Mein Jakobsweg zwischen Köln und Koblenz führt sehr nah am Ahrtal vorbei, wo ja durch die enormen Regenfälle am 14. und 15. Juli 2021 eine unglaublich zerstörerische Flutwelle entstand. Die Schäden an der gesamten Infrastruktur sind noch lange nicht behoben. Eine Welle der Hilfs- und Spendenbereitschaft hat wohl in vielen Fällen die erste Not der betroffenen Menschen gelindert. Nach anfänglichem Chaos bei der Hilfswilligkeit vieler Menschen, sind einige Organisationen auf den Plan getreten, die den Bedarf an Hilfe und Unterstützung mit dem Hilfsangebot der Helfer koordinieren. Eine dieser Organisationen ist helfer-shuttle.de.
Natürlich wusste ich bereits bei meinem Start in Ahlerstedt, dass ich am Ahrtal vorbei kommen würde. Schon da hatte ich mit dem Gedanken gespielt, mich vielleicht als freiwilliger Helfer einzubringen. Aber ich wollte es "auf mich zukommmen lassen" und hatte mich nicht weiter informiert. In Köln war ich nahe genug darn und erstmals nach Hilfsmöglichkeiten gegoogelt. Durch meine krankheitsbedingte Reiseunterbrechung bekam ich reichlich Zeit, darüber zu Recherchieren. Schließlich wuchs der Entschluss, es auch zu tun und beim Aufräumen und Aufbauen im Ahrtal mitzuhelfen. Mein Wahl fiel auf den Helfer-Shuttle, weil es keine offiziell registrierte Organisation ist, wie beispielsweise ein Verein, wo Kompetenzgerangel geben könnte, was den Spaß und die Effizienz kille macht.
Helfer-Shuttle Organisation
Im Industriepark des Ortes Grafschaft, wo die Firma HARIBO unübersehbar seinen Hauptsitz hat, wurde eine Fußballfeld große Fläche für Helfer-Shuttle "bebaut" mit drei Lagerzelten für jede Art von Arbeitskleidung in allen Größen, Sicherheitsschuhen, Gummistiefeln, Wollsocken, Arbeitshandschuhe, usw., einem großen Lagerzelt für Arbeitsgeräte, ein Freilager für Schubkarren, Schaufeln, Eimern, etc., einem Verpflegungszelt und einem - naja, sieht nach Partyzelt aus, das wohl in erster Linie für die After-Work-Zusammenkünfte und Nachbesprechungen gedacht ist.
Die Leute von Helfer-Shuttle sind einfach ein Haufen Freiwilliger, die einfach alles selbst in die Hand nehmen, damit wenig burokratischer Aufwnad entsteht und die richtigen Leute an den richtigen Ort kommen. Sie kümmern sich um Sammlung von Geld- und Sachspenden, Registrierung von Hilfsgesuchen und Erstellung von Arbeitsaufträgen, Beschaffung von Bussen und 9-sitzigen Mannschaftswagen, Fahrer, Scouts für Helfereinteilung, Orga der Verpflegung (Frühstück, Mittag, Abendessen), Bereitstellung von Übernschtungsmöglichkeiten, Dixi-Klo und, und, und. Ich glaube, gerade wegen der freiwilligen Helfer, die sich für alles einsetzen lassen, läuft das Ganze ziemlich reibungsfrei. Etliche von ihnen sind schon über Wochen im Einsatz.
Auftragsvergabe für Helfer
Ein Container dient der Auftragskoordination. Dort sitzen zumeist zwei oder drei Mädels rund um die Uhr und nehmen die Hilfsgesuche der betroffenen Menschen aus dem Ahrtal entgegen und bereiten daraus Helfer-Aufträge vor. Morgens bewaffnen sich die Scouts, erkennbar an orangefarbenen Westen, mit diesen Aufträgen und suchen jeweils für die Aufträge die passende Zahl an Helfern.
Bevor es in den Bus geht, muss jeder Helfer einen Corona-Schnelltest machen, für den es eigens eine Teststation beim Helfer-Shuttle gibt.
Hier folgen nun ein paar Aufträge, an denen ich beteiligt war.
Dernau - Weingarten entschlacken
Mayschoß - Hotel enttapezieren
Dernau - Fenster zunageln
Mit Markus zusammenzuarbeiten ist wie ein Fest. Das lief wie geschmiert. Ausmessen, anzeichnen, die Platten auf Maß schneiden, einpassen, festschauben. Zack-zack-zack-fertig! So macht helfen Spaß!
Ich weiß nicht, wie die Logistik von Sachspenden organisiert ist. Vielleicht gar nicht so richtig. Auf jeden Fall gibt es im Ahrtal in etwas höherer Lage ein paar Bunker, die zu Zeiten des Kaiserreichs als Eisenbahntunne gebaut wurden und im Dritten Reich zu Forschungs- und Produktionsbunkern für Raketenwaffen umfunktioniert wurden. Hier ist jetzt reichlich viel Platz und es ist trocken. Daher wird der Bunker als Lagerfläche für gespendete Hilfsgüter verwendet.
Mit acht Helfern hatten wir den Auftrag, neu angekommene Lebensmittel dort in vorhandene Regale einzusortieren. Mehrmals fuhr ein Geländewagen mit gefülltem Anhänger vor die Bunkertore, die wir dann abluden und in den Tiefen des Bunkers einlagerten.
Ahrweiler - Notunterkünfte bewohnbar machen
Der Bus des Helfer-Shuttle brachte uns diesmal nach Ahrweiler, mit dem Auftrag, ein ehemaliges Containerdorf aus Berlin, für Flutopfer herzurichten. Die Container waren bereits aufgestellt, elektrifiziert, von innen mit Putzfarbe gestrichen, und der Fußboden war auch schon ausgelegt. Das bedeutet, dass die schlimmste Arbeit, nämlich die Reinigung bereits erledigt war. Jede "Wohnung" ist eigentlich eine Zwei-Zimmer-Wohnung und besteht aus drei Containern, die nebeneinander stehen. Sie sind gedacht für Paare und Familien mit bis zu einem Kind. Im mittleren Container befindet sich der Eingang, eine Kochzeile, Dusche und WC. Rechts davon dann imer ein Wohnzimmer und links das Schlafzimmer (siehe Grundriss).Für die Malerarbeiten waren die Clips für die Rohre mit den Elektroleitungen und die Aufputz-Steckdoden und -Schalter von der Wand abgeschraubt. Hier hatte ich schnell meine Aufgabe gefunden, diese Installation wieder ordnungsgemäß anzubringen. Andere Helfer beschäftigten sich mit dem Aufbau der IKEA-Möbel.
Die Zustände im Ahrtal rund vier Monate nach der Flut
Meine Beschreibungen beziehen sich auf die Ortschaften Dernau und Mayschoss. Aber ich denke, die anderen Orte sehen nicht wesentlich anders aus.
Schutt und Gerümpel ist nur noch wenig zu sehen, und auch keine Halden mehr. Diesbezüglich ist enorm viel geleistet worden. Die Häuser und Gebäude sind zumeist im Zustand eines Rohbaus, das heißt, dass Putze und Verkleidungen abgestemmt sind, Estriche entfernt sind und alles immer noch am Trocknen ist. Fensterlöcher sind vielfach zugenagelt. Abgerissene Wände sind nur mit Folien gegen eindringenden Regen geschützt. Bewohnbar sind von den betroffenen Häusern nur sehr wenige, vielleicht eins von zehn. Und wenn überhaupt, dann nur in den Obergeschossen. Die Wassermarke ist gut zu sehen und befindet sich an manchen Gebäuden in der Mitte des zweiten Obergeschosses.
Die Straßen sind über verschiedene Strecken reine Schotterpisten. Überall wird von den relativ wenigen Fahrzeugen mächtig Staub aufgewirbelt. Alles im Baustellenzustand.
Es scheint, als habe fast keine Brücke die Macht der Fluten und ihrer Mitbringsel heil überstanden. Oft stehen nur noch die Pfeiler da. In anderen Fällen eine halbe Brücke...
Die Talebene ist so gut wie vollständig planiert und sieht total trostlos aus, weil keine Bäume und Büsche da sind. Man ist jetzt dabei, Schichten von Mutterboden aufzutragen.
Der Mut der Menschen scheint zurückzukehren. Heute, am Freitag, den 26.11.2021, sieht man geschmückte Tannenbäume vor den Häusern.