mir stand: ein Tisch unter einem Sonnenschirm, gedeckt mit O-Saft, Selters, Thermoskannen - eine mit Kaffee, eine mit heißem Wasser für Tee. Ferner eine Box mit Gästebuch und Schreibutensilien. Ich hatte mir gerade voller Freude einen Kaffee eingeschenkt. als von dem einzigen Haus in der Nähe, ein Mann zu mir kam mit zwei stücken Eierlikörtorte. Was für eine tolle Gastfreundschaft mitten in der Prärie.
 
Ralli, mein langjähriger Freund, plante bereits vor meiner Abreise, mich für eine Tagesetappe begleiten zu wollen. Der Termin war für ihn ebenfalls schon lange klar: 25. Oktober, mein Geburtstag! So hat er nur noch abwarten müssen, um zu sehen, von wo nach wo diese Etappe gehen würde. Entprechend hat er sein Auto in Vechta stationiert und ist in aller Frühe mit Öffis nach Visbek gefahren, wo ich mich gerade befand. Wir hatten einen tollen Tag zusammen bis wir Vechta erreichten. Ich wußte gar nicht, wie sehr er auf Pferde abfährt. Und ich wußte auch nicht, welch katholische Prägung diese Region hat. So hatten wir auch so manche neuen Themen, die uns Gesprächsstoff lieferten.
 
Kaum in Vechta angekommen, klingelt mein Handy und mein Bruder Holger meldet sich. Wo ich denn gerade sei, wollte er wissen. In Vechta. Geht's auch genauer, fragte er. Ich so: "Hä...? Wie genauer? Ich bin zum ertsen Mal in Vechta und kenn mich hier nicht aus." Dann hab ich per WhatsApp meinen Standort geschickt und hoffte, er würde jetzt zufrieden sein. War er aber nicht. Jetzt wollte er, dass wir, ich mit Ralli, genau dort bleiben sollten. Er sei gleich da! Hoppla - wooow - Überraschung!!! Damit hatte ich tatsächlich nicht gerechnet. Das war cool! Gemeinsam hatten wir einen ganz tollen langen Abend.

 
In Vechta traf ich Meike, die in vergangenen Jahren bereits auf Pilgerschaft war und mir viele gute Tipps mit auf den Weg gab. Sie hatte gerade Zeit und nutzte die Gelegenheit, mich von Vechta bis Steinfeld zu begleiten. So war ich zwei Tage nacheinander nicht allein.
 
Eine weitere Begleitung schenkte mir Olaf, der mich in Dortmund-Hörde abgefangen hat und bis nach Hagen-Haspe mein Begleiter war. Olaf kam mit seinem WoMo, was mir die Suche nach zwei Herbergen ersparte.

WhatsApp & Co, Blog-Kommentare und Anrufe 
Für meine Begriffe sind es unfassbar viele liebe Menschen, die mir ihre Verbundenheit und ihr Interesse an meiner Pilgerreise zeigen. Viele nahestehende Freunde aus Verwandtschaft, Beruf und Kirche, mit denen ich allerhand Lebenszeit verbrachte, sind mir "auf den Fersen". Aber auch meine Zahnärztin, Fußpflegerin, Sprachlehrer und neue Freunde durch Begegnungen, sowohl live oder über Facebook, Tandem, usw. Das finde ich wirklich großartig und ich hoffe, euch mit meinen Erlebnissen und Erfahrungen etwas zurückgeben zu könnnen, das euch bereichert.

Das ist Unmöglich
Ihr Lieben, die ihr diesen Blog lest, ich finde, dass jede Begenung es wert ist, hier geschildert zu werden. Aber es ist mir leider nicht möglich, jeden mit Namen zu erwähnen. Und sei sicher, ich denke an dich und die Begegnung mit dir!!!
 
Fühlt euch alle umarmt. 

Donnerstag, 11. November 2021

Blues

Da ist er ja endlich... der Pilgerblues.  Fast einen Monat und gute 500 km hat er gebraucht zu reifen. 

Tatsächlich habe ich damit gerechnet. Und doch weiß man nicht im voraus, wie es sein wird. 

Nun habe ich meinen Pilger-Blues. Als ich gestern in Köln eintraf, dachte ich noch, wie unglaublich ich es selbst finde, bis Köln zu laufen. Die Unterkunft bei Julian wurde mir von Olaf vermittelt. Da Julian sich derzeit in Frankfurt a.M. aufhält, bin ich in seiner Ein-Zimmer-Wohnung für mich allein. Kein Problem, auch wenn ich Julian auch gerne persönlich kennengelernt hätte. Da ich mir die Stadt ein wenig anschauen wollte, bekam ich Übernachtungsrecht für zwei Nächte. 

Am ersten Morgen habe ich mich gleich um die Wochenend-Planung gekümmert, das heißt, die Etappen festlegen und Unterkünfte finden. Die Etappen waren zwar schnell abgesteckt, aber Unterkünfte konnte ich ums verrecken nicht finden. Nicht eine einzige auf der Strecke!

Bis zur Mittagszeit habe ich gegoogelt, telefoniert und telefoniert... und wieder von vorne das Ganze. Nix! Airbnb durchgecheckt. Mannomann, es ist nicht zu glauben, was Privatleute auf diesem Portal, das mit dem Win-Win Gedanken aufgetreten ist, für eine Übernachtung haben wollen... teilweise liegen die Preise dort über denen der umgebenden Hotels - einfach verrückt. Also auch nix! Auf couchsurfing.com habe ich mindestens dreißig Anfragen gestellt. Auch nix (vorerst jedenfalls).

Dann hab ich mich bei den Schlappohren gepackt und mit der Straßenbahn zur Innenstadt gefahren. Wollte auf andere Gedanken kommen und mir wenigstens erstmal den Pilgerstempel vom Dom holen.

Aber schon beim verlassen der Wohnung ließ mich meine Unruhe nicht los. Komplett freudlos bin ich los. All die vielen gutgelaunten Leute in ihren individuellen Trachten, Uniformen und sonstigen mehr oder weniger geschmackvollen Verkleidungen (heute ist der 11.11.), die mir überall begegneten, vermochten mir nicht einmal ein müdes Lächeln zu entlocken. 

Am Dom angekommen - welche Überraschung an so einem Tag - alles dicht! Auch das Dom-Forum, zuständig für den Pilgerstempel, hat sich zur Feier des Tages frei genommen. Touristeninformation? Ebenfalls Fehlanzeige. Schnell noch ein Foto (siehe oben) - und zurück zur Unterkunft. 

Auf dieser Rückfahrt hab ich in mich hinein gespürt. Da war massiver Frust, große Unsicherheit, Selbstmitleid zu spüren. Dazu erstmals eine bisher unbekannte Angst, heimatlichen zu sein. Wie kann ich das auf Dauer aushalten? Ich habe keine Option zurückzukehren! Natürlich ist mir das seit über einem Jahr klar. Aber das dazugehörige Gefühl wird erst jetzt spürbar. Sich jetzt also in den Zug zu setzen, um nach Hause zu fahren, ist ein wundervoller Gedanke - aber nicht möglich. Jetzt gibt es nur noch eins: Augen zu und durch...

Montag, 1. November 2021

Mein Körper

Gelegentlich werde ich gefragt, wie meine Füße es mitmachen, jeden Morgen neu loszulaufen. Da dachte ich mir, dieser Frage einen eigenen Blog-Eintrag zu spendieren. 

Letztlich sind nicht nur die Füße in Aktion, wenngleich sie mehr Ladt und diese länger tragen, als je zuvor. Nein, auch die Beine und andere Körperteile weiter aufwärts haben ein Wörtchen mitzureden. 

Das Laufwerk 🥾🥾
Klar, wir fangen unten an, wie beim Hausbau. Das Fundament sind die Füße. Wenn die nicht feste stehen, wackelt alles, was sie tragen.

Wie bereits früher erwähnt, gab's am zweiten Tag die erste Blase. Gar nicht lange gefackelt und gleich ein Blasenpflaster von COMPEED drauf geklebt, und damit ging es ohne Probleme weiter. Diese Blasenpflaster kann ich wirklich empfehlen. Später gab es noch weitere Einsatzfälle für COMPEED. Vielleicht sollte ich mal eine Investition in deren Aktien checken...

Als Abschiedsgeschenk von meiner medizinischen Fußpflege hatte ich eine Tube GEHWOL Fußbalsam bekommen und heute, an meinem 17. Pilgertag die Anwendungshinweise gelesen. Vermutlich hätte ich von Anfang an nicht eine einzige Blase bekommen, wenn ich das Zeug vom ersten Tag an verwendet hätte. Typisch Horst!

Die beste Erfahrung jedoch ist diese: 
Egal wie rund die Füße am Etappenpunkt auch sein mögen, nach einer gut geschlafenen Nacht fühlen sie sich an, als hätte jemand den Reset-Button gedrückt. Ohne die Strapazen des vorigen Tages zu highlights, marschieren sie los, wie am ersten Tag. Das finde ich ziemlich sympathisch. 

Auch wenn ich am Ende meine Trainingsrunden auf über 40 km ausgedehnt hatte, ist eine Tagesetappe von 20 km wirklich genug. Während ich beim Training ein festes Zuhause hatte, habe ich jetzt mein ganzes Hab und Gut im Rucksack und jede Unterkunft ist anders und ich muss jeden Tag neu schauen, wo meine nächste Bleibe ist, wo ich was zu essen finde. Morgens dann alles wieder so verpacken, dass nichts vergessen wird. 

Klar ist natürlich auch, am Ende eines Tages strömt immer eine fast tödliche Giftgaswolke aus den Stiefeln.

Die Ladefläche 🎒
Am ersten Tag waren die 16 kg keine Überraschung, sondern genau das was mit musste. Bis zu 13 kg hatte ich das Gefühl ja schon trainiert, und den Unterschied von plus 3 kg war eigentlich kaum zu erfühlen. 

Wie sagt man so schön, in der Länge liegt die Lust. Männer-Phantasien...

Nein, wirklich! Jeden Morgen diese Kiste wieder hinten hochgewuchtet, hat nicht jeden Tag vollen Spaßfaktor. Es führt zu einer Art von Verspannungen, die die Umdrehungen im Bett unbequem machen können. 

Ansonsten habe ich den Eindruck, dass der Rücken sich auch daran gewöhnt. Oder vielleicht wird die Muskulatur da achtern einfach gestärkt. Ich weiß es nicht genau. 

Essen 🍽
Die Möglichkeiten der Nahrungsaufnahme sind recht unterschiedlich und abhängig von verschiedenen Faktoren. 

Grundsätzlich verteile ich meinen Tagesbedarf mit ungefähr 30% morgens, 10% mittags und 60% abends. Das hat allein den Grund, dass der volle Bauch sich nicht gern bewegt. 

Es gab Herbergen, wo ich sowohl zu Abend und zum Frühstück eingeladen wurde. In anderen Unterkünften stand mir eine Küche mit gefüllten Schränken und Kühlschränken, incl. Bierlager zur Verfügung. Dann gab es Küchen, die ich benutzen durfte, ohne essbaren Inhalt. Und ein andermal hatte ich nichts als ein Bett mit einem Dach über dem Kopf. Von da gehst du einfach los und schaust dich nach einer Tanke oder einem Bäckerladen um. 

Ansonsten gilt Omas unübertroffene und ewig gültige Regel: GEGESSEN WIRD, WAS AUF DEM TISCH STEHT. 

Schlafen 😴 
Es ist eindeutig und nicht wegzudiskutieren, pilgern macht müde. Selbst bei relativ wenig Kilometer Wegstrecke und früher Ankunft in der Herberge, bin ich hundemüde. 

Jeden Abend mache meine Lerneinheiten in spanisch, arabisch oder französisch auf Duolingo. Das Spielprinzip des Sreaks, das heißt die Tage ununterbrochenen Übens macht mir einfach riesigen Spaß. 

Dann wird noch eine Weile WhatsApp gezockt, weil mir so viele Leute was Nettes schreiben und ich ein freundlicher Mensch bin, der gerne antwortet. Am Ende des Tages (meistens so gegen 20 Uhr) schaffe ich kaum noch ein paar Sätze im Blog. Obwohl ich mir vor der Reise vorgenommen hatte, möglichst täglich zu bloggen...

Habe ich alle Fragen beantwortet?

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