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Samstag, 28. Januar 2023

Drei Wüste Tage

Mit der Geschichte des Hirtenjungen aus "Der Alchemist" (Amazonas Link) im Hinterkopf, hatte ich sicherlich eine romantisierte Sicht auf die Nomaden der Wüste. Dennoch war die Inspiration stark genug, eine wie auch immer geartete Berührung mit der Wüste und ihren Menschen herzustellen. Angesichts der kurzen Zeit, die ich habe, Reihe schlage ich - entgegen meiner inneren Haltung, die Menschen in ihrem wirklichen Leben kennen zu lernen, den Weg für Touristen ein und habe die Wüste "gebucht".

Sonntag, 22. Januar 2023, 6:00 Uhr - aufstehen und fertig machen. Um Viertel nach Sieben werde ich mit anderen Teilnehmern abgeholt und zu einer zentralen Stelle gefahren, wo weitere Busse (18-Sitzer) auf die Reise wollen. Jeder Bus sein eigenes Ziel. Manche machen eine Tagestour, andere eine Zwei-Tage-Tour und ich bin bei der Drei-Tage-Tour. Ich habe alles dabei, mein ganzes Gepäck. Denn es soll in Zelten geschlafen werden. Und 400 Dirhams habe auch. Das sind umgerechnet rund 40 Euro. Sollte reichen. Außer Mittagessen und Trinkgeld ist ja alles im Preis enthalten - böse Falle, wie sich noch zeigen wird.

Es geht los!
Der Bus ist fast voll besetzt. Wir fahren ins Gebiet des Hohen Atlas. Zunächst geht es durch flache Ebenen, die steinig und sand- bzw. ockerfarben sind. Und immer wieder tauchen Palmen- und Olivenpflanzungen auf. Allerdings, je weiter wir fahren, desto weniger ist von Vegetation zu sehen. Doch immer wieder kommen wir an Dörfern und einzelnen Gebäuden vorbei. Auch gibt da draußen noch die eine und andere Stadt - wo ich mich frage, wovon die eigentlich leben. Eine Antwort habe ich leider nicht bekommen. In der Ferne ist die Gebirgskette schon deutlich zu sehen. Der Himmel ist blau. Keine einzige Wolke. Es ist ein helleres Blau, als ich es von Deutschland her kenne. In diesem Blau ist auch die Gebirgskette gehüllt. Ein Phänomen, das ich so gar nicht kenne.

Immer wieder gibt es Erhebungen, die offenbar von uralten Plateaus zu stammen scheinen, denn dicke Bruchstücke, die als Plateau verdichtet zu Fels geworden waren, liegen herunter gebrochen am Hang, weil die darunter liegende Schluff- oder Lehmschichten wegerodieren. Faszinierend!
Ich finde diese Landschaft alles andere als langweilig.

Unser erster Stopp ist Aït Benhaddou. 
Dieses Dorf hat sich - wenn ich es richtig verstanden habe, über 400 Jahre erhalten und ist noch heute bewohnt. Das Besondere daran sind zwei Dinge. Zum einen wohnen hier auf engem Raum und in enger Kooperation Menschen islamischen und jüdischen Glaubens, sowie deren Kulturen, zusammen. Die zweite Besonderheit ist, dass sämtliche Gebäude in Lehmstampfbauweise erstellt und erhalten werden. 

Lehmstampfbau ist vergleichsweise billig, dafür aber mit höherem Kraftaufwand verbunden. Zusätzlich erodieren Wände unter dem Einfluss von Regen und muss daher regelmäßig instand gehalten werden.

Dies Dorf war schon häufig die Kulisse der Wahl für Hollywood-Regisseure, z.B. Ail-Baba (1954), The Jewel Of The Nile (1985), Seneca (2021), und noch viele mehr. Daher haben sich in Ouarzazate, einer Stadt in der Nähe, Filmstudios etabliert.
Endlich geht die Straße mitten rein in die Berge. Warum stellt man sich eigentlich Zuhause die Landschaft immer so anders vor, als sie tatsächlich ist? Das Atlasgebirge in der Wüste, so das Credo. Die Vorstellung: du guckst über die Weite Fläche, die natürlich sandgelb ist, auf einen Berg, der da gelangweilt im Sand herumsteht und genauso gelb ist, mit Ausnahme von der Spitze, die wegen des Schnees weiß ist. Oh man Horst, du bist doch nicht das erste Mal in den Bergen! Vorstellungen sind eben Vorstellungen.


Die Schroffheit, die sich mir hier zeigt, unterscheidet gar nicht so wesentlich von den Alpen oder den Bergen in Norwegen. Und dennoch ist vieles ganz anders. Es gibt nämlich keine Baumgrenze. Wo keine Bäume, da auch keine Baumgrenze. In manchen Tälern wuchern Palmen, Oliven, Schilf und anderes wie verrückt. Aber nicht in allen. Manchmal ist alles kahl. Es geht in Serpentinen auf und ab, mit atemberaubendem Panorama. Ein Traum für Biker. In der Nähe werden schließlich die Besonderheiten dieser Region sichtbar.
Das Gestein - fast überall in Rot oder Orange, scheint in der ganzen Gegend sehr porös und sandig zu sein, den überall sind die Effekte von Erosion sichtbar: ausgewaschene Schlitze, die zu Schluchten und Talern werden. 
Erneuter Stopp. Diesmal in der Schlucht von Todgha Gorge (Link zu Wikkipedia). Hier findet sich eine recht große Quelle und der Fluss beginnt hier zu fließen. Die Schlucht ist sehr schmal und die Felswände steigen rechts und links bis zu 300 Meter auf. Das Hotel, das hier erbaut wurde, musste wegen erfolgtem Steinschlag geschlossen werden.
Im weiteren Verlauf der Strecke fällt mir in der Ferne ein helles Licht auf. Es ist irgendwie unscharf. Ich putze meine Brille. Das nützt nichts, es bleibt unscharf. Die Entfernung kann ich nicht gut einschätzen, es ist vielleicht drei oder fünf oder vielleicht auch zehn Kilometer weit weg. Auf jeden Fall leuchtet es nicht vom Himmel, sondern unterhalb der dahinter liegenden Bergsilhouette. Wir kommen dem Phänomen näher und ich erkenne einen Turm, dessen Spitze hell leuchtet. Ob das wohl eine Art Flutlicht für einen Sportplatz oder ähnliches ist? Und warum machen die so viel Licht am helllichten Tag? Der hellste Teil des Lichts leuchtet eindeutig neben den Turm. Das finde ich seltsam. Dann plötzlich fällt mir die Lösung ein: das könnte eins dieser Kraftwerke sein, die das Sonnenlicht einfangen und gebündelt auf einen Punkt richten. Schnell Google gefragt - und tatsächlich, wir passieren gerade das Solarthermie-Kraftwerk bei Ouarzazate. Ich bin geflasht. Wieder so ein Moment, wo ich lieber mit einem eigenen Auto unterwegs gewesen wäre, um anzuhalten und das Wunderwerk in Ruhe zu betrachten und vielleicht auch noch etwas näher hinzukommen.
Offenbar ist zum Zeitpunkt meiner Beobachtung der Fokus aus mir unbekannten Gründen nicht zentral auf den Turm gerichtet. Bei der Rückfahrt allerdings ist der Fokus auf der Turmspitze, sodass sie derart hell reflektiert, wie die Sonne selbst. Hineinschauen geht nicht!

Aber es geht ohne Rücksicht auf meine Neugier weiter, bis schließlich riesige Sanddünen in Sicht kommen. Von da an dauert es nicht lange, bis wir direkt am Fuße dieser Sanddünen bei einer Herde Kamele parken. 

Aussteigen, Rucksack schultern, aufsteigen! Binnen zehn Minuten haben dreizehn Leute ihr Fortbewegungsmittel gewechselt.

Eineinhalb Stunden steifen unsere Wüstenschiffe durch den Sand.
Währenddessen geht golden die Sonne unter und die Temperatur sinkt merklich ab. Dann erreichen wir das kleine Zeltdorf und werden mit dem obligatorischen Marokkanischen Tee empfangen, und das jeweilige Zelt wird uns zugewiesen. Ich bin gespannt, wie kalt es werden wird und ob ich dabei schlafen kann.
Unsere Gastgeber, echte Amazigh (Originalbezeichnung für Berber), servieren eine köstliche Hähnchen-Tajine. Danach machen sie ein Lagerfeuer und mit der Gruppe der Gäste wird Musik gemacht, d.h. mit mehreren Trommeln und Gesang. Als ich abseits vom Licht des Feuers auf eine Düne klettere, spannt sich der Sternenhimmel in unglaublicher Pracht über mir aus - wooow. Und die Kälte der Nacht ist vergessen. Später, als ich ins Bett gehe, beschleicht mich dann wieder die Sorge um einen guten Schlaf, denn es ist wirklich kalt geworden: 5°C. Meine Sorge stellt sich als unbegründet heraus. Die Berberdecken sind zwar dünn, aber waaaaarm. Ich schlafe wie ein Stein, tief und fest.

Am nächsten Morgen heißt es Aufstehen vor Sonnenaufgang. Nur zu drei aus der Gruppe interessieren sich für eine Begegnung mit nomadisierenden Berber. Zehn Minuten Autofahrt und wir befinden uns an der Zeltgruppe einer Berberfamilie. Wir sehen einen Erdofen, das Schlaf- und Wohnzelt, Küchenzelt, Lagerzelt und den Zoo - also das Gehege der Ziegen. Kein Grün rundherum. Wovon leben die Ziegen eigentlich? Nun, im Lagerzelt gibt es Tierfutter und wenn die Familie wandert, kommen sie an Oasen vorbei. Es gibt immer irgendwo etwas... Ich kann das kaum glauben. So verschieden sind unsere Lebenserfahrungen.
Familienzelt
Küchenzelt
Ziegengehege

Die Sonne geht auf. Es geht so schnell, dass man dabei zusehen kann. Inzwischen wurden wir auf den Kamm einer hohen Düne gebracht. Von hier ist der Sonnenaufgang ein besonderes Erlebnis. 
Ich stelle fest, wie fein der Saharasand ist. Wie Staub. Jetzt wundert es mich nicht mehr, wenn bei entsprechender Wetterlage aufgewirbelter Saharasand bis nach Nordeuropa getragen wird - wie es am 15. März 2022 der Fall war.
Zur Krönung des Moments haben die Berber-Boys, die so Mitte zwanzig sind, ein Snowboard dabei und lassen uns die Düne surfen.



Fazit
Wem es nur darum geht, auf einem Kamel zu reiten, im Berberzelt zu schlafen und einmal Saharasand durch die Finger rieseln zu lassen, ansonsten für die landschaftliche Schönheit dieser trockenen Region kein Interesse hat, dem rate ich zu dieser Tour, wie ich sie gemacht habe. Vom Tour-Bus siehst du nämlich nicht viel, wenn du keinen Fensterplatz hast. Und wenn du den hast, siehst du auch nur die Hälfte, die sich deiner Seite bietet. Du kriegst einen langen Hals, wenn die Leute am anderen Fenster vor Begeisterung "wooow" rufen - und natürlich vice versa, wenn du "wooow" rufst.

Für mich ist eine Sehnsucht entstanden, das alles noch einmal zu sehen und zu erleben, und zwar mit eigener Regie und Zeitplanung. Denn drei Tage sind definitiv zu wenig. Ich will an Stellen anhalten können, die mich faszinieren. Davon gibt es unzählige, das Gebirge des Hohen Atlas, die kargen und steinigen Hochebenen, die Orte, die Bauwerke, die Weite - alles unbeschreiblich!

1 Kommentar:

KaBu hat gesagt…

Faszinierend, ich habe deinen Bericht wieder mit Freude gelesen, dankeschön.

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