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Freitag, 26. November 2021

Ein Pilger wird Helfer

 

Mein Jakobsweg zwischen Köln und Koblenz führt sehr nah am Ahrtal vorbei, wo ja durch die enormen Regenfälle am 14. und 15. Juli 2021 eine unglaublich zerstörerische Flutwelle entstand. Die Schäden an der gesamten Infrastruktur sind noch lange nicht behoben. Eine Welle der Hilfs- und Spendenbereitschaft hat wohl in vielen Fällen die erste Not der betroffenen Menschen gelindert. Nach anfänglichem Chaos bei der Hilfswilligkeit vieler Menschen, sind einige Organisationen auf den Plan getreten, die den Bedarf an Hilfe und Unterstützung mit dem Hilfsangebot der Helfer koordinieren. Eine dieser Organisationen ist helfer-shuttle.de

Natürlich wusste ich bereits bei meinem Start in Ahlerstedt, dass ich am Ahrtal vorbei kommen würde. Schon da hatte ich mit dem Gedanken gespielt, mich vielleicht als freiwilliger Helfer einzubringen. Aber ich wollte es "auf mich zukommmen lassen" und hatte mich nicht weiter informiert. In Köln war ich nahe genug darn und erstmals nach Hilfsmöglichkeiten gegoogelt. Durch meine krankheitsbedingte Reiseunterbrechung bekam ich reichlich Zeit, darüber zu Recherchieren. Schließlich wuchs der Entschluss, es auch zu tun und beim Aufräumen und Aufbauen im Ahrtal mitzuhelfen. Mein Wahl fiel auf den Helfer-Shuttle, weil es keine offiziell registrierte Organisation ist, wie beispielsweise ein Verein, wo Kompetenzgerangel geben könnte, was den Spaß und die Effizienz kille macht.

Helfer-Shuttle Organisation 

Im Industriepark des Ortes Grafschaft, wo die Firma HARIBO unübersehbar seinen Hauptsitz hat, wurde eine Fußballfeld große Fläche für Helfer-Shuttle "bebaut" mit drei Lagerzelten für jede Art von Arbeitskleidung in allen Größen, Sicherheitsschuhen, Gummistiefeln, Wollsocken, Arbeitshandschuhe, usw., einem großen Lagerzelt für Arbeitsgeräte, ein Freilager für Schubkarren, Schaufeln, Eimern, etc., einem Verpflegungszelt und einem - naja, sieht nach Partyzelt aus, das wohl in erster Linie für die After-Work-Zusammenkünfte und Nachbesprechungen gedacht ist. 

 

Die Leute von Helfer-Shuttle sind einfach ein Haufen Freiwilliger, die einfach alles selbst in die Hand nehmen, damit wenig burokratischer Aufwnad entsteht und die richtigen Leute an den richtigen Ort kommen. Sie kümmern sich um Sammlung von Geld- und Sachspenden, Registrierung von Hilfsgesuchen und Erstellung von Arbeitsaufträgen, Beschaffung von Bussen und 9-sitzigen Mannschaftswagen, Fahrer, Scouts für Helfereinteilung, Orga der Verpflegung (Frühstück, Mittag, Abendessen), Bereitstellung von Übernschtungsmöglichkeiten, Dixi-Klo und, und, und. Ich glaube, gerade wegen der freiwilligen Helfer, die sich für alles einsetzen lassen, läuft das Ganze ziemlich reibungsfrei. Etliche von ihnen sind schon über Wochen im Einsatz.

Auftragsvergabe für Helfer

Ein Container dient der Auftragskoordination. Dort sitzen zumeist zwei oder drei Mädels rund um die Uhr und nehmen die Hilfsgesuche der betroffenen Menschen aus dem Ahrtal entgegen und bereiten daraus Helfer-Aufträge vor. Morgens bewaffnen sich die Scouts, erkennbar an orangefarbenen Westen, mit diesen Aufträgen und suchen jeweils für die Aufträge die passende Zahl an Helfern.

Bevor es in den Bus geht, muss jeder Helfer einen Corona-Schnelltest machen, für den es eigens eine Teststation beim Helfer-Shuttle gibt.

Hier folgen nun ein paar Aufträge, an denen ich beteiligt war.

Dernau - Weingarten entschlacken 

 Auf den überfluteten Flächen lagerte sich Schlamm ab, der sich über die vergangenen vier Monate verdichtet hat. Dieser Schlamm liegt nun mit einer Dicke von etwa 10 cm auf dem Boden und droht die Wurzeln der Weeinstöcke zu ersticken. Also muss die Schlammschicht raus.

Dreißig Helfer bildeten das Schlamm-Team. Mit Spaten und Schaufel haben wir uns an die Arbeit gemacht. Es stand uns nur eine Schubkarre zur Verfügung und jede Menge Eimer. Wegen des Abstands der Weinstockreihen von vielleicht Eins-Achtzig, haben jeweils zwei Mann nebeneinander mit Spaten vorweg den Schlamm gelockert und zwei weitere dahinter mit Schaufeln die Schubkarre gefüllt. Das Gleiche passierte in einer anderen Reihe - allerdings mit Eimern. Diese andere Reihe mit den Eimern war viel interessanter, denn jeder Eimer wurde in einer Eimerkette bis zur Straße durchgereicht, dort ausgeleert und wieder zur Schaufelstelle vorgereicht. Wir hatten dabei jede Menge Spaß, den die Schubkarrenfahrer leider nicht so hatten.

Mit unserer Truppe haben wir eine Reihe von vielleicht 50 Meter Länge entschlammt. Das kommt mir vor, wie der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein. Oh man, da ist noch so viel, das noch zu bearbeiten ist...

Mayschoß - Hotel enttapezieren

Vom Hotel Lochmühle kam der Auftrag "Tapeten entfernen". Es handelt sich hierbei um ein ziemlich mondänes Haus, das sehr wahrscheinlich schon so manche Berühmtheit begrüßt hatte. Allerdings ist es auch in die Jahre gekommen, hat seine besten Zeiten wohl hinter sich und hat auch ganz offensichtlich schon seit längerer Zeit keinen Erfrischungspinsel und Modernisierungsspachtel mehr gesehen. Vielleicht kam dem Besitzer diese verheerende Flut für eine Sanierung sogar ganz gelegen und all die kostenlosen Arbeiter aus den Helferorganisationen noch dazu...? Oh, bin ich jetzt negativ? Das soll ja nicht sein. Passt nicht zu mir. Also schnell Themenwechsel!
Ich bin Helfer. Also frage nicht nach der Absicht des Hilfsauftrags. Also ran an die Tapeten! Immer schön zu Zweit in einem Zimmer - Elke ist meine Kollegin, ausgerüstet mit einem halben Dutzend Spachteln und einer Sprühflasche der Noname-Marke OK, gefüllt mit Wasser. Ach du meine Güte, der Wandbehang ist ja mit Latexfarbe gestrichen. Aijaijai - das wird teuer. Erst mit der Nagelrolle drüberrollen. Dann einsprühen. Warten. Nix! Ich hab's ja gleich gewusst, das geht nur mit dem Spachtel. Sich mit dem Spachtel durch die fette Farbe wühlen und dann die obere Schicht der Tapete abziehen. Die reißt natürlich ein und lässt sich nicht gerne in Bahnen herunterziehen. Also Fitzelchen um Fitzelchen abkratzen, abschaben, abwürgen... um dann endlich das darunter liegende Papier mit Sprühwasser einzuweichen. Schließlich haben wir gewonnen und das ganze kleine Zimmer an einem Tag geschafft - aber mehr auch nicht. Grrr!

Dernau - Fenster zunageln

Constanze ist die Auftraggeberin. Ihr gehört das Haus, von dem die Flut drei Fenster zerstört hatte und die jetzt winterfest gemacht werden mussten. Mein Mithelfer ist Markus, ein fröhlicher Typ aus dem Wienerwald.... ach nee, Westerwald heißt das doch. Constanze hatte alles Material schon besorgt und bereitgestellt: Spanplatten, Dachlatten, Kaffee und Kuchen! Markus und ich hatten vom BaumAHRkt des Helfer-Shuttles Handkreissäge und Bohrmaschine mitgebracht. Nach Begrüßung und dem obligatorischen Kennenlernkaffee, bei dem wir erfuhren, wie schnell das Wasser kam und die Außentreppe hochmarschierte, sich kurz im Erdgeschoss umschaute, das einen Meter über der Straße liegt, und dann ins Obergeschoss stieg, und Constanze binnen 15 bis 20 Minuten nichts mehr hatte, außer was sie am Leib trug.

Mit Markus zusammenzuarbeiten ist wie ein Fest. Das lief wie geschmiert. Ausmessen, anzeichnen, die Platten auf Maß schneiden, einpassen, festschauben. Zack-zack-zack-fertig! So macht helfen Spaß!

Dernau - Lebensmittel im Bunker umlagern

Ich weiß nicht, wie die Logistik von Sachspenden organisiert ist. Vielleicht gar nicht so richtig. Auf jeden Fall gibt es im Ahrtal in etwas höherer Lage ein paar Bunker, die zu Zeiten des Kaiserreichs als Eisenbahntunne gebaut wurden und im Dritten Reich zu Forschungs- und Produktionsbunkern für Raketenwaffen umfunktioniert wurden. Hier ist jetzt reichlich viel Platz und es ist trocken. Daher wird der Bunker als Lagerfläche für gespendete Hilfsgüter verwendet.

Mit acht Helfern hatten wir den Auftrag, neu angekommene Lebensmittel dort in vorhandene Regale einzusortieren. Mehrmals fuhr ein Geländewagen mit gefülltem Anhänger vor die Bunkertore, die wir dann abluden und in den Tiefen des Bunkers einlagerten.

Ahrweiler - Notunterkünfte bewohnbar machen

Der Bus des Helfer-Shuttle brachte uns diesmal nach Ahrweiler, mit dem Auftrag, ein ehemaliges Containerdorf aus Berlin, für Flutopfer herzurichten. Die Container waren bereits aufgestellt, elektrifiziert, von innen mit Putzfarbe gestrichen, und der Fußboden war auch schon ausgelegt. Das bedeutet, dass die schlimmste Arbeit, nämlich die Reinigung bereits erledigt war. Jede "Wohnung" ist eigentlich eine Zwei-Zimmer-Wohnung und besteht aus drei Containern, die nebeneinander stehen. Sie sind gedacht für Paare und Familien mit bis zu einem Kind. Im mittleren Container befindet sich der Eingang, eine Kochzeile, Dusche und WC. Rechts davon dann imer ein Wohnzimmer und links das Schlafzimmer (siehe Grundriss).

Für die Malerarbeiten waren die Clips für die Rohre mit den Elektroleitungen und die Aufputz-Steckdoden und -Schalter von der Wand abgeschraubt. Hier hatte ich schnell meine Aufgabe gefunden, diese Installation wieder ordnungsgemäß anzubringen. Andere Helfer beschäftigten sich mit dem Aufbau der IKEA-Möbel.

Die Zustände im Ahrtal rund vier Monate nach der Flut

Meine Beschreibungen beziehen sich auf die Ortschaften Dernau und Mayschoss. Aber ich denke, die anderen Orte sehen nicht wesentlich anders aus.

Schutt und Gerümpel ist nur noch wenig zu sehen, und auch keine Halden mehr. Diesbezüglich ist enorm viel geleistet worden. Die Häuser und Gebäude sind zumeist im Zustand eines Rohbaus, das heißt, dass Putze und Verkleidungen abgestemmt sind, Estriche entfernt sind und alles immer noch am Trocknen ist. Fensterlöcher sind vielfach zugenagelt. Abgerissene Wände sind nur mit Folien gegen eindringenden Regen geschützt. Bewohnbar sind von den betroffenen Häusern nur sehr wenige, vielleicht eins von zehn. Und wenn überhaupt, dann nur in den Obergeschossen. Die Wassermarke ist gut zu sehen und befindet sich an manchen Gebäuden in der Mitte des zweiten Obergeschosses.

Die Straßen sind über verschiedene Strecken reine Schotterpisten. Überall wird von den relativ wenigen Fahrzeugen mächtig Staub aufgewirbelt. Alles im Baustellenzustand.

Es scheint, als habe fast keine Brücke die Macht der Fluten und ihrer Mitbringsel heil überstanden. Oft stehen nur noch die Pfeiler da. In anderen Fällen eine halbe Brücke...

Die Talebene ist so gut wie vollständig planiert und sieht total trostlos aus, weil keine Bäume und Büsche da sind. Man ist jetzt dabei, Schichten von Mutterboden aufzutragen.

Der Mut der Menschen scheint zurückzukehren. Heute, am Freitag, den 26.11.2021, sieht man geschmückte Tannenbäume vor den Häusern.



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