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Montag, 8. April 2024

Per Anhalter über‘n Teich (Atlantic crossing)


Ringsum Wasser, nichts als Wasser - und im Osten geht die Sone auf. Ein neuer Tag beginnt!


Rückblick

Als ich im November 2023 Windhuk erreichte, dachte ich mir, dass ich mich mal so langsam um meine Weiterreise von Afrika in Richtung Westen kümmern sollte. Sehr viele Optionen standen mir dabei jedoch nicht zur Verfügung, da Flugreisen nicht in Betracht kommen. Denn zwischen Start und Landung würde mir alles, was diese schöne Erde zu bieten hat, durch die Lappen gehen - selbst wenn es ‚nur‘ Wasser sein sollte, das ich zu sehen bekäme. Also bleiben übrig: Kreuzfahrtschiff, Frachter, oder Segelboot. 

Vom letzteren hatte ich wirklich schon lange geträumt. Aber mit der Erfahrung eines viertägigen Segelkurses eine Atlantiküberquerung mit einem Segelboot zu machen…? Genau - mit einer Nussschale und ohne jede Erfahrung, das gibt der Sache maximales Abenteuerfeeling. 

Mute ich mir da nicht doch ein bisschen zu viel zu??? Per Frachter wäre es doch auch cool - und viiiiel sicherer. Doch die Recherchen weisen für die Mitnahme als Passagier eine Zahlenkolonne aus, die mehr nach einer Bestellnummer als nach einem Preis aussehen. Schade, das bin ich nicht bereit auszugeben. Vielleicht als Deckschrubber anheuern. Nee, das wird leider auch nichts. Heutzutage kommt man in die Hafenbereiche, wo solche Schiffe angedockt sind, nur noch mit irgendwelchen Ausweisen hinein. Verschiedene Foren auf Facebook und einige Websites haben sich auf das Vermitteln von Reisenden als Crews auf private Segelboote spezialisiert. Dort sollte doch etwas zu finden sein, das sowohl den Geldbeutel schont und gleichzeitig ein bisschen Erlebnis verspricht.

Transatlantische Planung

In Namibia angekommen hatte ich nun fast den afrikanischen Kontinent der Länge nach durchquert. Nur Südafrika steht noch auf der Liste, dann habe ich Afrika fertig. Darum wird jetzt es Zeit, mich um die Weiterreise, nämlich der Überfahrt über den Atlantischen Ozean zu kümmern. Selbst wenn ich die vollen drei Monate, die mir das Touristenvisum von Südafrika gewährt, ausschöpfen kann, ist es sicher klug, rechtzeitig zu wissen, mit wem ich fahren werde, dachte ich mir. Segelerfahrene Freunde in Deutschland, wie André, Olaf und Christian gaben mir den Tipp, mich auf der Webseite von www.findacrew.net, www.crewseekers.net, oder auf der App ‚Yacht Cabin‘ umzuschauen. Gesagt, getan. 

Ich registriere mich gegen eine Gebühr, denn ich meine es ja ernst, und das soll auch der potentielle Skipper sehen! Um es kurz zu machen, ganze sieben Skipper waren dort zu finden, die im betreffenden Zeitraum von Kapstadt nach Westen segeln wollten. Fünf dieser Kollegen hatten sogleich abgesagt, als sie erfuhren, dass meine Segelerfahrung lediglich ein viertägiger Kurs war. Mit den beiden anderen gab es zunächst einen verheißungsvollen Austausch, doch gab es letztlich bei dem einem ein Missverständnis und der andere hatte kurzfristig seine Pläne geändert. Kein Skipper für mich? Mein Visum läuft in vier Wochen aus. Mist! Nach einer Rundreise durch Südafrika bin ich jetzt wieder zurück in Kapstadt und habe angefangen, in den lokalen Marinas herumzulungern, um mit Leuten direkt zu sprechen. Ich muss schon sagen, dass mir ein Erstkontakt Vis-a-vis wesentlich sympathischer ist, anstatt - ähnlich wie auf einem Datingportal durch die Kataloge zu blättern. Erfahrungsgemäß hagelt es bei den Datingportalen sowieso nur Absagen bis der Arzt kommt, während man im Real-life eben doch so manche feine Schnitte an Land ziehen kann. Genau dieselbe Erfahrung mache ich gerade auch bei meiner Skippersuche. 

17. Februar 2024. An der V&A-Marina and der Waterfront von Kapstadt verpasse ich gerade eine 12-Meter-Yacht, die die Marina vor meinen Augen und auf 10 m Entfernung in Richtung Brasilien verlässt. 

So pilgere ich abermals zu, Royal Cape Yacht Club. Bei meinem ersten Besuch im wohlklingenden RCYC (Royal Cape Yacht Club) in Kapstadt habe ich es lediglich bis zum Rezeptionstresen geschafft, weil ich Boot und Skipper benennen sollte, die ich besuchen möchte. Beim zweiten Anlauf, sollte ich natürlich wie beim ersten Besuch den Namen des Skippers oder des Bootes angeben. „Oh man, I don‘t have it on my mind right now. But I need to talk to him.“ Plopp - und schon war die Tür zur Pier geöffnet. Woow, das war ja einfach. Dort auf der Pier habe ich etliche Leute angesprochen, die allesamt hilfsbereit und offen für mein Anliegen waren. Zwar konnte mir von diesen Leuten keiner auf Anhieb weiterhelfen, doch einige haben sich meine WhatsApp-Nummer eingespeichert, um mich zu informieren, sobald sie etwas Entsprechendes erfahren. 

Im Foyer des Clubs treffe ich Toddy, einen Australier mit seiner Philipinischen Freundin Ma. Die beiden wollen nach Brasilien, erzählt er mir und ich unterhalte mich neugierig eine Weile mit ihm. Unterdessen kommt ein weiterer Skipper hinzu, dessen Gesicht mir irgendwie bekannt vorkommt. Während ich noch überlege, wer dies sein könnte, fragt er mich schon ob wir uns kennen würden. Na sowas, kann der Gedanken lesen? Als ich mich vorstelle und ihm sage, dass ich eine Möglichkeit als Crew nach Südamerika suche, sagt er „oh maaan, that‘s you? Didn‘t I decline you request?! No experience, as I remember. Right?” Er stellt sich als Ernie vor. Nach einem kurzen Gespräch meinte er, jetzt wo er mich gesehen habe, würde er es sich nochmals durch den Kopf gehen lassen und mich später per WhatsApp wissen lassen, wie er darüber denkt.

Da kommt die ersehnte WhatsApp-Nachricht. Nach meiner Beantwortung einiger Grundsatzfragen erhalte dann auch die Einladung, am nächsten Tag auf sein Boot zu kommen. Das Gespräch auf seinem Boot endete mit einem Handschlag und der Bemerkung von Ernie: “you don’t know what you commit to!” Will der mich jetzt einschüchtern??? Egal, ich habe mein Boot über den Atlantik.

Geil!!!!

Ich habe einen Skipper mit seinem Boot und bin mega happy, und gleichzeitig gespannt, und neugierig, und aufgeregt, aber nicht im mindesten eingeschüchtert oder ängstlich. Ernie meinte, dass ich einige Zeit mit Seekrankheit zu tun bekommen würde. Vielleicht sogar die ganze Tour. Na, dass wollen wir doch mal sehen, denke ich mir.

Für den nächsten Tag schickt Ernie mich los, meinen Bedarf für die Fahrt einzukaufen. WHAAAT…? Noch nie in meinem Leben habe ich auf einmal für den Bedarf von vier bis fünf Wochen eingekauft. Am Ende bringe ich einen Haufen Dosenfutter aufs Boot, von dem Ernie fast nichts anrührt. Jeder hat nunmal seinen Geschmack. Der Frischwassertank des Bootes fasst 160 Liter. Das ist der Bedarf, den Ernie für sich berechnet hat. Folglich kommen noch 120 Liter Frischwasser in 20-Liter-Kanistern - allein für mich an Bord. 

Außerdem ziehe ich von meiner Unterkunft bei Drikus in der Stadt aufs Boot um. Zwei Tage später soll es dann auch schon losgehen. Wirf dürfen uns keine Verzögerung mehr erlauben, denn Ernies Visum läuft ab. Gemeinsam wickeln wir die Ausreiseformalitäten ab, die im Immigration Office in afrikanischem Tempo abläuft. Am Nachmittag kommen erst Drikus und später noch Shawn mit Colleen zum Abschied. Ich kann mich kaum meiner Tränen erwehren, so sehr sind mir diese Menschen ans Herz gewachsen. Ein kühles Bier hilft, die Tränen zu verstecken…😅

Abschied von Shawn & Colleen

Frühmorgens des 27. Februar 2024 um sechs Uhr machen wir die Patience, so heißt Ernies Segelboot, los und tuckern sanft aus der Hafenmole ins Küstengewässer, das selbst bei wenig Wind das Boot gut schaukeln lässt. 


Bye-bye Kapstadt

Ernies Qualitäten als Instruktor zeigen sich sehr schnell. Er erklärt mir systematisch die Handhabung des Bootes, indem er mir zuerst die Basics, wie die Bezeichnung der Segel und Leinen, der Instrumente wie Geschwindigkeitsanzeigen für Wind, Fahrt im Wasser und Fahrt über Grund, beibringt. Meine Qualitäten hingegen zeigen sich ebenfalls überraschend schnell - in der Fehleinschätzung zur Seekrankheit. Kaum schaukelt die Patience in einem Meter hohen Wellen, hängt auch schon mein Kopf über der Reling und ich bekomme mein Abendessen von Gestern noch kurz ein zweites Mal zu sehen und füttere so die Fische.

Saldanha - warten auf gutes Segelwetter

Der erste Tag auf See war trotz kurzer, aber heftiger Seekrankheit, ein ultimatives Highlight: den ganzen ersten Tag auf See. Ich empfinde eine unbeschreibliche Freude und Dankbarkeit. Dankbar bin ich dafür, dass Skipper Ernie, der es seit sieben Jahren gewohnt ist, alleine über die Weltmeere zu schippern, mir so viel Vertrauen entgegenbringt, obwohl wir nur zwei kurze Gespräche miteinander hatten. Auch dass er das Risiko für den Fall auf sich nimmt, dass ich wirklich nicht mit den Bewegungen des Bootes klarkommen würde und dann für vier Wochen mit einem grünen Gesicht in der Koje läge mit allem was dann dazugehört. Was das bedeuten würde, ja - davon hätte ich tatsächlich keine Ahnung. Diese Variante kam in meinen Träumen und Vorstellungen nämlich nicht vor.

So hat uns nun der erste Tag 100 Kilometer weit bis in die Saldanha Bay gebracht und ich bekam einen ersten Eindruck von der Seefahrt und auch vom Wesen meines Kapitäns, der sich offensichtlich auch gern mit kontroversen umweltpolitische Themen befasst und sie diskutiert und sich dabei jeweils auch für meine Meinung interessiert ist. Darüber hinaus lerne ich in ihm einen Menschen kennen, der ein abwechslungsreiches Leben hinter sich hat, wobei sich einige Gemeinsamkeiten zwischen uns herauskristallisieren, beispielsweise das Gleitschirmfliegen. Vor allem aber fällt mir auf, dass seine Art und Weise, mich in die Kunst des Segelns einzuführen und es mir sukzessive beizubringen, unglaublich effektiv ist. Dabei muss man sich vorstellen, dass wir beide eine gemeinsame Barriere zu meistern haben - unsere Schwerhörigkeit, die bei mir noch stärker ausgeprägt ist, als bei ihm. Das führt öfters dazu, dass ich seine Anweisung nicht richtig verstanden habe und daraufhin handle, wie ich denke, was er gesagt haben könnte. Natürlich kann das nicht funktionieren und ich muss lernen, so oft nachzufragen, bis ich sicher verstanden hab, was er gesagt hat. Oijoijoi… das kostet mächtig Überwindung sechs Mal oder noch öfter nachzufragen. Ich weiß nicht, ob sich jemand, der Schwerhörigkeit nicht kennt, das unangenehme Gefühl vorstellen kann, das einen überkommt, wenn man denkt, eine Belästigung für andere zu sein. Kein Wunder, dass sich schwerhörige Menschen oft in die Einsamkeit zurückziehen, nur weil sie andere nicht belästigen wollen, dann aber eben auch nicht mitbekommen, was um sie herum gesagt wird, nicht mitlachen können, weil sie nicht verstehen. Es ist ein Drama! Aber Ernie und ich packen es.

In Saldanha mussten wir vier Tage lang auf ein günstiges Wetter warten. Außerhalb der Küstenregion herrscht Flaute und von Süden zieht ein neues Tief heran, das zu hohe Windgeschwindigkeiten bringt. Also nutzen wir die Zeit, noch fehlende Dinge zu verproviantieren. Und dann am 27. Februar ist es schließlich soweit für den großen Sprung. Das Wetter passt und es geht endgültig los. Das anvisierte Ziel lautet Angra Dos Reis in Brasilien, etwa 150 km südwestlich von Rio. Auf See hatte ich einmal noch mit der Seekrankheit zu kämpfen und dann war es gänzlich vorbei damit. Ich glaube, Ernie hatte mehr Zeit im Sinn, in der ich zu nicht zu gebrauchen gewesen wäre. 

Vielfalt

11. März 2024. Heute ist der zwanzigste Tag, den wir gemeinsam auf unseren etwa zehn Quadratmetern des Cockpits und der Unterdeckfläche der Patience verbringen. Das ist schon ziemlich eng. Sich mal für eine Weile zurückzuziehen, um allein für sich zu sein? Fehlanzeige. Stattdessen entwickeln wir eine sehr respektvolle Atmosphäre untereinander. Und kaum ein Tag vergeht ohne Diskurse über irgendwelche Themen. Ernie hat ein so unglaublich breitgefächertes, detailliertes und tiefes Wissen und Verständnis über all die Dinge, die ihn interessieren. Ich empfinde es als eine Bereicherung, einen solchen Gesprächspartner zu haben. Ernie ist obendrein ein leidenschaftlicher Musiker und hat eine kleine Anlage an Bord, um mit seiner E-Gitarre seine selbst komponierten Songs zu spielen. Dann kommt irgendwann der Moment, als er eine Mundharmonika hervorkramt, ein wenig darauf spielt und anbietet, mir das Spiel auf der Mundharmonika beizubringen. Ey, das ist der Hammer, denke ich bei mir. Noch so ein Moment, wo ich das Gefühl habe, der Kerl kann Gedanken lesen. 

Es ist nämlich so: als junger Mann hatte ich mir vor rund vierzig Jahren während meiner Studienzeit in Braunschweig, Deutschland, eine kleine Mundharmonika gekauft. Doch eine Melodie daraus hervorzubringen, war mir autodidaktisch nie gelungen, sooft ich es auch versucht habe. Frustriert über den Misserfolg verschwand das gute Stück in einer Schublade - für Jahrzehnte. Für meine Reise holte ich sie wieder hervor und steckte sie in meinen Rucksack, in der Hoffnung, jetzt Zeit genug zu haben und so es lange zu versuchen, gegebenenfalls YouTube zu Hilfe zu nehmen, bis es klappt. Allein, ich bin nun schon zweieinhalb Jahre auf Reise und ich habe nicht einen einzigen Versuch unternommen. Und jetzt ist der Ernie hier und will es mir beibringen. Halleluja!!! Ich zögere keine Sekunde. Nach drei Tagen erklingen zwei von mir gespielte Melodien - zwar noch etwas holprig, aber doch erkennbar und vielversprechend - aus meiner Mundharmonika. Ich bin begeistert. Das passt perfekt zu meinem Abenteurerimage. In vier Tagen hat Harald Geburtstag. Für ihn studiere ich das „Happy Birthday“ ein. Ich weiß nicht, wie sehr ich Ernies Geduld strapaziere, denn es will und will und will nicht so richtig klappen. Am 15. März geht meine Mundharmonika durch den Iridum-Äther nach Schweden. Leider landet es nur auf den Anrufbeantworter von Harald. Aber egal, es ist vollbracht.

Heute befinden wir uns ca. 200 Seemeilen südwestlich von St. Helena. Zu gerne hätte ich dort einen Zwischenstopp eingelegt und nach den Spuren Napoleons gesucht. Ernie will aber weiter und sich nicht aufhalten lassen. Also segeln wir daran vorbei. Drei bis vier Wochen Seereise sind es noch von hier nach Angras Dos Reis. Ich bin super gespannt, was noch alles passiert und in welchem Modus wir am Ende dieses Segeltörns voneinander Abschied nehmen werden. 

Über drei Wochen unterwegs und kein Land in Sicht

25. März 2024. Aiiijaijai… fast vier Wochen lang - heute ist der 27. Seereisetag - musste Kapitän Ernie seinen Leichtmatrosen, diese Landratte schon aushalten. Aber einen richtigen Seemann kann so leicht nichts erschüttern, singt der Altländer Shantychor. Als Standardreaktion auf meine Handlungen oder mein Nichtstun haut Ernie gerne ein lautstarkes „What are you doing???“ raus. Er hat gelernt, unter welchen Bediungungen ich verstehe. „Nix“ sage ich dann unsicher. Manchmal bin ich auch irritiert, weil ich meinte, es genau so zu tun, wie er es mir beigebracht hatte. Wenn er die Genua ausrollen will und mir die Anweisung gibt „Let gooo!!!“, dann lasse ich die Furlerline durch die Hand gleiten. Doch nicht genug. Und schon höre ich „What are you doing?“ laut und klar eineinhalb Meter neben mir von der Winsch. Manchmal sagt er seinen Standardsatz auch dann auf, wenn ich alles richtig gemacht habe. Frotzeln gehört zum Handwerk. Humor ist, wenn man trotzdem lacht. 

Apropos Landratte, nicht ein einziges Mal war ich wieder Seekrank. Und mein Kapitän hat mir schon etliches beigebracht: die Pinne nach Kompass steuern, die Segel reffen, fieren und trimmen, den Spinnaker setzen und ihn mit und ohne Chaos wieder einholen, die Instrumente lesen und interpretieren und entsprechend handeln, Mundharmonika spielen, Nachtwache stehen (dabei nicht einzupennen, steht aktuell noch auf meiner To-do Liste), in der Bordküche etwas Schmackhaftes produzieren, meine wohl verdaute Nahrung auch bei 3 Meter Seegang in Hockstellung über die Bordwand zu entsorgen. Was man alles lernen kann - ich bin begeistert. Auch, wenn nicht immer alles auf Anhieb klappt… 

Es ist mal wieder Flaute und wir müssen den Motor anwerfen. Der läuft gleich von Anfang an nicht richtig rund. Da Ernie den Spinnaker-Baum für das Vorsegel herein holen muss, ist es besser Fahrt zu haben, da sonst die Wellen das Boot zu stark stampfen lassen. Doch dem Motor ist das scheißegal, er hat keinen Bock mehr und geht aus. Und das Boot…stampft wie ein Weltmeister. Ernie hat große Mühe mit seiner Stange am Mast. Er kommt ins Cockpit zurück: „What are you doing?“. „Der Motor ist mucksch und will nicht“ sage ich. Eine kurze Inspektion bestätigt unsere Vermutung. Es ist kein Sand im Getriebe, sondern nur Luft im Kraftstoffsystem. Mal wieder. Denn wir kennen das Problem bereits seit Kapstadt. Jedes Mal konnte Ernie die Luft mit der Entlüftungsschraube ablassen. Jetzt müssen wir feststellen, dass das Gewinde dieser Schraube dermaßen ausgefressen war und der Schraube keinen Halt mehr bot, da das Aluminiumgehäuse zu weich und die zugehörige Dichtung auch nicht mehr ganz dicht ist, und dass wir mit der vorhandenen Schraube keinen Blumenopf mehr gewinnen werden. In unserer Hoffnung, es würde doch irgendwie noch einmal klappen, machen wir noch ein paar Versuche zu entlüften. Meine Aufgabe dabei ist, den Motorraumdeckel offen zu halten und dumme Kommentare nach Kräften für mich zu behalten. Doch nein, der Motor hatte beschlossen, in den Warnstreik zu treten. 

Mit viel Bedacht überlegen wir, wie das Problem mit dem zerfressenen Gewinde und der Entlüftung nun gelöst werden kann. Zuerst hat Herr Kapitän das vorhandene Entlüftungsloch mit einer etwas größeren Schraube, die er dort hineingewürgt hat, für immer verschlossen. Aber wo soll nun ein neues Entlüftungsloch hin? Das vorhandene Alu-Gehäuse bietet zum einen nicht genug Wandstärke und ist zum anderen ist es zu weich, siehe Originalgewinde. Wir entscheiden uns schließlich für ein ganz kleines Löchlein in ein Anschlussfitting des Kraftstoffschlauches, das aus Bronze besteht. Mit einer Probebohrung in ein nicht benutztes Material, einem Gewindeschneider und einem Schäublein aus der Kramkiste und alles ganz klein, passte es dann zusammen. Gut soweit! Jetzt dasselbe im Fitting. Alles muss klappen - es gibt keine zweite Chance!!! Hier läuft der Matrose zur Hochform auf und bohrt und schneidet, dass die Späne nur so fliegen. Endlich ist das Gewinde drin und die Śchraube auch. Aus einer Gartenschlauchdichtung entsteht im Handumdrehen die Entlüftungsschraubendichtung. Nun alles wieder am Motor installieren und - START. Auf der Stelle vergisst der Motor seine Streiklaune und schnurrt wie ein Kater, der hinter den Ohren gekrault wird.

Von diesen 27 Tagen auf See gab es drei Tage, an denen wir Tiere im Wasser gesehen haben, von den Fliegenden Fischen, die auf unserem Deck ihre finale Landung gemacht haben, einmal abgesehen. Am ersten Tag hatten wir einen Hai hinterm Heck und an zwei anderen Tagen umgaben Delfine. Die Gastspiele waren immer nur kurz und dann waren sie bald wieder weg. Schade.

Allerdings ist das ein fantastischer Eindruck, zu sehen, wie sie elegant vorm Bug kreuzen und ihre Sprünge machen. Selbst wenn es mir zuvor schon klar war, so hat es meine Augen noch weiter geöffnet, wenn ich hier sehe, wie groß der über einen riesigen Bereich des Meeres verteilte Schwarm von Delfinen ist - es sind Hunderte! - und wie sie dann zu zweit, zu dritt oder zu viert zu spielen scheinen, wird mir überdeutlich, wie ‚unmenschlich‘ es ist, diese Tiere in einem vergleichsweise winzigen Becken für artistische Darbietungen, wie bei Seaworld, zu halten. 

Bis Brasilien sind es noch neun Tage. Geschätzt. Und wenn das Wetter mitspielt und keine Kapriolen schlägt. Dennoch bereiten wir uns auf abwechslungsreiches Wetter und Gewässer vor. Ich bin gespannt.

3.970 Seemeilen über den Südatlantik auf der Patience

30. März 2024. Nach 33 Tagen auf dem Südatlantik kommen erste Anzeichen des neuen Kontinents in Sicht, eine kleine von weißem Sand gesäumte Insel mit einer Handvoll Palmen darauf - genau so, wie man sich Robinson auf seiner Insel vorstellt. Aber wir sehen leider keinen Typen in halbzerrissenen Klamotten winkend neben einer Holzkiste stehen. Also fahren wir daran vorbei und nähern uns der brasilianischen Küste. Das marineblaue Meer der letzten Wochen hat sich plötzlich in ein leuchtendes Türkis verwandelt. 

Wasserfarben

Auch Seevögel begleiten uns hier und da, die über dem offenen Meer fast vollständig gefehlt haben. Fünf Stunden später machen wir vor Caravelas fest, gehen an Land und zischen unser Landebier. Zwei Nächte in Caravelas und dann weiter nach Vitória. 


Me too ❤

Ankunft in der Marina von Vitória am 2. April 2024. Hier machen wir unsere Behördengänge: Immigration, Customs und für das Boot die Registrierung bei der Hafenbehörde. Was wir hier erleben, übertrifft unsere schlimmsten Erwartungen - und zwar in positiver Hinsicht. 

Das Immigration-Office für den Einreisestempel im Pass befindet sich am Flughafen. Ein Freundlicher Polizist fertigt uns ohne lange Fragen in zwanzig Minuten ab. Von hier werden wir zu einer genauen Adresse in die Stadt geschickt, um dort nachzuweisen, dass wir keine Waren importieren. Richtig umwerfend wird es bei der Grenzpolizei, der Polícia Federal, für die Zollformalitäten. Zuerst können bringt uns die angegebene Adresse wegen Baumaßnahmen oder anderen Umständen nicht weiter, so dass wir zum Einfahrtportal des Hafens laufen, in der Hoffnung, dort irgendeinen Behördenmenschen zu finden. Dort sitzen aber nur Securityleute mit der Befugnis, die Schranke auf und zu zu machen und wir verbringen hier zwei volle Stunden, bis plötzlich ein Polizeiwagen mit Blinklichtauf dem Dach bei uns stoppt und bewaffnete Polizisten aussteigen. Uuups - haben wir irgendwas falsch gemacht? Ich bin mir keiner Schuld bewusst. Im Verlauf der nächsten zwei Minuten wird unser Gesprächspartner immer freundlicher und ein weiterer Polizist in Zivil kommt hinzu und gibt dem geradezu herzlich gewordenen Beamten eine Anweisung auf portugiesisch, die wir nicht verstehen.

Fünf Minuten später sitzen wir im Polizeiwagen und werden zur Polizeistation gebracht. Dort erklärt der in Zivil gekleidete Polizist, dass er der Boss dieser Station sei. Er würde uns zur Auswahl stellen, (A) wir können das offizielle Einreisebüro aufzusuchen, das einige Kilometer entfernt ist, und dort die Formalitäten erledigen - oder (B) er selbst würde für uns alle Daten ins System eingeben und uns den entsprechenden Stempel verpassen. Wir gucken uns an und entscheiden mit einem fast unsichtbaren Kopfnicken und breitem Grinsen für (B). So ähnlich läuft es dann auch im Hafenbüro ab. Überall machen die Beamten alle Formularbearbeitungen. Wenn das für Brasilien repräsentativ ist, würde ich sämtliche Deutschen Behördenmitarbeiter auf einen Service-Lehrgang nach Brasilien schicken.

Zeit für ein Fazit.

Die Fahrt

Die See des Südatlantik mit Wellen bis zu drei Metern hat mich mehr als positiv überrascht, da ich mit rauerem Seegang gerechnet hatte. Auch wenn die Wellenkämme in kurzen Abständen unterm Boot hindurch liefen und das Boot haben heftig rollen und stampfen lassen und das sich Bewegen unter Deck zu einer Herausforderung gemacht haben, konnte ich auf meiner Pritsche liegen und so gut schlafen, dass Ernie zur Nachtwache mich kaum hat aufwecken können. Die in dieser Hinsicht ‚wildeste‘ Strecke waren der allererste Tag von Kapstadt nach Saldanha, wo ich auch die meisten Fische gefüttert habe und der allerletzte Tag vor dem Einlaufen nach Vitória in Brasilien. 

Für die Weiterfahrt nach Angra Dos Reis ist das Wetter nicht so gut, so dass ich mich entscheide, in Vitória von Bord zu gehen.

Apropos Nachtwache. Die Fahrt geht ohne Unterbrechung von Südafrika nach Brasilien, das heißt, für die Nacht wird nicht rechts ran gefahren und geparkt, um zu schlafen, sondern die Nacht wird in Nachtwachen zu je drei Stunden eingeteilt, bei denen der eine schläft und der andere im Cockpit sitzt, beginnend um 18.00 Uhr. Unser Plan sieht also Folgendermaßen aus:

18.00 - 21.00 Uhr

Ernie

21.00 - 00.00 Uhr

Horst

00.00 - 03.00 Uhr

Ernie

03.00 - 06.00 Uhr

Horst 

Zum Glück hat der Käpt’n mich nur zwei oder drei Mal bei meiner Innenbesichtigung ertappt. 

Was macht man bei der Nachtwache? Richtig! Nicht pennen und darauf achten, dass man niemand überfährt und nicht überfahren wird (Kollisionsüberwachung), dass man den Antrieb (das Segel) unter Kontrolle behält und nicht zu schnell fährt und sich keinen Strafzettel bei der Haifisch-Polizei einhandelt (Windgeschwindigkeit und Segel setzen oder reffen), und dass man sich nicht verfährt (Kurs halten). Das war‘s auch schon. Ach, eins noch: bei einsetzendem Regen hat man schnell die Sitzpolster unter Deck befördern. Da gab‘s dann auch gleich einen Rüffel von der Kommandobrücke, als ich das einmal - das einzige Mal, dass es richtig geregnet hat - verpennt hatte: „Horst! What are you doing?!“ „Nix, Sir.“ Und das stimmte natürlich auch. 

Spektakulär sind die Sonnenauf- und Untergänge mit Wolkenformationen, wie man sie an der Küste kaum zu sehen bekommt, die ich fast täglich bestaunen kann. 

Sonnenaufgang bei der letzten Nachtwache

Spektakuläre Sonneuntergänge

Im Gegensatz zur Küste hat der Horizont auf dem Meer 360° statt 180°. Die Horizontlinie liegt auch nur zwei bis drei Seemeilen vom Beobachter entfernt. 

Entfernung des Horizontes durch die Erdkrümmung

Für mich als Landratte ist es super interessant zu beobachten, wie beispielsweise ein Frachtschiff nicht als klitzekleiner Punkt am Horizont verschwindet, sondern in stattlicher Größe und gar nicht weit entfernt als Letztes der Schornstein des Dampfers hinterm Horizont verschwindet. Die Erdkrümmung ist wirklich nicht weit weg!

3.790 Seemeilen ohne Unterbrechung

Ich habe die Fahrt total genossen. Vom Besteigen bis zum Verlassen des Bootes habe ich jeden Augenblick und jede der 3.790 Seemeilen (= 7.010 km) bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 4,8 Knoten (= 9 km/h) ausgekostet. 35 Tage hat die Reise gedauert. 

Neugierig habe ich mir Ernies Geschichten angehört, die er bei seiner Weltumsegelung erlebt hat und gern davon erzählt. Speziell das Leben auf dem Boot als das Zuhause und seine Erlebnisse auf den Inseln des Pazifiks haben mich interessiert. Erste Anzeichen deuten schon darauf hin, dass ich mit dem Segelvirus infiziert bin. So stellt sich für mich wohl weniger die Frage, ob und welches Boot ich mir zulegen will, sondern eher wann. Doch will ich meine Weltreise ja im Wesentlichen über Land machen. Darum wird es darauf hinauslaufen, dass ich auf meiner Reise weitere Gelegenheiten nutzen werde, von Kontinent zu Kontinent und das Inselhopping mit anderen Skippern zu machen, um weitere Erfahrungen zu sammeln, bis ich es ohne eigenes Boot irgendwann nicht mehr aushalte.

Das Boot

Die Patience, ein solider Langkieler, ein Boot solider schwedischer Machart. Fabrikat Hallberg Rassy, Modell Monsun. Serialnummer 177. Baujahr 1974. 

Patience

Bereits in der ‚holperigen‘ See vor der Westküste Südafrikas habe ich schnell Vertrauen in die Seetüchtigkeit des Bootes gewonnen, denn nur zweimal hatten wir ein paar Spritzer, die es bis ins Cockpit schafften. Egal wie der Wind auch kam, nicht ein einziges Mal stand das Wasser seitlich vorm Überschwappen. Dieses Vertrauen war für mich wichtig, um entspannt meine Nachtwachen zu fahren.

Gesteuert wird mit einer Pinne, an die wiederum ein Autopilot oder eine Windfahnensteuerung eingehängt ist. Der elektrische Autopilot ist ein Nervtöter!!! Jede Bewegung des Stellmotors macht ein quietschendes Geräusch, Tag und Nacht. Ich war immer happy, wenn ausreichend Wind für die Windfahnensteuerung vorhanden war und wir diese angeschlossen haben. Dann war Ruhe im Karton - dong!

Ernie hat erst vor Kurzem neue Segel bekommen, eine neue Genoa und ein neues Spinnaker. Beide lassen sich gut fahren, das heißt, wenn sie gesetzt sind, wir das Boot weit vorne über die Wellen gezogen und sich dadurch viel ruhiger verhält. Allerdings war es mit dem Einholen das Spinnakers nicht so einfach für den Grünschnabel, trotz entsprechender Einweisung, die Furlerleine freizugeben, was zu einem Stoffknäuel auf der Torsionrope, dem Seil, auf dem sich das Segel durch schnelle Rotation aufwickeln sollte, und einem unüberhörbaren „What Are you doing?!“ führte. Später hat‘s beim zweiten Mal dann aber gut geklappt.

Die Kabine unter Deck - Salon genannt, ist mit einer „Grundfläche“ von rund 10 qm für meinen Geschmack etwas klein, um darin zu leben. Für ein Wochenende mit einer, sagen wir, vierköpfigen Familie, könnte es durchaus gehen. Aber mit Proviant für einen Monat oder mehr, würde es wirklich eng, und ich bewundere Ernie, wie er es macht. Einen Meter länger und einen Meter breiter wäre das Maß, das meine Ansprüche erfüllen würde.

Die Toilette ist INOP (= nicht in Betrieb), was auch nicht nötig ist. Auf der Fahrt steht man recht gut an der Reling und hält den Allerwertesten möglichst weit über die Kante. Das funktioniert hervorragend, gerade bei etwas Seegang bekommt man mit etwas Glück den Po gratis abgewaschen. Das kleine Geschäft mach jeder in seine eigene Plastikflasche, wo ER gerade in die Öffnung passt - oder einfach über die Kante.

Waschen und duschen findet an Deck statt. Viele Worte muss man da eigentlich nicht machen.

Kommen wir zu einer lebenswichtigen Einrichtung: die Kombüse. Es gibt einen Kühlschrank von der Größe einer Hotelzimmer-Minibar. Mit etwas Organisation, wann was gekühlt sein muss, ist das für uns ausreichend. Eine kleine Spüle mit Wasserhahn vom Frischwassertank. Und einen zweiflammigen Gasherd mit Backröhre. Alter, wie geil ist das Teil. Du kannst bei wildestem Seegang dein Essen zubereiten und kochen oder brutzeln und nichts fällt runter oder schwappt über, weil das Ding in Längsrichtung des Bootes schwingend aufgehängt ist. Neigt sich das Boot zu Seite, dann schwingt der Herd so durch, dass nichts - wirklich! - überhaupt nichts überschwappt und alles schön im Topf bleibt.

Es gäbe noch mehr über das Boot, den Motor, das von Ernie selbstgebaute Dinghi, die Instrumente, die Elektrischen Anlagen zu sagen, was den Rahmen dieses Beitrags jedoch sprengen würde.

Die Mannschaft

Eine Landratte wie mich, die sich in eine solche Reise ohne jegliche Erfahrung und hinreichende Vorbereitung hineinstürzt, müsste man wohl in die Schublade ”Verrückt“ einsortieren. Nun, dieses Etikett empfinde ich als Kompliment. Wie inzwischen jeder weiß, habe ich mir dieses Leben bewusst ausgesucht. Weniger, weil ich anders als andere sein will - ja, das auch, gebe ich ja zu😉, sondern hauptsächlich um mich selbst herauszufordern und Unbekanntes zu wagen. Komfortzone kann ja jeder. Also hatte ich mir die Reise zuvor häufig mental vorgestellt: beängstigenden Seegang, Meuterei auf der Bounty, einen Monat lang Dosenfutter, usw. Als Ernie mir bei seiner Zusage meinte, ich wüsste nicht, worauf ich mich einlassen würde, glaube ich, meinte er wohl hauptsächlich die Seekrankheit. Dieser Punkt kam auch in meiner mentalen Vorbereitung tatsächlich nicht vor. Wie überrascht war ich dann doch, als ich sah, dass ich doch die Fische füttern musste. Doch war ich nach zwei Tagen denn auch fertig damit. Kein Unterdrücken des Würgereizes - nada.

Wir haben uns während der Fahrt aufeinander eingespielt und unsere Freude daran gehabt. Zum Beispiel: wir haben abwechselnd füreinander gekocht - einmal ich, zweimal Ernie. Im Gegensatz zu mir - ich habe ohne zu nörgeln alles gegessen, was Ernie in der Kombüse produziert hat - hat Ernie meine Dosenbohnen mit einem verächtlichen Blick beiseite geschoben. „Na, Wat für‘ne Kinderstube hat der denn genossen?“ dachte ich nur, während ich Bohne für Bohne verdrückte. Während ich noch in meinen Gedanken über seine Kinderstube versunken bin, kam auch schon die Erklärung, dass er auf einem Bauernhof aufwuchs, wo es stets frisch geerntete Zutaten gab. DAS erklärt auch, warum ich nie etwas beiseite geschoben habe; Ernie versteht wahrhaftig gut zu kochen - gerade mit wenig Auswahl an Zutaten. Mir hat es jedesmal lecker geschmeckt.

Ernie hat es gefallen, mir möglichst viel vom Segeln beizubringen. Und mir hat es gefallen, von ihm zu lernen, und ich mir zutrauen würde, jetzt mit den erworbenen Kenntnissen sein Boot von Punkt A nach Punkt B allein segeln zu können. Vorausgesetzt, es gibt keinen Sturm. Natürlich fehlt noch Praxiserfahrung. Aber das, was diese vier Wochen gebracht haben, gibt mir ein gutes Gefühl. 

Ein ganz, ganz großes Dankeschön an Ernie - oder Ernesto, wie er sich hier in Brasilien nennt. Dir wünsche ich allezeit eine Handbreit Wasser unterm Kiel. Und wer weiß - man trifft sich immer zweimal im Leben. Bin schon gespannt, wo das sein wird. Vielleicht segelst du dann mit mir… Wer weiß?


PS: Ernie bloggt ebenfalls. Sein Artikel über mich ist hier zu lesen: Ernies Blog über mich.



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Südafrika

 

Tafelberg mit dem Lionhead zur Rechten und dem Devils Peak zur Linken

Südafrika 🇿🇦

Einreise nach Südafrika

18. Dezember 2024, hier am Grenzübergang Vioolsdrif am Highway B1 (Namibia) / 7 (Südafrika) der Hauptverkehrsader zwischen Windhuk und Kapstadt, beginnt meine Südafrika-Expedition. Die Grenzkontrollen passiere ich mit Rossouw, meinem ultracoolen kiffenden Freund, 

der mich in Keetmanshoop in Namibia als Anhalter aufgelesen und mitgenommen hatte. Kurz vor dem Grenzübergang schlug Rossouw vor, am Abfertigungsschalter getrennt zu erscheinen, weil er nicht sicher ist, ob es zu verhörähnlichen Fragen kommt, wenn ich als Ausländer mit ihm gemeinsam im Auto die Grenze passieren wollte. Darauf habe er Null Bock. Folglich will ich mich abermals als Fußgänger abfertigen lassen. Als nun am Schalter an die Reihe komme, so scheint mir, dass sich der Grenzbeamte nicht so recht mit der Spezies 'Fußgänger' nicht auskennt und kategorisiert mich kurzerhand als Radfahrer. 


"Was kostet's?" will ich wissen und greife nach meiner Kreditkarte. "Nichts! Südafrika ist kostenlos für Sie", so die Antwort. Wow - sehr angenehm, finde ich. Wie schon in Zambia, Botswana und Namibia aus - Eintritt frei für drei Monate. 

Weiter geht die Fahrt mit Rossouw über Springbok und Bitterfontein bis nach Klawer. Dort in der Nähe wohnt seine Tante, die Rossouw gerne besuchen möchte. An der Tankstelle von Klawer setzt er mich ab. Er geht schnell zur Toilette - und bevor er zurück ist, um uns voneinander zu verabschieden, habe ich schon meinen nächsten Fahrer gefunden. Riaan, der gerade mit Tanken fertig ist und Kapstadt zum Ziel hat, ist spontan bereit, mich mitzunehmen, als ich ihn frage. In Wirklichkeit will er nach Durbanville (oder so ähnlich), aber das erfahre ich erst später. Schnell ist das Gepäck umgeladen - mein Rucksack ist ja sooo viel Gepäck (hehe). Eine kurze, aber knackige Verabschiedung von Rossouw, und schon sitze ich in einem edlen Mercedes-Benz der C- Klasse. Was für eine coole Art zu reisen und stets neue Leute kennenzulernen.

Riaan macht auf mich den Eindruck eines erfolgreichen Geschäftsmannes. Er zeigt mir gegenüber eine freundlich-offene und an meinen Reiseerlebnissen neugierige Haltung. Auch mit ihm entsteht über die fünfstündige Fahrt eine gute Freundschaft. Wir reden über alles mögliche, oder - wie wir es in Deutschland ausdrücken, über Gott und die Welt. Wieder einmal mehr bin ich fasziniert, wie schnell und tiefgründig eine herzliche Verbindung entsteht. Dafür bin ich außerordentlich dankbar, denn es gibt für mich kaum etwas Schöneres, als gute Verbindungen zu anderen Menschen. 

Als wir uns Kapstadt nähern und ich mich nach Riaans Ziel in Kapstadt erkundige, nennt er Durbanville. Ich staune, als ich auf Google-Maps sehe, dass der Ort doch ein Stück Abseits von Kapstadt liegt. Riaan lässt sich aber nicht beirren und fragt mich im Gegenzug, wo genau mein Ziel wäre. "Hm", sage ich, "ich weiß nicht. Vielleicht sollte ich langsam mal ein Hostel buchen ". Da habe ich schnell Booking.com angeworfen und - zack - das preiswerteste Hostel gebucht. Somit habe ich plötzlich eine Adresse. "Fein", sagt Riaan, "dann wollen wir doch mal sehen, wo das ist". Er gibt die Adresse in sein Navi ein und eine gute halbe Stunde später sind wir da. Boah ey - was es doch für wundervolle Menschen gibt. Wir verabschieden uns mit den besten Wünschen für das bevorstehende Weihnachtsfest und das neue Jahr. 

Ich bin tief bewegt über die Menschen, die ich in der vergangenen Woche kennen lernen durfte, und die mir überaus große Freundschaft erwiesen haben: Johan, Rossouw und Riaan. Doch es wäre ein großer Fehler und ungerechtfertigt gegenüber den vielen anderen Menschen, die mir zuvor schon auf meiner ganzen Reise vom ersten Tag an begegnet sind und mir ebenfalls solche Hilfe, Unterstützung und Verbundenheit erwiesen haben. Wie soll ich sie nur alle aufzählen, ohne einen zu übersehen?

Cape Town

Immer noch 18. Dezember 2024. Nun bin ich hier, in der Stadt, die ich seit langem schon einmal besuchen wollte. Damals, als ich Cecil kennen lernte, der als Student aus Worcester nach Göteborg in Schweden kam und häufig bei meinem Bruder Harald zu Gast war und dadurch ein guter Freund für mich wurde. Oder, wenn mein supa-dupa Arbeitskollege Bernd, der Jahr für Jahr nach Kapstadt reist und nach jeder Rückkehr von der Stadt und Südafrika schwärmte. Oder, wenn Gottesdienste von Kapstadt nach Europa live übertragen wurden und mich mit ihrer grandiosen Musik auf meiner Kirchenbank immer ganz zappelig machten...

Allzu lange habe ich davon geträumt, hier einmal her zu kommen. Und jetzt ist es Wirklichkeit geworden. Ich sitze hier im 'Green Elephant Backpackers' Hostel und es fühlt sich total unwirklich an, wie in einem Film. Ich bin total aus dem Häuschen und kann es niemandem zeigen, der mitfühlen kann. Selbst als ich ein paar Leute per WhatsApp anrufe, von denen ich denke, sie könnten meine Emotionen nachempfinden, spüre ich, dass ich damit doch alleine bin. Nur zu gerne hätte ich jetzt einen Seelenverwandten bei mir. Nun ja, man kann wohl nicht alles haben - jedenfalls nicht gleichzeitig. So finde ich mich damit ab, dass es jetzt halt so ist, wie es ist. 

Der stärkste Magnet in Kapstadt ist für mich die Neuapostolische Kirche mit ihrer Musik. Es ist die Art von Kirchenmusik, bei der mein Herz aufgeht, wo ich nicht mehr still sitzen kann. Das, was die hier entstehen lassen, ist alles andere als ein simples Vortragen von sakralen Liedern und Stücken, es ist jedesmal eine mitreißende Darbietung mit einem großen Chores und Orchester auf Spitzenniveau, und zugleich in Demut und Freude. Schwer zu beschreiben, aber total mein Geschmack! Dabei sind es zumeist Lieder, die ich aus unserem Gesangbuch kenne, welche auch in Gottesdiensten in Deutschland gesungen werden. Aber was die Geschwister in Kapstadt musikalisch daraus machen ist einfach phänomenal! 

Seit Jahren schaue ich deren Konzerte auf YouTube immer wieder rauf und runter, als wäre ich süchtig, und habe mir immer gewünscht, einem solchen Konzert wenigstens einmal beiwohnen zu können (Meine Cape Town YouTube Playlist).

Christmas Concert at the NAC Silvertown Auditorium

Da diese Konzerte an und für sich nur zu besonderen Anlässen stattfinden, hatte ich mich im Vorhinein nicht wirklich allzu großen Hoffnungen hingegeben, ein solches Konzert zu erwischen. Insgeheim es mir aber sehr, sehr gewünscht.

Nachdem ich nun in Cape Town eingetroffen war und mich auf der NAC South Africa Webseite umschaue, sehe ich, dass genau auf meinem ersten vollen Tag in dieser Stadt, dem 19. Dezember 2023, ein Weihnachtskonzert stattfindet. Doch oh nein, es ist schon ausverkauft.  Wie blöd ist das denn! Hätte ich doch schon in Windhuk in der Webseite gestöbert und mir rechtzeitig ein Ticket gesichert, als noch Zeit genug war! Ich überlege einen Moment und denke mir 'probieren geht über studieren' und habe mir spontan vorgenommen, am nächsten Tag einfach hinzufahren und zu schauen, ob vielleicht jemand sein Ticket aus irgendwelchen Gründen zurück gibt.  

Als ich dann da war, frage ich einen Bruder vor dem Tor. Ich sagte, ich hätte kein Ticket; ob vielleicht jemand sein Ticket zurück gegeben hätte. "Woher kommst du denn", fragte er. "Wow, aus Deutschland? Komm mal mit, für dich finden wir schon noch einen Platz". Er nahm mich an die Hand, führt mich hinein und weist mir einen Platz zu. Ich darf da rein ohne ein Ticket.




Als ich da nun so sitze und noch gar nicht fassen kann, wie mir geschieht, da fühlt es sich an, als würden Weihnachten und Ostern und Geburtstag und ein Lottogewinn alles auf einmal zusammenfallen!!!

Das Orchester besteht aus Junioren im Alter so bis 20 Jahre. Dazu ein Kinderchor, der nur so gesprüht hat von Energie und Freude. Es ist der Hammer, was die hier abliefern! Das Konzert erinnert mich an das Kids-2-Kids Konzert, als ebenfalls ein Kinderchor aus Kapstadt 2008 im CCH in Hamburg aufgetreten war. Wer kann sich noch daran erinnern? Leider gibt es von diesem Konzert keine Aufzeichnung auf Tube von You.

Die nachfolgenden Tage laufe ich mit einem Dauergrinsen durch die Gegend und fühle mich unendlich gesegnet und dankbar.

Kapstadt Sightseeing auf eigene Faust

CBD (Center Business District) und Waterfront

Für einen ersten Eindruck über Kapstadt setze ich mich in einen dieser roten Hop-on Hop-off Doppelstockbusse, die mit Kopfhörer für jeden Sitz ausgestattet sind. Ich nehme die 'blaue' Linie. Sie führt einmal um den Tafelberg herum. 

In Hout Bay steige ich aus. In dieser Bucht liegt ein wunderschöner Strand und es gibt einen kleinen Fischerei- und Yachthafen, etliche Fischrestaurants, maritime Geschäfte und einen Markt. Nachdem ich alles gesehen habe, lasse ich mir ein leckeres Fischfilet servieren. 

Danach geht's weiter mit dem nächsten der roten Busse, vorbei an den zwölf Aposteln - das sind zwölf markante Felsvorsprünge entlang der Küste, wo auch noble Wohnviertel entstanden sind - weiter bis zur Waterfront. Hier kann man im Touristenstrom mitschwimmen und endlos viele Restaurants und Läden durch bummeln, die Pier ablaufen und ein laufende und auslaufende Yachten vor der Kulisse des Tafelberges bestaunen, Seehunde im Hafenbecken beobachten, Tagesfahrten nach Robben Island, Wal- und Pinguinsafari, Hubschrauberflüge und anderes buchen. Hier fällt das Geldausgeben nicht schwer. Ich glaube, dass sich jeder Tourist sich wenigstens einen Tag an der Waterfront wiederfindet. Hier gibt es für mich nichts Außergewöhnliches. Ein paar Fotos geben das Flair vielleicht am besten wieder.






Den Tafelberg bezwingen

Der Tafelberg ist rechts und linkst flankiert von zwei Bergen, dem Devils Peak zur Linken und dem Lions Head zur Rechten - von der Stadt aus gesehen. Ein wahrhaftig schönes Bild. Durchs Fenster meines Hostels sehe ich den Devils Peak jeden Morgen, wenn ich aufwache. 

Dass ich den Tafelberg aber nicht nur von unten angucken will ist sofort klar. Und als ich höre, dass es auch Wanderwege gibt, die dort hinauf führen, ist ebenfalls klar, dass die Seilbahn nur etwas für Touristen ist, die zuhause berichten wollen "Ich war auch da oben", oder für fußkranke Menschen, die auf Hilfe von Außen angewiesen sind. Für mich kommt nur der Wanderweg und die Besteigung aus eigener Kraft infrage. Zum Glück habe ich noch immer meine Wanderstiefel im Rucksack dabei. Ihnen zu Ehren erklimmen ich den Tafelberg.

Laura, eine junge Lady aus Deutschland hat sich ebenfalls im Green Elephant Backpackers einquartiert und erzählt mir beim Abendessen, dass sie zu Fuß den Tafelberg rauf will. Wir kommen schnell überein, die Unternehmung gemeinsam anzugehen. 

Am nächsten Morgen bringt uns ein Uber-Fahrer zur Talstation der Tafelberg-Seilbahn, wo zwei der Wanderwege beginnen. Angesichts der vertikalen Klippen des Berges, wundere ich mich zunächst, wo um Himmel Willen der Pfad hinauf zum Plateau führen soll. Aber ich bin zuversichtlich. Ich hatte ja schon mit Leuten gesprochen, die das schon hinter sich hatten und sagten, dass es kein schwerer Weg sei. Nun denn.….wir lachen darüber. 

Laura geht den schmalen Pfad voraus. Dann kommt nach vielleicht zweihundert Metern ein Querweg, der zu einer Entscheidung herausfordert: rechts oder links. Beide Wege führen nach oben. Hmmm... wir entscheiden uns für rechts. Nach einem halben Kilometer unterlaufen wir die Seilbahn, und etwas weiter geht es um die Kante des Berges. Bis hierher verläuft der Pfad horizontal und wir haben noch alle Höhenmeter vor uns. Hinter der Kante scheint es, dass wir klettern müssten. Darauf haben wir beide keine Lust. Also zurück marsch, marsch, bis zu der Stelle, wo wir die Entscheidung für links hier und jetzt treffen. Ein Kilometer for nothing? Ist halt so! 

Doch der linke Weg hält uns noch viel länger auf gleicher Höhe. Ich glaube es sind zwei Kilometer bis zu jener Abzweigung, die in eine Schlucht hinein und dort nun mit jedem Schritt höher führt. Nach fünfzig Metern sind wir bereits voll durchgeschwitzt. Ist eben auch halt so!


Die letzten 100 Meter, von unten…
…und von oben

Für Seilbahnfahrer herrscht heute ein Bombenwetter - keine Wolke am Himmel, dass man bis New York gucken kann. Für Wanderer ist der Wind ein Segen, doch im Schatten kurz ausruhen? Fehlanzeige. Kein Baum, nur niedriges Gebüsch. Die zwei Liter Wasser werden minutiös eingeteilt. Es ist egal, dass es von der Sonne auf Pipi-Temperatur gebracht wurde. Wir kämpfen uns aufwärts. Und sind nicht allein. Viele andere haben sich ebenso auf den Weg gemacht. Nach gut zwei Stunden haben wir es geschafft und sind am Restaurant der Bergstation angekommen, wo wir uns erfrischen. Dafür müssen wir allerdings erstmal eine halbe Stunde Schlange stehen - wegen der vielen Seilbahnfahrer. Aber wir werden mit einer atemberaubenden Aussicht über Kapstadt belohnt.

Wanderroute

Kapstadt vom Tafelberg

Robben Island

Die Gefängnisinsel auf der Nelson Mandela achtzehn Jahre inhaftiert war, gehört auch zu den Empfehlungen, die mir von Freunden ans Herz gelegt wurden, die vor mir in Kapstadt waren. Also habe ich mir ein Ticket gekauft. Eigentlich hätte ich zwei Tage warten sollen, wie eine ältere Dame und ihre zwei jugendliche Enkel, die gerade vor mir am Schalter ihre Tickets gekauft hat. Alle Touren bis dahin seien voll und ausgebucht. "Sind Sie allein?" höre ich jemand sagen. Ich drehe mich um und sehe eine junge Frau in der Uniform der Mandela-Stiftung die mich ansieht. "Yes madam" entgegne ich. "Come on, hurry up and get on the ferry outside!" Und zack, habe ich zwei Tage gewonnen. 

Die Fahrt dauert so ungefähr vierzig Minuten. Es ist warm und keine Wolke spendet Schatten. Auf der Insel wartet ein Bus mit einem Guide auf uns. Ich erfahre, dass fast alle Guides ehemalige Gefängnisinsassen sind und es ihnen ein Anliegen ist, authentisch zu berichten. 

Ich bin überrascht, zu hören, dass es hier nicht nur das eine Gefängnis gibt. Nein, es sind drei kleine Gefängnisse und das große Hochsicherheitsgefängnis, in den Mandela und andere gebildete Revoluzzer verwahrt wurden. Eines der drei kleinen Gefängnisse war ein muslimisches Gefängnis. 

Was gibt es dort zu sehen? Abgesehen von den Berichten des Guide, gibt es fast keine Informationstafeln und keine Fotos, die ich hätte ansehen können. Nacktes Gemäuer der Gebäude und unüberwindbar hoher Einfriedungen, etliche Mehrbetträume und viele Einzelzellen, von denen eine Nelson Mandela bewohnte. 

Ohne Fotos und Beschreibungen ist mir die Exkursion schnell langweilig geworden. Aber ich kann jetzt wenigstens sagen, ich war dort. 

Christmas afternoon at Camps Bay Beach

Es gibt einen Song, den der NAC Cape Town Children Choir auf einer seiner CDs aufgenommen hatte: 'Christmas in Cape Town'. Dieser Song geht mir seit Tagen durch den Kopf und inspiriert mich, Weihnachten an einem der Strände zu verbringen. So fahre ich mich am Nachmittag des 25. Dezember nach Camps Bay Beach. Hier weht ein so heftiger Wind, dass aufgewirbelte Sandkörner wie tausend Nadeln auf der Haut pieksen. Aber mir gefällt es, denn auch das Meer kracht mit wilden Wogen ans Ufer. Den ganzen Nachmittag bleibe ich hier und genieße es. Es ist warm und viele Leute haben die gleiche Idee.


Silvester mit Shawn

Über Kapstadt wird nachgesagt, dass sich 10% der Bewohner zur Konfession der Neuapostolischen Kirche bekennen. Wooow... das würde bedeuten, dass statistisch jeder Zehnte, der mir hier begegnet, mein Bruder oder meine Schwester im Herrn ist. Wenn das stimmt - krass!!! Tatsächlich fällt mir auf, dass es Kirchen zuhauf gibt. Könnte also was dran sein, an dieser Behauptung (von ich gerne wüsste, wer sie aufgestellt hat). Selbst wenn die Zahl völlig aus der Luft gegriffen wäre, so ist die Dichte der Glaubensgeschwister hier (wie auch schon in Sambia) auf jeden Fall deutlich höher, als in meinen heimatlichen Gefilden. 

Und ich hätte gerne einen Freund in dieser Gemeinschaft. Da fällt mir der Bank-Hans, auch Zwiener-Hans genannt (weil da gab es auch noch den Kies-Hans), ein, der Cousin von Marianne, meiner Lieblingsfreundin in jungen Jahren aus Miesbach in Oberbayern. Lange, lange ist's her. Dieser Hans hatte damals schon, Mitte der Achtziger, enge Kontakte nach Kapstadt. Das fiel mir spontan wieder ein. 'Ob ich den mal frage?' frage ich mich. 'Klar!' antwortet eine innere Stimme sofort. Artig wie ich manchmal sein kann, mache ich mich eiligst an die Recherche und werde nach wenigen Minuten bei Facebook fündig. Aber was schreibe ich ihm am besten? 'Hey Hans, ich bin in Kapstadt und suche einen Freund. Hast du jemanden für mich?' klingt irgendwie total bescheuert. Hab's aber trotzdem so gemacht - und mit ein paar netten Worten drumherum. 

Kurze Zeit darauf bekomme ich Antwort. Hans berichtet mir von Shawn und schickt mir dessen Nummer. Als ich dann Kontakt zu Shawn aufnehme, erhalte ich eine Einladung zu seiner Silvesterparty, mit den Worten, "Hans' Freude sind auch meine Freunde! Am besten, du kommst schon am frühen Nachmittag, dann nehme ich dich mit zum Jahresabschlussgottesdienst."

Gesagt, getan. Ein Uber-Fahrer bringt mich nach Mitchell's Plain, wo Shawn wohnt. Wir machen uns miteinander bekannt. Shawn ist noch sehr jung - drei Jahre jünger als ich. Zuerst bittet er mich ins Obergeschoss auf die Veranda. "Schau mal" sagt er und zeigt in eine Richtung über die Dächer des Stadtteils. In einer Entfernung von vielleicht einem Kilometer wölbt sich das Dach der weltweit größten Neuapostolischen Kirche - Tafelsig. Cool!!! "Bist du Vorsteher dort?" frage ich ihn. Er verneint lachend. Von hier bis dort gibt es noch etliche Gemeinden." Und dann fahren wir zum Gottesdienst seiner Gemeinde, vorbei an zwei weiteren Kirchen. Von einer der beiden sagt er, dass dies seine eigentliche Gemeinde sei. Aber die Kirche mit ihren 1800 Sitzplätzen sei zu klein geworden. "Wir mussten ausweichen und haben ein Haus gekauft und innen die Wände heraus genommen. Da haben wir jetzt Platz für 300 Geschwister." Tatsächlich... und die 'Hütte' ist gerammelt voll. Shawn als Vorsteher dieser Wohnhausgemeinde führt den Gottesdienst durch. Danach stehen drei Familienbesuche auf dem Programm. Überall nimmt er mich mit und ich lerne eine Menge Neues über praktische Seelsorge.

Als ich diese Gemeinden hier sehe, frage ich mich, warum die Gemeinden in Deutschland zur Zeit immer kleiner werden und hier eher das Gegenteil der Fall ist. "Was läuft hier bei euch anders, als bei uns in Deutschland?" will ich wissen, als wir wieder im Auto sitzen. "Naja" sagt er, "ich weiß zwar nicht, was ihr dort macht oder nicht macht. Aber ich kann dir sagen, WAS wir hier machen: Erstens, das Wichtigste: die Gottesdienste - also die Predigten, sind authentisch. Das heißt, die Menschen verstehen, was sie hören und können es direkt auf ihr individuelles Leben beziehen. Zweitens machen wir viel Fellowship. Das heißt, wir treffen uns häufig, einerseits durch die Gemeinde organisiert und andererseits unorganisiert auf privater Ebene. Familien, Freundschaften, und so weiter. Und da wird dann nicht über Kirche geredet, sondern über alles mögliche, was uns gerade bewegt. Drittens haben wir sehr viele Angebote, wobei Musik mit ihrer stark verbindenden Kraft den größten Teil ausmacht. Und das spricht sich herum. Wenn ein Apostel in die Gemeinde kommt, dann ist immer auch Versiegelung - immer!" Ich lausche gespannt und bin maximal fasziniert. 

Kurz bevor wir zurück zu seinem Haus kommen, sehen wir etliche Leute an der Straße stehen, sowie ein Polizeifahrzeug und einen mit Flatterband abgesteckten Bereich. Dort liegt auf dem Gehweg eine mit Decken abgedeckt Person. "That was a shooting", kommentiert Shawn die Szene. "Wie oft kommt so etwas hier vor", frage ich ihn. "Oft. Einmal im Monat. Manchmal jede Woche. Es handelt sich immer um Drogen. Da will einer woanders dealen. Peng - und tot ist er."

Shawn ist ein Mensch mit einem großen Herzen. Und mit einem klaren Standpunkt. Erst im Juli hatte er seine Frau verloren - und ist jetzt schon wieder verliebt. Dass Trauer einer neuen Verbindung schon nach wenigen Monaten nicht im Wege stehen muss, dafür ist er ein lebhaftes Beispiel. Er gibt zu, dass es auch in ihm gibt es eine Stimme gibt, die sagt, daß sollte man nicht machen so früh. Doch er weiß, dass seine Empfindungen echt sind - beide, die Trauer und das Verliebtsein. "Warum sollte ich das eine zulassen und das andere verdrängen? Weil andere Leute es nicht verstehen?? Ich verstehe es ja selber nicht," sagt er und lacht. "Nein, aus dem Alter bin ich raus, dass ich mich um die Meinung anderer kümmere. Die sollen sich selbst um ihre Meinung kümmern. Ich habe meine! Und die ist mir wichtiger, als die der anderen." 

So werde ich am Silvesterabend 2023 Zeuge einer ganz besonderen, beneidenswerten jungen Liebe gereifter Persönlichkeiten. 


Flower-Power by Shawn 

Zum Dank für die Silvesterparty habe ich mich bei Shawns Floristik zur Mithilfe eingeteilt. 

Shawn setzt das beliebte Floristikgeschäft seiner verstorbenen Ehefrau auf dem Markt von Atlantis, nördlich von Kapstadt, fort. So habe ich mich mit ihm für den ersten Markttag im neuen Jahr verabredet und konnte die junge Freundschaft mit Shawn vertiefen.


New Year's Divine Service by DAP Peter Lambert

7.1.2024 New Year's Divine Service held by the recently ordained DAP Peter Lambert in Silvertown. I am entitled through my new friend Shawn, who got me an access ticket. This Divine service makes me enthusiastic, not because of the music performance alone (which again was awesome), but because of the clear, enlightening and inspiring sermon. I vote Peter Lambert for Chief Apostle!

YouTube Videos (unfortunately removed):

  • Horst zu sehen bei 44:52 - 44:58 und 52:48 - 53:18
  • Start Signal bei 45:47
  • Lied nach Abendmahl für Entschlafene bei 1:54:18 - 1:57:12
  • Abschlusslied bei 2:06:40 - 2:11:36

Volleyball Clifton Beach

Tolle Dinge können geschehen, wenn man jemanden kennt, der jemanden kennt, der jemanden kennt. So bekomme ich die WhatsApp Nummer von Nicci, eine quirlige Lady, mit Verbindungen nach Deutschland. Ohne dass wir uns jemals gesehen hatten, lädt sie mich nach Clifton Beach ein, um mit ihren Leuten Volleyball zu spielen. Da lasse ich mir nicht zweimal bitten...

Mit ein paar Schürfwunden komme ich später wieder ins Hostel. Hab unbedingt noch den Ball catchen wollen und dabei 'ne Schwalbe über den einzigen Felsblock in der Gegend, der zwei Meter neben dem Spielfeld liegt, gemacht. Aber Spaß hat‘s gemacht. Grüße gehen raus an meine Volleyball-Freunde vom MTV in Ahlerstedt.

Dünenflug bei Langebaan

Südafrika ist ein Eldorado für Gleitschirmpiloten. Ich suche einen Fluglehrer und finde Ria, der mir die Einweisung zum Dünenflug, und noch viel wichtiger, den passenden Gleitschirm zur Ausleihe anbietet. Geil, ich bin dabei! 

Bei Langebaan ist eine große Bucht, die von einer kilometerlangen und 50 Meter hohen Sanddüne gesäumt ist. Wenn der Wind richtig steht, weht er ungestört übers Wasser und gibt eine Auftriebszone entlang der Düne. Da kann man in diesem Aufwind an der Düne entlang fliegen, im Fachjargon 'Soaring' genannt, oder man kann auch still über einem Punkt schweben. Mega cool!

Überprüfung der Flugumgebung und Windverhältnisse

Horst steht auf der Bremse und kriegt kaum Höhe 🙈

Stellenbosch 

Die bekannteste Weinregion Südafrikas liegt in den Bergen in und um Stellenbosch, einem sehr hübschen Städtchen etwa 30 km östlich von Kapstadt. Ich mache den Fehler, für einen Tag nach Stellenbosch zu fahren. Ich bin der Meinung, drei Tage sind das Minimum. Die Stadt, die Berge ringsherum mit ihren Wanderwegen und die Weingüter - es ist so schön, dass man nicht wieder weg will. Und ein Tag ist definitiv zu kurz! 

Bilder sagen mehr als tausend Worte:










Dennoch bleibt es für mich bei diesem einen Tag. Nachdem ich die Stadt im Schnelldurchgang gesehen habe, gehe ich auf Weinsafari und besichtige und weinprobiere ich 'nur' zwei Weingüter. Köstlich! 

Großherzigkeit & Fürsorglichkeit in Hartswater

'Mitgehangen, mitgefangen', sagt eine alte deutsche Redensart. Als Gast im Hause Oosterhuizen, so hatte Johan mir bereits bei seinen wiederholten Einladungen auf dem Weg von Windhuk nach Keetmanshoop, mir einen Besuch bei sich schmackhaft zu machen, würde er dafür sorgen, dass mir nicht langweilig werden sollte. Uijuijui... dachte ich, das kann ja was werden. Doch musste ich seine Euphorie dämpfen, da ich nur Kapstadt, die Weinregion um Stellenbosch und eventuell Worcester besuchen wollte und keine Pläne hatte, weitere Gebiete Südafrikas abzugrasen. Und schon gar nicht wollte ich Johannesburg wegen der dortigen hohen Kriminalitätsrate zu nahe zu kommen. Sondern ich gedachte mich in Kapstadt nach Südamerika einzuschiffen. Doch es kam anders. Der Mensch denkt, und Gott lenkt - der Mensch dache, und Gott... nun ja. 

Was macht man in Kapstadt, wenn man die wichtigsten Attraktionen gesehen hat und keinen Skipper nach Südamerika hat? Däumchen drehen wäre eine Möglichkeit, eine Einladung annehmen eine andere. Ich frage kurz nach, ob die Einladung schon verfallen sei oder noch gelte. Nein, die Einladung habe kein MHD (Mindesthaltbarkeitsdatum), im Gegenteil, sie wird sogar noch einmal aufgefrischt. Impfbefürworter würden sagen, die Einladung wurde geboostert.

Es geht um Johan, der mir in Namibia eine Mitfahrgelegenheit anbot und wo wir eine wunderschöne Zeit verbracht haben und Freundschaft geschlossen hatten (siehe hier).

Dann geht alles schnell: die Buchung des Intercape Nachtbusses für den nächsten Abend, den Rucksack packen und dem Hostel verklickern, dass meine Abreise bevor steht. Bislang hatte ich meinen Aufenthalt fünfmal um jeweils eine weitere Woche verlängert und die nächste Woche war bereits vereinbart. 

Night ride


14. Januar 2024, Abfahrt Nachtbus von Cape Town nach Johannesburg um 18.30 Uhr. Zielort ist Warrenton, ziemlich genau 1.000 Kilometer entfernt, von wo der Johan mich abholen will. Ich kann in dem Doppelstockbus einen der vier vordersten Plätze im Obergeschoss ergattern und habe einen prächtigen Ausblick auf die unglaublich schöne Gegend um Kapstadt herum, die saftig grünen Weinfarmen um Stellenbosch herum und die absolut krasse Bergwelt von Worcester. Dann ist es bald dunkel und das gucken wird langweilig. Zum Glück gibt's hier im Bus USB-Ladebuchsen, sodass ich meine Hörbücher hören kann. Auch meine Hörgeräte kann ich dadurch aufladen, als die Akkus leer sind. An verschiedenen Tankstellen legt der Bus Stopps ein, wo ich mir einmal einen Cappuccino genehmige. Irgendwann schlafe ich ein. Doch so richtig erholsam wird es nicht, denn ich will meine Haltestelle nicht verpassen. 

Es ist sieben Uhr, als wieder ein Tankstellenstopp eingelegt wird. Ganz relaxt 'lese' ich mein Hörbuch. Als der Bus schon fünf Minuten steht, frage ich eine andere Mitfahrerin, ob sie wüsste, wie weit es noch bis Warrenton sei, sagt sie 'Das hier IST Warrenton'. Wooooohoo... wie ein geölter Blitz schnappe ich meinen Tagesrucksack und allen Kleinkram, der eigentlich dort hinein gehört - und springe raus aus dem Bus. Schnell zum Anhänger und meinen Rucksack heraus holen. Puuuh... das hat gerade noch geklappt. Und dann steht da auch schon Johan, der mir freundlich den Rucksack abnimmt. Aber ich bin noch so voll Adrenalin, dass ich kaum 'Hallo' sagen kann. Außerdem war ich mir nicht sicher, ob ich in der Eile nicht womöglich etwas oben im Bus habe liegen lassen. Doch es scheint alles komplett zu sein und Johan lädt mich zum Frühstück in die Caféteria der Tankstelle ein. Es gibt viel zu erzählen.

Hartswater

Auf dem Weg nach Hartswater, wo er mit seiner Frau lebt, erfahre ich, dass das Gebiet die weltweit größte künstlich bewässerte Fläche sei, in dem das Wasser des aufgestauten Oranje Rivers durch ein riesiges Kanalsystem durch natürliches Gefälle zu jeder Farm transportiert wird. In der Tat sehe ich entlang der schnurgeraden und rechtwinklig abzweigenden Straßen stets Kanäle unterschiedlicher Breite. Es wird überwiegend Mais und Pekannusss angebaut. Die Farmen sind groß, und jeder Farmer hat sein Haus dort. Entsprechend groß sind die Abstände zwischen den Farmern. Auch wenn Johans Farm zu Hartswater gehört, ist es bis zur Ortschaft Hartswater zehn Kilometer weit. Ein oder höchstens zwei Mal pro Woche fährt Johan mit seiner Frau dorthin. 




Als wir ankommen, werde ich von Annemarie empfangen, Johans Frau. Das Gästezimmer, in dem ich einquartiert werde, hat die Ausmaße eines Tanzsaals. Spontan erinnert mich der Raum an Rinkerode, wo ich als Pilger ebenfalls ein derart großes Zimmer zugewiesen bekam. 

 

"Das ist dein Zuhause", höre ich Annemarie sagen. Und Johan zeigt mir in der Küche, was wo zu finden ist. "My home is your home. Help yourself!" Ich bin sprachlos. Dann ein Rundgang durch den Garten. Garten? Ein Park ist das! Eine riesige Rasenfläche mit zwei Pekannussbäumen, Palmen, Zypressen, massenhaft Lilien und andere blütentragende Pflanzen. Herrlich! Ach, und nicht zu vergessen: ein familiärer Friedhof mit fünf Gräbern. In einem davon liegt der Vorbesitzer der Farm. Er wurde in der Nähe seines Hauses des Nachts erschossen. 

Der Tatort
R.I.P. auf dem eigenen Grundstück

"Das ist Südafrika", kommentiert er dieses Ereignis. Das ganze Grundstück, wie auch die gesamte Farm ist mit einem vier Meter hohen Elektrozaun und Alarmgebern umgeben.

Grenzschutz


Halbreife Pekannuss

Interessanter Besucher

Johan wartet mit seinem Quad auf mich. Ich springe hinten auf und los geht die Rundfahrt durch die Pekannussfarm. Unterwegs stellt mir Johan seine drei Mitarbeiter vor: Bertie, Robert, Rachmin und William. Am Abend zeigt mir Johan, wie man Braai macht. Braai ist 'grillen' auf Afrikaans. Und das ist hier eine Lebensart. Vor allem für Johan! 

Supermärkte, Schlachtereien und andere Geschäfte haben immer irgendwo einen größeren Bereich, der dem Braai gewidmet ist, von Zubehör bis Zutaten gibt es eine vielfältige Auswahl. 

Schon nach einer Woche bin ich fertig ausgebildete Fachkraft für Bewässerung und Düngung von Pekannussbäumen. Aber Johan möchte nicht, dass seine Arbeiter den Eindruck bekommen, dass ich ihnen ihre Arbeit wegnehmen würde. Also kümmere ich mich um einige Beutel Pekannüsse, die Johan verschenken möchte. Zum Öffnen der Nüsse gibt es eine spezielle Zange, keinen handelsüblichen Nussknacker. Denn die Nusshälften sollen unbeschädigt aus der Schale kommen. Johan zeigt mir, wie man das macht. Mit etwas Geduld hab auch ich den Bogen bald raus. Dann ist da noch der riesige Rasen. Den zu mähen braucht einen ganzen Tag mit dem Aufsitzmäher. <Video>

Und wenn es zu heiß wird, 36°C zeigt das Thermometer, sitze ich in der klimatisierten Stube und schreibe Blog. Leider läuft die Klimaanlage nicht immer. Loadshedding heißt das Zauberwort, welches Gesprächsthema nicht nur in Hartswater ist, sondern im ganzen Land. Der elektrische Strom wird jeder Region zugeteilt. Dann ist es einfach mal für vier Stunden dunkel - oder der Generator knattert irgendwo hinterm Haus. Johan nennt das 'Sound of Loadshedding'. Klingt wie ein Songtitel.

Anti-Loadshedding-Lösung bei Johan 

Zwischendurch checke ich immer wieder meine Chancen bezüglich eines Skippers, der mich nach Südamerika mitnehmen könnte. Doch nichts außer Absagen. Sieben Absagen habe ich schon eingesammelt. Kann man die verkaufen...? Frustrierend, denn mein Visum läuft ja irgendwann ab. Am 17. März 2024, um genau zu sein. 

Annemarie macht mir den Aufenthalt zu einem Fest, sie sorgt für mich wie eine Mutter. Täglich gibt es feines Essen, sie repariert meine durchgewetzte Wanderhose, fertigt mir zwei neue Kopftücher an und schenkt mir abends leckeren Gin-T ein.

Johan und Annemarie machen mich mit ihren Freunden bekannt, die Familie Riekert, Naude und Leona mit den Töchtern Yolandie und Havanna, Oma Hannartje und Jaques, der Bruder von Naude. Während wir zusammen sitzen gibt es selbstgemachtes Zwiebelchutney. Mega lecker!!! Die Pfannkuchen mit ihrer Hackfleischauflage, die danach als Abendessen serviert werden, bringen mich an meine Grenzen, denn ich hatte mich vom Chutney schon satt gegessen. Das war am 17. Januar. 

Naude und ich philosophieren über das Leben

Naude mit Tochter Yolandie


Marleen und ihr Mann Dirk sind weitere Freunde, mit denen ich bekannt gemacht werde. Und überall erlebe ich herzlichste, freundschaftliche Aufnahme. Dirk hat fantastische Kaktusfeigen geerntet - süß und mega lecker! 

Bei Dirk und Marleen

Kaktusfeigen

Am 25. Januar verkündet Johan: "Lass uns den Camper fertig machen. Morgen geht's los". Moment mal eben - wie bitte? Was geht los? "Ja, Annemaries Onkel Hansie in Bloemfontein hat Geburtstag und wird 95. Und dann will ich mit dir nach Lesotho. Hab ich doch versprochen. Und wenn wir gerade dort unterwegs sind, machen wir noch einen Abstecher zu unserer Tochter nach Johannesburg. Entweder du steigst irgendwo aus, oder du kommst mit!" lacht er. Ich bin etwas verblüfft und versuche mir das nicht anmerken zu lassen. Doch ich bin mir sicher, dass Johan die letzten Tage öfter von Lesotho gesprochen hatte, aber ich hatte nicht begriffen, dass er den Ausflug tatsächlich in die Realität umsetzen will. 

Ich ordne meine Siebensachen und packe meinen Rucksack, während Johan und Annemarie den Camper startklar machen. Auch Johan ist schließlich fertig und hat sich in seinem Cockpit eingerichtet.

Johan in seinem Cockpit

Ausflug

Kimberley

Als in den 1870er Jahren ein Bauer auf seinem Acker eine Handvoll glitzernder Steine fand und diese dann als Diamanten identifiziert wurden, brach ein Diamantenrausch aus, bei dem über 50.000 Glücksritter das größte, von Menschenhand (das bedeutet mit Schaufel und Handwerkszeug, ohne Maschinen) gebuddelten Loch der Erde schufen. Um dieses Loch herum entstand eine Stadt, von der bis heute viele Gebäude und Infrastruktur erhalten geblieben und Teil des Museum sind. Johan lässt es sich nicht nehmen, mich in das Museum einzuladen und mir die Geschichte der Stadt nahezubringen. Bemerkenswert ist hier die Entwicklung und Errichtung von für die damalige Zeit super-fortschrittlichen Einrichtungen von elektrischer Straßenbeleuchtung, Straßenbahnen, Krankenhäusern, usw. (vgl. meinen Artikel über Kolmanskoppe in Namibia). Was ich als Mensch des 21en Jahrhunderts beschämend finde (wer weiß, wie ich vor 150 Jahren gedacht hätte? Ich hoffe, genauso wie heute!), ist die Tatsache, dass die schwarz-afrikanische Bevölkerung damals unterdrückt und als billige Arbeitskräfte missbraucht wurden. Dies aber nicht nur in Südafrika, sondern in allen Ländern, die ich bereist und gesehen habe.

‚Weißes‘ Haus
‚Schwarzes‘ Haus

Bloemfontein 

Jedes Land hat eine Hauptstadt. Richtig? Nein, falsch! Südafrika hat drei Hauptstädte: Kapstadt, Pretoria und Bloemfontein. What??? Wie soll ich das verstehen, will ich wissen. Johan ist ein wandelndes Lexikon. Eigentlich müsste er 'Wikipedius' heißen. Er erklärt mir: die Legislative ist in Kapstadt, die Judikative in Bloemfontein und die Exekutive in Pretoria beheimatet. Solche Dinge erfahre ich auf dem Weg zum Geburtstag von Hansie.

Hansie‘s Geburtstagsparty

Ladybrand

Farbenpracht in den Straßen von Ladybrand

Es ist Samstag, als wir den Campingplatz ‚Little Rock Resort’ von Ladybrand erreichen. Ein fantastischer Platz am Hang eines Berges gelegen. 


Wie ein Park auf unterschiedlichen Ebenen angelegt, schöne große Bäume, die Schatten spenden, einer kleinen Bar, und ein Babyzoo mit Ziegen, Eseln, kleine Meerschweinchen und Pferde, die frei im Gelände herum laufen. 
…und wo bitte schön sind die Meerschweinchen???

In ihrer fürsorglichen Art wollen mir Johan una Annemarie einen Gottesdienstbesuch ermöglichen. Denn gemäß meiner Recherchen gibt es in Ladybrand eine Neuapostolische Gemeinde. Wir suchen und suchen, doch die angegebene Adresse führt ins Nichts und die Anwohner, die wir fragen, haben keine Ahnung. Ich schreibe eine Mail an den für diesen Landstrich zuständigen Apostel mit der Frage, wo sich die Gemeinde versammelt, falls es überhaupt eine geben sollte. Da es schon spät ist, bin ich skeptisch, ob ich eine Antwort bekomme würde. Tatsächlich ist zehn Minuten später die Antwort da! Der Standort des Versammlungsortes sei schwierig zu erklären, aber der Vorsteher der Gemeinde ist informiert und holt mich am Campingplatz ab.

Hier meine Mail und die Antwort:

From: Horst Bargsten

Sent: Saturday, January 27, 2024 17:54 

To: Werner Newton Von Schaeffer 

Subject: Congregation in Ladybrand and Maseru/Lesotho



Dear Apostle Von Schaeffer,


I'm a German NAC member traveling Freestate and Lesotho. This night I'm staying in Ladybrand. Do we have a congregation here or in Maseru/Lesotho? If yes, could you please forward me the directions?


I know, it's quite late to ask. Anyway, I'd like to give it a try.


Heartfelt greetings,

Horst Bargsten


From: Werner Newton Von Schaeffer 

Sent: Saturday, January 27, 2024 18:19 

To: Horst Bargsten 

Cc: Vincent Solomons

RE: Congregation in Ladybrand and Maseru/Lesotho



Good day, Horst


Welcome to our area!

We have a congregation in Ladybrand. I spoke to the District Evangelist now (and I copy him in with this email). You can just supply the details of where you stay, and he will pick you up for service tomorrow morning. The service starts at 09h00 - so he will most probably pick you up between 08h00 and 08h20. His cell number is +27 81 544 xxxx.

Enjoy your stay!


Kind Regards

Werner Von Schaeffer


New Apostolic Church South Africa



Woohoo... ich liebe es, Gottesdienste in anderen Ecken der Welt zu erleben. Ich zögere keinen Augenblick und rufe Vincent, den Vorsteher an. Er war bereits bestens informiert. Am nächsten Morgen werde ich abgeholt und dann geht die Fahrt durchs Township über eine Straße, die in meiner Heimat als Feldweg deklariert wäre. Der PKW kommt nur im Schrittempo vorwärts. Vincent erklärt, dass hier ein Durchkommen nach einem Regenschauer unmöglich ist. Doch heute ist es warm und trocken. Schließlich sind wir da. Es ist eine Elementarschule, wo Gottesdienste stattfinden, eine bunt bemalte Wellblechhütte und eine liebevolle, herzliche Stimmung in der Gemeinde mit knapp zwanzig Geschwistern. Der Gemeindegesang wird von einem Kassettenrecorder und einer Blockflöte intoniert und begleitet 🎶


Das ‚Klassenfoto‘ 😉

Lesotho

Meinen Bericht über Lesotho bitte hier lesen.

Rein nach Lesotho…

Weiter geht die Reise. Die Landschaft ist sehr abwechslungsreich und wird zunehmend gebirgiger mit faszinierenden Formationen, die durch ehemalige Flussläufe und Erosion geformt wurden. Ich klebe förmlich am Fenster und sauge die Landschaft mit meinen Augen auf. 

…und wieder raus

Wie verlassen Lesotho in Richtung Norden am Grenzpunkt Caledonspoort. Von hier steuert Johan den 'Golden Gate Park' an. Die Fahrt führt durch Clarens, das schönste Dorf, das ich in Südafrika gesehen habe. Die Leute leben einen ganz besonderen Spirit, der auf den Erhalt pittoresker Architektur und Antiquitäten Wert legt. Die Fotos lassen es erahnen…

Auf dem örtlichen Campingplatz zwischen überhängenden Felsvorsprüngen übernachten wir. Ich wie immer im Zelt und meine beiden Guides im Camper. 

Als die Sonne am Horizont versinkt, wird für knapp zehn Minuten deutlich, wie der Park zu seinem Namen kam. Der rot-gelbe Sandstein der Fels Wand erleuchtet in der Abendsonne für zehn Minuten in heller goldener Farbe. Mir bleibt der Mund offen stehen. Dann ist es auch schon wieder vorbei. Doch der Eindruck bleibt!


…wer da sucht, der findet… (Mt.7,8)

Annika


Annika ist Annemarie's und Johan's Enkelin und mit ihren vier Jahren deren Herzblatt. Annika und ihre Eltern wohnen in Johannesburg. Für das Wochenende, das viel zu schnell vorüber geht, quartieren sich meine beiden Reiseveranstalter in deren Gästezimmer ein, während ich den Camper für mich habe.

Die ganze Familie produziert hingebungsvoll Pizzas während ich Annikas Spielhaus von Grünspan befreie. Am Montag früh bringt der Toyota HiAce Camper und drei wieder zurück nach Hartswater und am Donnerstag ist meine wundervolle Zeit mit Johan und Annemarie zu Ende und ein Greyhound-Bus bringt mich wieder nach Kapstadt. 

Schließlich war ich vier volle Wochen zu Gast bei Johan und Annemarie, bin Teil ihrer Familie geworden und habe mich wie Zuhause gefühlt. Worte können meine Dankbarkeit nur unvollkommen ausdrücken. Diese beiden haben mir Freundschaft in edelster Art erwiesen. 

Das Einzige, was ich in Südafrika verpasst habe, ist, Afrikaans zu lernen. Dafür war meine Aufmerksamkeit einfach mit zu viel anderem beschäftigt.

Drikus

Drikus heißt der Sohn von Johan und Annemarie. Er wohnt in einem zentral gelegenen Hochhaus in Kapstadt. Johan war es ein Anliegen, dass wir und kennenlernen würden und entsprechende Vorkehrungen getroffen, dass ich am Busterminal von Drikus abgeholt werde. Der Typ ist mega-cool! Seine Hilfsbereitschaft macht seiner familiären Herkunft alle Ehre. In seiner Wohnung bekomme ich eine große elektrisch aufgeblasenen Luftmatratze zum Schlafen - soll heißen, ins Backpackerhostel zu gehen kommt einer Beleidigung gleich. Puuuh… wie kann ich das alles irgendwie wieder gut machen?

Durch Drikus komme ich in einige Ecken von Kapstadt, die ich bis dahin nicht gesehen hatte, insbesondere einige tolle Kneipen. Und ohne Drikus wäre ich nie im Leben nach Kommetjie gekommen, einem Dorf auf der Kap-Halbinsel. Was gibt`s da zu sehen? Ich weiß es nicht, aber Drikus hat dort einen Freund, der Geburtstag feiert - und ich bin als Gast von Drikus herzlich zum Dinner eingeladen. Eine zweite Einladung auf der andern Seite von Kapstadt steht ebenfalls noch aus. Am selben Abend. Leute, hier steppt der Bär!!!

Mittlerweile habe ich so wunderbare Menschen kennengelernt und Freundschaften geschlossen, dass ich es nicht erwarten kann, wieder nach Südafrika zu kommen. 

Einschiffen nach Brasilien

Angesichts der vielen Absagen und Null Zusage übers Internetportal www.findacrew.net, gebe ich meine Internetsuche endgültig auf.

Zurechtweisung

Es gibt da so eine direkte Verbindung zwischen Kapstadt und São Paulo in Brasilien mit South African Airways, finden meine Finger heraus. "HALLOOOO... was passiert denn da? Wo ist denn deine Zuversicht geblieben?", höre ich eine laute innere Stimme fragen. "Wolltest du den Luftweg nicht vermeiden???" so die nervige Stimme weiter in meinem Hirn. "Bevor du deinen Prinzipien untreu werden willst, solltest du zuvor alle Möglichkeiten ausschöpfen. Du klapperst erst alle Marinas in der Umgebung ab. Wenn du bis eine Woche vor Ablauf deines Visums keinen Skipper gefunden hast, erlaube ich dir den Flug in Erwägung zu ziehen. Doch wenn du auf mich hörst, wirst du Wunderbares erleben." Donnerwetter, staune ich, meine innere Stimme dreht ja richtig auf, denke ich mir. Na, dann wollen wir mal schauen...

Die Waterfront Marina von Kapstadt nehme ich als erste Gelegenheit, Kontakte zu knüpfen. Doch es ist Sonntag und das Büro geschlossen. Ich warte vor der Pier, ob ich jemanden, der von oder zu den Booten geht, ansprechen kann. Doch niemand kommt oder geht. Auf einem Boot mit Kanadischer Flagge sehe ich einen älteren Herrn und rufe ihm zu. Für einen Moment reden wir miteinander, aber er bleibt noch und fährt auch nicht nach Südamerika. Auch kenne er niemanden, der nach Südamerika fährt. Und tschüss. 

Im Kanal zwischen der Marina und dem Hafenbecken fährt eine 12-Meter-Yacht im Schrittempo in Richtung Hafenbecken. "Where are you going to?" rufe ich von der Kaimauer den drei Männern an Deck zu. "Brazil" ist die Antwort. "Nehmt mich mit" rufe ich. Sie lachen und einer sagt "komm, spring herüber." Schade, ein paar Stunden früher und alles wäre geritzt. Ganz bedröppelt schaue ich den Dreien hinterher. 

Da geht‘se hin…

Jeden Tag kann ein neues Boot kommen oder gehen. Darum ist mein Beschluss, jeden Tag an der Marina vorbei zu schauen. Darum bin ich am Montag wieder da und registriere meinen Wunsch auch im Büro der Marina. Der Bursche dort zeigt aber wenig Engagement, mir zu helfen. So gehe ich zu Fuß zum Yacht Club, wo ich kurz nach Weihnachten schon einmal war. Ich denke, dass ich dort irgendwie es schaffen muss, ungehindert an der Rezeption vorbei zu kommen. Dieser Yachthafen liegt im Industriehafen und ist drei Kilometer von der Waterfront entfernt. 

Damit endet meine Odyssee durch Südafrika.


*  *  *  *  *

Unkraut = Onkruit


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